Dieser Tage dreht sich alles um den Ball und das Spiel, das nur noch selten 90 Minuten dauert. Ob Jogi Löw nun Toni Kroos und Co. die Bettgehzeit vorschreiben kann und alle anderen wichtigen Rechtsfragen zur EM, erklärt Stefan Seitz.
LTO: Was sind die kniffeligen Rechtsfragen rund um die EM? Oder bewerten Spieler wie auch Vereine und Verbände die Ehre, fürs jeweilige Vaterland antreten zu dürfen, so hoch, dass es tatsächlich eher wenige juristische Streitigkeiten gibt?
Dr. Stefan Seitz: Es gibt sicherlich viele kniffelige Rechtsfragen, die sich rund um den Einsatz von Profisportlern in Nationalmannschaften ranken. In der Tat gibt es hierzu dennoch kaum juristische Auseinandersetzungen. Ob hierfür allseitiger Patriotismus das entscheidende Motiv ist, darf aber bezweifelt werden. Im Ergebnis profitieren auch die Vereine davon, dass ihre Spieler bei einer WM oder EM mitspielen. Denn ein erfolgreicher Auftritt bei einem großen Turnier steigert den Marktwert des Spielers und hat generell positive Effekte für den Sport und damit auch für die Liga. Außerdem verkauft sich das Trikot eines Welt- oder Europameisters sicherlich besonders gut.
LTO: Was für Verträge haben die Spieler für die EM? Schließen sie Arbeitsverträge mit dem DFB?
Seitz: Fußballspieler sind Arbeitnehmer ihres jeweiligen Vereins – auch während der EM. Einen Arbeitsvertrag mit dem DFB gibt es also nicht. Für die Spiele der Nationalmannschaft werden die Profis vielmehr von den Vereinen "abgestellt". Diese Abstellung ist im FIFA-Reglement bezüglich Status und Transfer von Spielern sowie im sog. Grundlagenvertrag zwischen dem DFB und der Liga geregelt. Die Profiverträge nehmen regelmäßig auf diese Verbandsvorschriften Bezug. Das Reglement der UEFA-Fußball-Europameisterschaft 2014-16 verweist wiederum auf die FIFA-Regeln zur Abstellung.
Die Vereine bekommen Geld für die Abstellung
LTO: Wie genau wirkt denn diese Abstellungsverpflichtung?
Seitz: Über Geltungsgrund und Rechtsnatur dieser Verbandsregeln wurden schon viele Dissertationen geschrieben. In der Praxis werden sie aber gelebt und akzeptiert, auch wenn zum Beispiel im Handball die Abstellverpflichtung 2014 erfolgreich angegriffen wurde. Dort fehlte es aber anders als im Fußball vollständig an finanziellen Kompensationsleistungen für die Vereine.
Arbeitsrechtlich ähnelt die Abstellung einer Arbeitnehmerüberlassung. Es besteht aber nicht das übliche Dreiecks-Verhältnis zwischen Verleiher, Entleiher und Leiharbeitnehmer, sondern in Wirklichkeit mindestens ein Viereck aus DFB, DFL, Verein und Spieler. Der DFB zahlt eine Abstellungsentschädigung sowie Anteile an seinen Einnahmen aus der Vermarktung der A-Nationalmannschaft an die Liga, die dann ihrerseits anteilige Zahlungen an die Vereine leistet. FIFA und UEFA wirken durch ihre Regelungen und den sog. koordinierten internationalen Spielkalender auf diese Beziehungen ein, sie sind quasi jeweils der Auslöser der Abstellungsverpflichtung.
LTO: Es gibt also für die Vereine eine Verpflichtung, nominierte Spieler für die Teilnahme an Spielen der Nationalmannschaft freizustellen. Was ist aber, wenn sich ein Spieler weigert?
Seitz: Das ist gerichtlich für Deutschland noch nicht entschieden. Auch für diese Fragen gilt: In der Praxis wird das nicht mit juristischen Auseinandersetzungen gelöst. Sportlich ist es sicherlich nicht sinnvoll, einen unwilligen Spieler zu seinem WM/EM-Glück mit der Nationalmannschaft zu zwingen, auch wenn er der Mannschaft – wie etwa Philipp Lahm – fehlen mag. Das Phänomen ist übrigens nicht neu: Auch Bernd Schuster hat ja in den 80er Jahren nur in einem "großen" Turnier für Deutschland gespielt und ist anschließend wegen angeblich überzogener Honorarforderungen nicht mehr dabei gewesen.
2/3: Freies Ermessen für den Trainer
LTO: Folgt denn aus der Abstellung eine Weisungsbefugnis für den DFB und den Trainer Joachim Löw?
Seitz: Im Ergebnis ja. Bleibt man beim Vergleich zur Arbeitnehmerüberlassung, dann überträgt der jeweilige Verein als Arbeitgeber zumindest teilweise sein arbeitsrechtliches Weisungsrecht im Rahmen der Abstellung an den DFB. Jogi Löw kann dann als "leitender Angestellter" den Spielern Weisungen erteilen.
LTO: Wie weit reicht denn die Weisungsbefugnis von Verein und Trainer?
Seitz: In sportlicher Hinsicht sehr weit. Das LAG Rheinland-Pfalz (Urt. v. 17.02.1016, Az. 4 Sa 202/15) hat bestätigt, dass im Berufsfußball der Trainer zum Beispiel über den Einsatz eines Spielers im Rahmen seines Direktionsrechts nicht nur nach billigem Ermessen, sondern nach freiem Ermessen entscheiden darf. Er darf also frei über die Aufstellung der Mannschaft entscheiden. Er lässt sich dabei von Einschätzungen zur aktuellen Leistungsfähigkeit seiner Spieler, taktischen Erwägungen und Intuition leiten. Zudem weist das Gericht zu Recht darauf hin, dass seine Entscheidung auch durch Dritte wie Spielerpersönlichkeiten in der Mannschaft, Vorstand, Manager, Fans und Medien und damit zwangsläufig auch von der Berücksichtigung anderer als nur sportlicher Gründe beeinflusst wird.
Weniger weitreichend sind die Weisungsrechte hingegen bei Fragen außerhalb des Sports. Hier gilt wie bei jedem anderen Arbeitnehmer: Die Weisung muss nach §§ 106 Gewerbeordnung (GewO), 315 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) billigem Ermessen entsprechen. Bei der Auslegung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs spielt die Drittwirkung der Grundrechte eine entscheidende Rolle. Dabei können vor allem das allgemeine Persönlichkeitsrecht, aber z.B. auch die Religions- und Gewissensfreiheit oder die Meinungsfreiheit dem Weisungsrecht des Arbeitgebers Grenzen setzen.
Kollidieren die Grundrechte des Arbeitnehmers mit dem Recht des Arbeitgebers, dem Arbeitnehmer im Rahmen der gleichfalls grundrechtlich geschützten unternehmerischen eine von der vertraglichen Vereinbarung gedeckte Tätigkeit zuzuweisen, sind die gegensätzlichen Rechtspositionen grundrechtskonform auszugleichen. Nach dem Bundesarbeitsgericht (BAG) ist aber bei der Abwägung der Umstand zu berücksichtigen, dass die Vertragspartner mit dem Abschluss des Vertrags in eine gewisse Begrenzung grundrechtlicher Freiheiten eingewilligt haben.
3/3: Der Sex und die Leistung der Spieler
LTO: Gibt es denn übliche Weisungen, die eigentlich unzulässig sind?
Seitz: In der Tat sind in der Praxis Weisungen verbreitet, die Freiheiten und Persönlichkeitsrechte der Spieler sehr stark einschränken. Vor jedem großen Turnier stellt der Boulevard zum Beispiel wieder die scheinbar ewig aktuelle Frage, ob und wie Sex vor dem Spiel die Leistung beeinflusst. Dieses Jahr wurde berichtet, dass der kroatische Trainer seinen Spielern verboten habe, vor den Spielen Sex zu haben und dass die Ehefrauen und Freundinnen, die man ja unter dem Begriff "Spielerfrauen" zusammenfasst, die Hotelanlage wohl nicht betreten dürfen. Eine solche Weisung wäre natürlich im Lichte der Grundrechte, hier insbesondere dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, klar rechtswidrig, sie entspricht nicht billigem Ermessen i.S.v. §§ 106 GewO, 315 BGB.
Spannend ist sicherlich auch die Frage, inwiefern die Religionsfreiheit im Fußball berücksichtigt werden muss, zum Beispiel bei der Gestaltung des Ernährungsprogramms zur Zeit des Ramadans. Oder denken sie im Frauensport zum Beispiel an Bekleidungsvorschriften. All diese Probleme sind aber mit den üblichen arbeitsrechtlichen Instrumenten zu lösen.
LTO: Wie sieht es während der EM für die nicht nominierten Spieler aus? Haben die in der Bundesliga-freien Zeit Urlaub? Oder besteht dann gar kein Arbeitsvertrag? Haben sie eine Nebentätigkeitserlaubnis?
Seitz: Der Arbeitsvertrag dieser Spieler mit ihrem Verein läuft ganz normal weiter. Ob die Spieler Urlaub haben, bestimmt sich nach den üblichen Vorschriften, für Fußballprofis als Arbeitnehmer also nach dem Bundesurlaubsgesetz. In Profiverträgen ist üblicherweise geregelt, dass der Urlaub während der pflichtspielfreien Zeit zu nehmen ist.
Verletzungsrisiko und Schadensersatz der Vereine
LTO: Bei der Weltmeisterschaft 2010 hat der Bayern-München-Spieler Arjen Robben für die Niederlande gespielt, obwohl er gesundheitlich angeschlagen war. Nach der WM ist er die gesamte Hinrunde 2010/11 wegen dieses Muskelrisses bei Bayern ausgefallen. Die Münchner haben dem holländischen Verband vorgeworfen, dass man Robben trotz des Wissens um die Verletzung bei der WM eingesetzt habe, und eine Entschädigung gefordert.
Gab es einen ähnlichen Fall schon einmal beim DFB? Und hätte eine solche Entschädigungsforderung, zum Beispiel von Manchester United bei einer Verletzung des anfälligen deutschen Kapitäns Bastian Schweinsteiger, Aussicht auf Erfolg?
Seitz: Ein konkreter Rechtsstreit ist mir nicht bekannt. Eine Schadensersatzforderung dürfte aber regelmäßig nicht begründet sein. Es fehlt meist die bei einer vertraglichen oder vertragsähnlichen Haftung erforderliche Pflichtverletzung bzw. die Rechtsgutsverletzung im Rahmen der deliktischen Haftung. Verletzungen gehören im Fußball nun einmal dazu, für sie kann regelmäßig nicht der DFB verantwortlich gemacht werden. Ausnahmen können natürlich bei einem nicht ordnungsgemäßen Training, bei einem Einsatz entgegen einer ärztlichen Empfehlung oder ähnlichen Versäumnissen gegeben sein.
Dr. Stefan Seitz ist Namenspartner bei Seitz Rechtsanwälte in Köln. Die Wirtschaftskanzlei hat einen Schwerpunkt in der arbeitsrechtlichen Beratung. Darüber hinaus beraten die Anwälte namhafte Sportgrößen, wie u.a. die Nationalspieler Toni Kroos, Marco Reus, Benedikt Höwedes und Mario Götze und arbeiten mit Agenturen wie SportsTotal zusammen.
Die Fragen stellte Tanja Podolski.
Tanja Podolski, Neun wichtige Rechtsfragen zur EM: Nicht nur für Ruhm und Ehre . In: Legal Tribune Online, 17.06.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19707/ (abgerufen am: 28.09.2023 )
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