Mollath kommt frei und sein Strafverfahren wird wieder aufgenommen, entschied das OLG Nürnberg am Dienstag. Der Beschluss vom 6. August 2013 ist aber nicht nur strafrechtlich interessant. Die Ausführungen zur Echtheit einer Urkunde in Fällen der Stellvertretung geben Alexander Weinbeer Anlass, auf einige auch für die zivilrechtliche Praxis bedeutsame Punkte einzugehen.
Gustl Mollath kommt frei, weil im Ausgangsverfahren gegen ihn eine unechte Urkunde zu seinen Ungunsten als echt behandelt wurde. Dies stellte das OLG Nürnberg vor wenigen Tagen in der wohl meistbeachteten Gerichtsentscheidung des Jahres fest. Das Attest, welches die angeblich von Mollath verursachten Verletzungen seiner Ehefrau dokumentieren sollte, wies in Briefkopf und Unterschrift eine "Dr. med. Madeleine R." als Ausstellerin aus. Tatsächlich stammte es jedoch nicht von dieser, sondern von ihrem Sohn, der gleichfalls als Arzt arbeitet und seine Mutter vertreten haben soll. Den Zusatz "i.V." (in Vertretung) hatte er so klein geschrieben, dass er mit bloßem Auge nicht erkennbar war.
Nach § 164 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) wirkt eine Willenserklärung, die jemand innerhalb der ihm zustehenden Vertretungsmacht im Namen des Vertretenen abgibt, für und gegen diesen. Schon dem Wortlaut nach beschränkt sich die Zurechnungsfunktion des § 164 BGB auf Willenserklärungen. Die so genannte Wissensvertretung, bei der es tatsächlich um Fragen der Wissenszurechnung geht, beschreibt § 166 BGB. Damit wird aber nur festgelegt, ob jemand bestimmte Tatsachen positiv kennt oder zumindest kennen müsste.
Es ist daher keinesfalls, wie unter anderem in den Kommentaren zum LTO-Interview mit Prof. Dr. Henning Ernst Müller zu lesen war, "völlig egal", "was auf dem Briefkopf oder einem Stempel steht", da das Attest mit "Wissen und Wollen der Berechtigten (der Ärztin) erstellt wurde und zwar im Rahmen einer zulässigen Vertretung". Hierbei werden nämlich Fragen der zivilrechtlichen Wirksamkeit von Vertretergeschäften mit dem Gesichtspunkt der strafrechtlichen Echtheitserwägungen zum Urkundenbegriff unzulässig vermengt und Aspekte des Gesellschaftsrechts außer Acht gelassen.
Außendarstellung ist wichtig
Denn die Außendarstellung etwa auf dem Briefkopf hat erhebliche praktische Relevanz. Freiberufler wie Ärzte oder Rechtsanwälte kooperieren häufig in Gemeinschaftspraxen oder Sozietäten und stellen dies nach außen auf dem Briefpapier oder der Internetpräsenz auch zur Schau. Nicht selten erfolgen solche Kooperationen ohne Abschluss eines Gesellschaftsvertrags. Man spricht dann von einer Scheingemeinschaftspraxis oder Scheinsozietät, weil es an einer gesellschaftsvertraglichen Beziehung dieser Personen fehlt.
Auch bei "echten" Gemeinschaftspraxen oder Sozietäten werden bisweilen Personen auf dem Briefkopf erwähnt, obwohl sie überhaupt nicht Gesellschafter sind. Diese Personen unterliegen als sogenannte Scheingesellschafter aber derselben Haftung wie die "echten" Gesellschafter, weil man in der Regel nicht ohne Weiteres erkennen kann, ob die genannte Person die Stellung eines Gesellschafters oder Scheingesellschafters innehat. Dies kann weitreichende Folgen haben:
Nach einem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) stellt es einen Fall der missbräuchlichen Nutzung der Kooperationsform Gemeinschaftspraxis dar, wenn zwei Ärzte die vertragsärztliche Tätigkeit nur scheinbar als Gesellschafter "gemeinsam" ausgeübt haben, obwohl faktisch der eine Arzt in Einzelpraxis tätig war, während der andere tatsächlich als Assistent bzw. Angestellter beschäftigt wurde. Der auf dieser pflichtwidrigen Verhaltensweise beruhende Honoraranteil musste zurückgezahlt werden (vgl. BSG, Urt. v. 23.06.2010, Az. B 6 KA 7/09 R).
Eine Junganwältin wurde aufgrund ihrer Nennung im Briefkopf einer Anwaltssozietät als Scheinsozia wegen der Veruntreuung der beiden Altsozien wiederum erfolgreich von dem geschädigten Mandanten zur Zahlung einer Entschädigung in Anspruch genommen, ohne sich dafür bei dem Berufshaftpflichtversicherer schadlos halten zu können, wie der Bundesgerichtshof (BGH) vor zwei Jahren entschieden hat (BGH, Urt. v. 21.07.2011, Az. IV ZR 42/10).
Es ist also nicht nur beim strafrechtlichen Urkundenbegriff, sondern auch für die zivilrechtliche Einordnung keineswegs egal, was auf dem Briefkopf oder einem Stempel steht. Vielmehr sollte sich jeder bewusst sein, dass er sich nicht unerheblichen Haftungsrisiken aussetzt, wenn er eine derartige Außendarstellung betreibt oder bestimmte Kooperationsformen missbräuchlich ausnutzt.
2/2 Gefahren der (verdeckten) Stellvertretung für Angehörige der freien Berufe
Es ist nicht ausgeschlossen, dass selbst bei Unterzeichnung eines Schriftstücks mit dem eigenen Namen eine unechte Urkunde hergestellt wird, wenn aufgrund der konkreten Einzelfallumstände – etwa durch Verwendung eines in bestimmter Weise gestalteten Briefkopfes – die Erklärung nicht dem Unterzeichnenden, sondern einer anderen Person zugerechnet wird, weil der Unterzeichner nach der maßgeblichen Verkehrsanschauung weniger wichtig ist als die nach dem Anschein der Urkunde von ihm vertretene Behörde oder Firma (vgl. BGH, Urt. v. 06.12.1961, Az. 2 StR 350/61).
Darüber hinaus können die Urkundenechtheit und damit auch die rechtliche Wirksamkeit eines solchen Schriftstücks entfallen, wenn die Vertretung für die fragliche Erklärung rechtlich nicht zulässig ist. Demnach kann nicht nur das im Wiederaufnahmebeschluss des OLG Nürnberg vom 6. August 2013 (Az. 1 WS 354/13 WA) gegenständliche ärztliche Attest nicht in Stellvertretung unterzeichnet werden. Auch die "anwaltliche Versicherung" als Mittel der Glaubhaftmachung nach § 294 Zivilprozessordnung (ZPO) oder bestimmte Schriftsätze in Straf- oder Zivilverfahren, wie etwa die Klage- oder Berufungsschrift, erfordern eine eigenhändige Unterschrift des Rechtsanwalts. Und das vom Vertreter unterschriebene Sachverständigengutachten entfaltet mit Blick auf § 411 Abs. 1 ZPO ebenfalls keine Wirkung.
Schließlich kann ein mit einer unleserlichen Unterschrift versehenes Schriftstück nach einer im juristischen Schrifttum vertretenen Ansicht als sogenanntes anonymes Schreiben behandelt werden, welches keine Urkunde darstellt. Dass davon nicht nur Ärzte mit ihrer dem Klischee nach stets unleserlichen Handschrift betroffen sind, zeigt auch ein LTO-Beitrag vom 3. Juni 2013 zur Berufungsschrift einer Anwältin, die vom OLG Nürnberg mangels leserlicher Unterschrift als unzulässig behandelt wurde.
Zwar hatte der BGH der Anwältin aus Gründen des Vertrauensschutzes Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in die versäumten Rechtsmittelfristen gewährt. Wäre die unleserliche Unterschrift aber zuvor nicht längere Zeit ohne Beanstandung als formgültig hingenommen worden, hätte die vorangegangene Entscheidung Bestand gehabt (BGH, Beschl. v. 11.04.2013, Az. VII ZB 43/12).
Der Beschluss des OLG Nürnberg im Fall Mollath veranschaulicht exemplarisch, dass das in der Praxis häufig allzu sorglose Auftreten von Stellvertretern nach außen etwa bei der Unterzeichnung von Schriftstücken ohne hinreichend deutlichen Vertretungszusatz riskant ist und erhebliche Nachteile für die Betroffenen solcher Sorglosigkeiten haben kann. Man braucht sich dazu nur die arbeitsgerichtlichen Auseinandersetzungen vorzustellen, wenn Arbeitgeber unleserlich und mit unklarem Vertretungszusatz unterzeichnete Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nicht mehr akzeptieren.
Der Autor Dr. Alexander Weinbeer ist Rechtsanwalt bei bock legal in Frankfurt am Main.
Dr. Alexander Weinbeer, Mollath-Beschluss des OLG Nürnberg auch für Freiberufler interessant: Die Tücken der Unterschrift . In: Legal Tribune Online, 09.08.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9329/ (abgerufen am: 26.04.2024 )
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