Alte Kommunikationswege und personelle Überlastung: Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erschwert den Verwaltungsgerichten die ohnehin schon viele Arbeit. Nun soll es mehr spezialisierte Richter geben – doch reicht das?
Die Zahl der Asylverfahren an deutschen Verwaltungsgerichten ist in den letzten Jahren sprunghaft angestiegen. In Schleswig-Holstein hat sie sich in den letzten fünf Jahren mehr als verdoppelt, in Nordrhein-Westfalen (NRW), dem bevölkerungsreichsten Bundesland, mit für 2015 hochgerechneten 22.000 Fällen gegenüber 2011 sogar vervierfacht.
Inzwischen liege der Anteil der Asylentscheidungen in NRW bei 41 Prozent aller verwaltungsgerichtlichen Verfahren. Auch in der zweiten Instanz sei die Zahl der Asylentscheidungen gestiegen - am Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster bilden sie inzwischen fast ein Viertel aller Fälle in Hauptsacheverfahren. In diesen Zahlen schlägt sich jedoch noch nicht die große Anzahl der seit einigen Monaten vermehrt eintreffenden Flüchtlinge nieder.
Auch die Dauer eines durchschnittlichen Asylverfahrens ist deutlich gestiegen – insbesondere in den Eilverfahren, die in Schleswig-Holstein inzwischen durchschnittlich 1,8 statt sonst 0,4 Monaten dauern. "Dies liegt vor allem daran, dass in der Vergangenheit die Sachakten vom Bundesamt zeitlich verzögert übersandt wurden", sagte Gerichtssprecher des VG Schleswig, Harald Alberts, der Deutschen Presseagentur am Montag.
BAMF: "ausgedruckt und eingetütet"
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gilt vielen Verwaltungsrichtern als Flaschenhals. Die Gerichte werden in der Regel erst mit den Asylanträgen befasst, wenn Flüchtlinge gegen Ablehnungen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vorgehen. Dort herrscht aber ein großer Antragsstau, da es einfach zu wenig Sachbearbeiter gibt, welche die noch offenen Anträge bearbeiten oder sich um die neuen kümmern könnten.
Dem BAMF fehlt aber nicht nur Personal, sondern offensichtlich auch technische Expertise – viele Akten, die elektronisch vorhanden sind, werden immer noch per Post versandt. Infolge solcher veralteten Kommunikationswege müssen die Richter wie in vergangenen Zeiten mit Papierakten arbeiten.
"Obwohl alle Dokumente elektronisch verfügbar sind und per Knopfdruck zu versenden wären, wird ausgedruckt und eingetütet", kritisierte auch der nordrhein-westfälische Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) am Freitag. Warum das Bundesamt nicht die Möglichkeit nutzt, über das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach mit dem Verwaltungsgericht zu kommunizieren, ist auch dem Sprecher des VG Schleswig Alberts "nicht bekannt".
2/2: NRW: Mehr Spezialisierung und eine Task Force Asyl
Nach Informationen von WAZ und der Deutschen Presseagentur dauert es im Schnitt drei Wochen, bis die von den Gerichten angeforderten Akten eintreffen. Die Entscheidung im Eilverfahren falle dann innerhalb einer Woche. Denn obwohl der Deutsche Richterbund noch in der vergangenen Woche monierte, dass die Gerichte nicht gut genug auf den elektronischen Rechtsverkehr eingestellt seien, ist die Justiz offenbar besser vorbereitet als das BAMF.
In NRW haben sich die Richter inzwischen regional spezialisiert, um effektiver zu arbeiten. Spruchkörper bearbeiten bestimmte Herkunftsländer oder sogenannte Dublin-Verfahren, die die Frage betreffen, welcher EU-Mitgliedstaat für das Asylverfahren zuständig ist. In Schleswig-Holstein hingegen gibt es zwar auch eine spezialisierte Asylkammer. Dennoch hat fast jeder der 39 Richter mit Asylfällen zu tun.
In NRW gibt es bei jedem Gericht auch Asyl-Ansprechpartner für einen schnellen Informations- und Erfahrungsaustausch innerhalb der Gerichtsbarkeit sowie eine "Task Force Asyl", die auf Leitungsebene die erforderlichen Entscheidungsprozesse vorbereitet.
Mehr Richterstellen, doch der Flaschenhals bleibt
Schließlich werden die Richterstellen erhöht: In diesem Jahr sind in NRW 22 neue Richterinnen und Richter eingestellt worden, die unter Berücksichtigung der örtlichen Belastung auf die sieben Verwaltungsgerichte im Land verteilt wurden. Auch das VG Schleswig bekam in diesem Jahr vier neue Richterstellen, für 2016 sind vier weitere geplant.
Für 2016 hat die nordrhein-westfälische Landesregierung sogar 37 weitere Richterstellen sowie 39 Stellen im nichtrichterlichen Dienst zugesagt. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) zeigte sich am Freitag im WDR zuversichtlich, dass es in den nächsten Monaten mit zusätzlichen Entscheidern auch für die anderen Flüchtlingsgruppen zügiger laufen werde.
Außerdem versuchen die Gerichte, auf die Entscheidungspraxis des BAMF mit einer schnellen Anpassung ihrer Geschäftsverteilung zu reagieren und beispielsweise Asylanträge aus bestimmten Herkunftsländern vorrangig zu bearbeiten.
Doch NRWs Innenminister Ralf Jäger (SPD) betonte in Richtung Bund: "Alle Ideen können noch so gut sein, sie stehen und fallen mit der Leistungsfähigkeit des Bundesamtes".
ahe/LTO-Redaktion
Mit Materialien von dpa
Lange Asylverfahren an den Verwaltungsgerichten: Drei Wochen, bis die Akte kommt . In: Legal Tribune Online, 09.11.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17487/ (abgerufen am: 28.04.2024 )
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