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Linde verabschiedet sich aus dem DAX: Delis­ting - Wie und warum?

von Dr. Richard Mayer-Uellner und Dr. Dirk Schmidbauer

15.02.2023

Bulle und Bär als Statuen vor der Frankfurter Börse.

Abschied von Bulle und Bär in Frankfurt: Linde verzichtet künftig auf ein duales Listing ihrer Aktien. Bild: Circumnavigation - stock.adobe.com

Mit dem Rückzug von Linde verliert der DAX sein letztes Schwergewicht. Richard Mayer-Uellner und Dirk Schmidbauer skizzieren den Ablauf und erläutern rechtliche sowie wirtschaftliche Hintergründe eines Delisting.

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Anfang März wird das aktuell wertvollste Mitglied des Deutschen Aktienindex (DAX) das Parkett der Frankfurter Wertpapierbörse endgültig verlassen und dem Börsenplatz Deutschland den Rücken kehren. Die Aktionäre der Linde haben zu Beginn des Jahres in einer außerordentlichen Hauptversammlung mehrheitlich für eine Umstrukturierung gestimmt, die zu einem sogenannten kalten Delisting führen wird.

Die Aktien der Linde sind bislang im regulierten Markt der Frankfurter Wertpapierbörse und der New York Stock Exchange zum Handel zugelassen. Mit einer Marktkapitalisierung von rund 150 Milliarden Euro findet sich Linde im Mittelfeld der weltweit 100 wertvollsten Börsenunternehmen. Damit ist der Konzern das letzte an einer deutschen Börse notierte Schwergewicht. 

Erscheinungsformen und Voraussetzungen des Delisting

Als Delisting bezeichnet man den dauerhaften Fortfall der Zulassung einer Aktie zum Handel an einer Börse. Differenziert wird zwischen dem sogenannten echten oder regulären Delisting, bei dem die Zulassung der Aktien aktiv durch die Gesellschaft widerrufen wird, und dem sogenannten kalten Delisting, bei dem die Zulassungsvoraussetzungen aufgrund einer Strukturmaßnahme entfallen. Das Delisting kann einen vollständigen Börsenrückzug zur Folge haben (Going Private). Es kann auch allein dazu dienen, die Notierung an verschiedenen Börsenplätzen zu reduzieren (Börsenpräsenzreduktion).

Das echte Delisting setzt einen Antrag der Gesellschaft auf Widerruf der Zulassung zum Handel bei der Zulassungsstelle der Börse voraus. Die Zustimmung der Hauptversammlung ist hierfür nach deutschem Recht nicht nötig. Eine Entscheidung über den Widerruf obliegt allein dem Vorstand, gegebenenfalls mit Zustimmung des Aufsichtsrats. 

Darüber hinaus ist bei einem Delisting aus dem regulierten Markt – im Unterschied zum Freiverkehr – die anlegerschützende Vorschrift des § 39 Abs. 2 Satz 3 BörsG zu beachten: Sofern die Aktie nicht mehr zum Handel im regulierten Marktsegment einer inländischen Börse oder in einem vergleichbaren ausländischen organisierten Markt zugelassen ist, muss die Gesellschaft oder ihr Hauptaktionär den Aktionären ein Erwerbsangebot nach den Vorschriften des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes (WpÜG) unterbreiten. Damit wird eine Desinvestition zu einem bestimmten Mindestpreis ermöglicht.

Beim kalten Delisting ist der Fortfall Handelszulassung nur die Nebenfolge einer aktien- oder umwandlungsrechtlichen Strukturmaßnahme, die originär von der Hauptversammlung der Gesellschaft beschlossen wird. Anders als beim echten Delisting wird kein Antrag bei der Börse gestellt. Vielmehr wird die Zulassung von Amts wegen widerrufen, weil der ordnungsgemäße Handel der Aktie nicht mehr gewährleistet ist. Von besonderer praktischer Bedeutung sind der Ausschluss der Minderheitsaktionäre (Squeeze-out), die übertragende Verschmelzung, die Aufspaltung auf nicht börsennotierte Gesellschaften und der einfache Formwechsel in eine nicht börsenfähige Rechtsform.

Linde entscheidet sich für kaltes Delisting

Der Vorstand von Linde wählte für den Rückzug von der Frankfurter Wertpapierbörse den Weg eines kalten Delisting. Er schlug den Aktionären zu diesem Zweck eine übertragende Verschmelzung nach irischem Recht (Merger by Absorption) vor: Im Rahmen der Verschmelzung wird die bisherige Linde plc auf eine neugegründete Holding verschmolzen und damit erlöschen, ohne liquidiert zu werden. Die Linde-Aktionäre tauschen dabei jeweils eine Aktie an der Linde plc gegen eine Aktie an der neugegründeten Holding. Alle Aktionäre steigen also in die neugegründete Holding auf. Mit Erlöschen des Rechtssubjekts der bisherigen Linde plc entfallen zugleich die Zulassungsvoraussetzungen für den Handel im regulierten Markt der Börse(n).

Die Besonderheit in diesem Fall: Die ebenfalls in der Rechtsform einer Public Liability Company gegründete Holding wird nicht nur sämtliche Vermögenswerte und Verbindlichkeiten der "alten" Linde, sondern auch deren Satzung und Firma "Linde plc" übernehmen. Für die Aktien der Holding wird – wie für die bisherigen Linde-Aktien – die Zulassung zum Handel an der New York Stock Exchange beantragt. Mit Wirksamwerden werden die Aktien der Holding unter derselben Wertpapierkennnummer wie einst die Linde-Aktien zum Handel an der New York Stock Exchange zugelassen. Letztendlich wird durch die Umstrukturierung lediglich die Zulassung der Aktien im regulierten Markt der Frankfurter Wertpapierbörse aufgehoben und eine Börsenpräsenzreduktion erwirkt.

Vorteil des kalten Delisting ist, dass kein förmliches Widerrufsverfahren mit Anlegerschutzprüfung nach den Voraussetzungen des § 39 BörsG durchgeführt werden muss. Insbesondere gibt es kein Erfordernis eines Delisting-Erwerbsangebots nach dem WpÜG an die Aktionäre der Gesellschaft. Zudem kann die Börsenpräsenzreduktion zügig vollzogen werden, wenn nach dem Delisting sämtliche, ursprünglich an verschiedenen Börsen notierten Aktien, an nur noch einer Börse zum Handel zugelassen werden sollen.

Gründe für ein Dual-Listing und eine Börsenpräsenzreduktion

Die Gründe für und gegen eine Mehrfachnotierung, auch Dual-Listing genannt, sind vielfältig. Wesentliche Aspekte sind die historische Anknüpfung an einen beziehungsweise mehrere Börsenplätze, vor allem nach einem Unternehmenszusammenschluss – wie bei Linde und Praxair. Auch die geographischen Schwerpunkte des bestehenden und potentiellen Anlegerkreises, die (globale) Kapitalmarktpräsenz oder regulatorische Auflagen und Zulassungsfolgepflichten der jeweiligen Börsenplätze können Gründe dafür sein. 

Ebenso kann nur im Einzelfall beurteilt werden, ob eine Börsenpräsenzreduktion mehr Vor- als Nachteile bringt. Aufgrund der oft divergierenden regulatorischen Auflagen und Zulassungsfolgepflichten der Börsen ist die Mehrfachnotierung jedenfalls mit einem erheblichen Zeit-, Personal- und Kostenaufwand verbunden. Vor allem die Investor- und Public Relations-Aufgaben sowie Compliance-Anforderungen sind in der Regel deutlich aufwendiger und komplexer. Nachteilig kann sich die Mehrfachnotierung aber auch auf die Bewertung der Aktie auswirken. Denn die Aktienbewertung wird im Fall der Mehrfachnotierung gleichzeitig durch die unterschiedlichen Faktoren und Bestimmungen mehrerer Börsenplätze beeinflusst.

Auch der Vorstand von Linde begründet den Rückzug von der Frankfurter Wertpapierbörse mit dem Mehraufwand für das Dual-Listing in den Bereichen Bilanzierung, Corporate Governance und Compliance. Zudem wies er darauf hin, dass sich die – allein bei europäischen Aktienindizes vorgesehene – sogenannte Kappungsgrenze negativ auf die Aktienbewertung auswirkt. Diese begrenzt die Gewichtung eines einzelnen Börsenunternehmens in einem Aktienindex.

Da Linde die Kappungsgrenze des DAX von 10 Prozent regelmäßig überschreitet und infolgedessen ihre Gewichtung gekappt wird, sind die den DAX nachbildenden Indexfonds beständig dazu gezwungen, Linde-Aktien abzustoßen. Dies führt nach Angaben des Vorstands zu einem stetigen technischen Verkaufsdruck, der sich negativ auf die Aktienbewertung auswirkt.

Für den Börsenstandort Deutschland ist das Delisting von Linde ein herber Verlust. Die Vorstände von Börsenunternehmen sind aber dazu verpflichtet, die Vor- und Nachteile der Mehrfachnotierung fortlaufend abzuwägen und die Möglichkeit einer (auch inländischen) Börsenpräsenzreduktion im Wege eines Delisting im Blick zu halten.

 

Richard Mayer-UellnerDirk SchmidbauerDr. Richard Mayer-Uellner, LL.M. (UCL) ist Rechtsanwalt und Partner bei der internationalen Wirtschaftskanzlei CMS Deutschland.

Er ist auf Unternehmensübernahmen sowie auf Aktien- und Kapitalmarktrecht spezialisiert.

Dr. Dirk Schmidbauer ist Rechtsanwalt bei CMS Deutschland. Zu seinen Tätigkeitsschwerpunkten gehört die Beratung im Aktien- Konzern- und Kapitalmarktrecht, einschließlich des Wertpapiererwerbs- und Übernahmerechts.

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Linde verabschiedet sich aus dem DAX: . In: Legal Tribune Online, 15.02.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51061 (abgerufen am: 23.05.2025 )

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