Das Legal-Tech-Unternehmen Bryter wächst rasant. Mitgründer Michael Grupp sagt, wie er inmitten der Corona-Pandemie Investoren gewonnen hat, warum er nach New York ziehen will und wieso Jura beim Gründen hilft.
LTO: Herr Grupp, Können Sie in zwei Sätzen erklären, was Bryter macht?
Michael Grupp: Bryter ist eine Software, mit der Experten in Rechtsabteilungen, Kanzleien oder bei Steuerberatern, die beruflich mit Regeln umgehen, ihr Denken digitalisieren. Sie können mit Bryter selbst Anwendungen entwickeln, die sie bei wiederkehrenden Prüfungen unterstützen oder sogar automatisch arbeiten.
Das waren zwar wirklich nur zwei Sätze – aber geht es konkreter?
Ich mache ein Beispiel: In einer großen Beratungsgesellschaft fragen Mitarbeiter aus dem Marketing oder Vertriebsteam täglich bei der Compliance-Abteilung an: Sie haben ein Geschenk oder eine Einladung erhalten. Dürfen sie das annehmen? Und wenn ja, was müssen sie tun? Diese Frage lässt sich nicht mit "ja" oder "nein" beantworten, sondern die Compliance-Abteilung muss Rückfragen stellen. Zum Beispiel: Welche Position hat der Beschenkte? Ist es ein Partner bzw. Abteilungsleiter oder ein Angestellter? Was ist das für ein Geschenk? Wie teuer ist es? Wer schenkt? Vielleicht jemand, der schon auf einer Geldwäsche-Liste steht?
Bryter liefert den Baukasten, damit die Compliance-Abteilung ohne großes eigenes technisches Verständnis eine Anwendung entwickeln kann, die diese Prüfung erledigt. Der Prototyp steht meist nach wenigen Stunden, in zwei bis drei Tagen ist die Software in der Regel fertig und kann zum Beispiel als App auf das Smartphone der Mitarbeiter geladen werden oder in die Programme der Firma eingebunden werden.
"Prüfwissen wird anfassbar gemacht"
Für Juristen ist spannend, dass das Prüfwissen selbst anfassbar gemacht wird - und die Firma kann beliebige weitere Aktionen daran anknüpfen, beispielsweise lässt sich ein Dokument generieren oder ein Freigabeprozess auslösen. Zudem kann die Beratungsgesellschaft dieses digitalisierte Prüfwissen ihres Compliance Experten auch extern einsetzen und Mandanten anbieten, die vielleicht ein ähnliches Problem haben.
Bryter hat kürzlich eine Finanzierungsrunde von 16 Millionen Euro abgeschlossen, eine erste Runde im November 2019 brachte 6 Millionen Euro ein. Was soll mit dem Geld geschehen?
In den vergangenen zwei Jahren haben wir zunächst einen Schwerpunkt auf das Produkt gelegt: Wir haben die Software so entwickelt, dass sie in großen Unternehmen zum Einsatz kommen kann. Und wir haben gelernt, für welche Unternehmen unsere Software am besten geeignet ist und wie die Prozesse für Rollout und Support laufen müssen. Wir haben also auch das Geschäftsmodell erprobt, jetzt können wir skalieren und wachsen. In den nächsten Monaten planen wir, 50 Leute einstellen, vor allem in der Kundenbetreuung und im Vertrieb sowie weiter in der Softwareentwicklung.
Die Finanzierung wurde in Coronazeiten abgeschlossen. Hat das die Sache erschwert?
Normalerweise dauert ein Fundraising fünf bis sechs Monate - vom ersten Kontakt bis zu dem Moment, in dem das Geld auf dem Konto eingeht. Oft dauert es mehrere Wochen, um Interesse bei Investoren zu wecken. Man trifft sich mehrmals mit den Fonds, entwickelt eine gemeinsame Strategie und schaut, ob man das gleiche Verständnis von Strategie und hat und zusammenarbeiten möchte. Denn gerade im Bereich der Unternehmenssoftware und bei internationalen Wachstumsplänen sind Investoren mit Branchenkenntnis hilfreich.
Finanzierungsrunde in acht Wochen abgeschlossen
Bei der Finanzierungsrunde, die wir jetzt abgeschlossen haben, waren es vier Wochen bis zum Term Sheet und dann wenige Tage bis zur Beurkundung - also ein Sprint, kein Marathon. Weil wir die Investoren, vor allem aus den USA, nicht persönlich treffen konnten, haben wir sehr viele Videokonferenzen gemacht. Ich saß in dieser Zeit von sieben Uhr am Morgen bis elf Uhr am Abend quasi ununterbrochen in Video-Calls. Zuerst wurde eine bis eineinhalb Stunden mit dem einem Fonds verhandelt, dann hat schon die nächste Besprechung mit dem nächsten Fonds begonnen. Gerade bei neuen Investoren gehört es dazu, Begeisterung für unser Unternehmen zu wecken. Das ist natürlich schwieriger, wenn man das Gegenüber nicht richtig trifft.
Das klingt anstrengend. Macht das noch Spaß?
Auf jeden Fall! Auch wenn es hart ist - es ist ein großes Glück, dass wir das machen dürfen, was uns Freude bereitet. Was mir dabei besonders gut gefällt sind die strategischen Aspekte. Gerade während des Fundraisings stehen wir im Dauerdialog mit den Investmentbankern und Analysten der Investoren und diskutieren viele Aspekte des Unternehmens und der Unternehmensplanung. Das bringt auch Feedback, zum Teil von ganz anderer Perspektive, zum Beispiel aus anderen Branchen oder Märkten wie den USA.
Investoren aus dem Silicon Valley haben einen anderen Ansatz als die meisten europäischen oder deutschen Investoren. Sie arbeiten vor allem hypothesenbezogen, also suchen Unternehmen, die in eine bestimmte Vorstellung der zukünftigen Marktentwicklung passen. Zudem orientiert sich das Fundraising auch oft nach Marktgeschehnissen, das heißt man wird viel mit anderen Unternehmen verglichen. Vor allem aber ist der Bereich der Unternehmenssoftware einfach besser bekannt.
Bryter plant den Schritt in die USA. Wann ist es soweit?
Sobald sich die USA auch administrativ wieder öffnen. Die US-Tochtergesellschaft gibt es bereits, wir sind gerade auf Bürosuche. Mein Mitgründer Micha-Manuel Bues und ich werden für den Markteintritt auch nach New York ziehen und stellen dafür ein Team zusammen. Wir möchten wirklich vor Ort sein und die ersten Schritte nicht aus Deutschland heraus lenken. Der Markt ist uns zu wichtig, um das nebenbei zu machen und immerhin mit Abstand der größte Softwaremarkt der Welt.
"Wir wollen ein Gefühl für den Markt entwickeln"
Mit unserem Standort in London haben wir das in der Anfangsphase ähnlich gemacht. Wir sind zwar nicht komplett umgezogen, aber haben uns pro Monat ein bis zwei Wochen reserviert, in denen wir selbst in London vor Ort waren, selbst wenn es keinen konkreten Anlass gab. Die Termine kamen dann schon. Und der direkte Kontakt zu den Kunden und den Mitarbeitern vor Ort hat sich als sehr hilfreich erwiesen, um den Markt zu verstehen und Kontakte aufzubauen.
Als Digitalunternehmen setzen Sie trotzdem auf eine phyische Präsenz?
Ja, das wird erwartet. Unsere Software ist eine größere Anschaffung. Das ist kein Kauf, bei dem der Kunde einfach Kreditkartendaten online eingibt. Wir beraten dazu, unterstützen auch bei Demos und ersten Testläufen und letztlich beim Rollout innerhalb der Kanzlei und der Rechtsabteilung. Und viele Kanzleien und Beratungsunternehmen entwickeln mit Bryter ja Lösungen für ihre Mandanten - da ist es wichtig, die Kunden persönlich zu treffen. Natürlich geht das auch "remote" wenn es sein muss – insbesondere derzeit – aber für die langfristige Zusammnarbeit ist es besser, wenn man sich persönlich gegenübersitzt.
Ich glaube außerdem, dass es für die Wahrnehmung einer Firma wichtig ist, eine echte Präsenz zu haben, in die man Kunden einladen kann und wo Bewerbungsgespräche geführt werden.
Sie und Ihr Mitgründer Micha-Manuel Buessind Juristen, haben in Großkanzleien gearbeitet und hätten sicher dort auch Karriere machen können. Warum sind Sie unter die Gründer gegangen?
Ob man uns in der Großkanzlei hätten Karriere machen lassen, ist nicht so klar! (lacht) Nein, wir waren gern in der Kanzlei. Aber aus heutiger Sicht sind wir froh, dass wir diesen Weg gewählt haben. Als Unternehmer haben wir mehrere Tätigkeitsbereiche, die uns liegen - beispielsweise strategische Planung, in Geschäftsmodellen denken, aber auch Verhandlungen und wie gesagt Transaktionen mit Partnern und Investoren. Zudem sind wir häufig mit Kanzleien und Rechtsabteilungen in strategischen Gesprächen und wir sind in viele aktuelle Digitalisierungsprojekten direkt involviert. Das ist hoch spannend.
"Wir können nicht verkaufen, ohne Kanzleien zu kennen"
Hilft Jura beim Gründen?
Absolut! Sowohl unser Produkt als auch unser Markt sind juristisch geprägt.Wir könnten nicht an Kanzleien verkaufen, ohne Kanzleien zu kennen. Aber auch abgesehen davon hat Unternehmertum viel mit Jura zu tun, ich will nur das häufig bemühte "strukturierte Denken" erwähnen. Juristen können schematisch, szenarisch und planend denken, das hilft. Und wer ein Unternehmen gründet, für den spielen beispielsweise Arbeitsrecht, Finanzierungen und M&A-Transaktion eine große Rolle – hier gibt Jura die Regeln vor.
Sie hätten auch eine Kanzlei gründen können…
Der Charme lag ja darin, etwas Innovatives zu schaffen. Und wir sind überzeugt, dass sich die Geschäftsmodelle von Kanzleien wandeln. Außerdem schaffen wir mit dem Unternehmen etwas, das einen größeren Wert entwickelt. Enterprise-Softwareunternehmen werden sogar an der Börse noch mit Umsatzmultiplen von über 20 bewertet, mit einem Beratungsunternehmen wie einer Kanzlei lässt sich so ein hoher Wert nicht aufbauen. Ich selbst hatte vor Bryter ein Softwareunternehmen gegründet und das dann verkauft. Wer einmal seine eigene M&A gemacht hat, kehrt nicht mehr in die Kanzlei zurück!
Vielen Dank für das Gespräch!
Michael Grupp ist Rechtsanwalt und Unternehmer. Er war zunächst Anwalt bei Freshfields und hat nach seinem Ausstieg dort das Unternehmen Thesius gegründet, das später an Persona Service verkauft wurde, sowie Lexalgo, das 2018 in Bryter aufging.
Interview mit Bryter-Gründer Michael Grupp: . In: Legal Tribune Online, 01.07.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42055 (abgerufen am: 15.11.2024 )
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