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Verfassungsklage der CDU/CSU: Der ver­hin­derte Scholz-Unter­su­chungs­aus­schuss

von Dr. Christian Rath

08.09.2023

Olaf Scholz spricht im Bundestag

Umstritten ist, ob der Bundestag Vorgänge aus der Hamburger Regierungszeit von Olaf Scholz als Bürgermeister untersuchen darf. Foto: picture alliance / EPA | FILIP SINGER

Als Hamburger Bürgermeister hat Olaf Scholz möglicherweise einer Skandalbank geholfen. Die Ampel-Koalition verhinderte aber einen Untersuchungsauschuss des Bundestags. Jetzt klagt die CDU-CSU-Fraktion. Christian Rath kennt die Details.

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Die CDU/CSU-Fraktion hat Verfassungsklage gegen den Bundestag erhoben, weil die Ampel-Mehrheit im Juli einen Untersuchungsausschuss zur politischen Glaubwürdigkeit von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) abgelehnt hat. Umstritten ist, ob der Bundestag Vorgänge aus der Hamburger Regierungszeit von Olaf Scholz als Erster Bürgermeister untersuchen darf.

Die Hamburger Warburg-Affäre

Konkret geht es um die Frage, warum das zuständige Hamburger Finanzamt Ende 2016 auf die Rückforderung rechtswidrig erhaltener Steuererstattungen in Höhe von 47 Millionen Euro gegenüber der Skandalbank M.M.Warburg verzichten wollte. Es ging um Einnahmen der Bank aus den strafbaren Cum-Ex-Manipulationen, für die einige der Warburg-Manager inzwischen strafrechtlich verurteilt wurden.

Damals hatte sich der Bankier Christian Olearius mehrfach mit Bürgermeister Scholz getroffen und vor einer Existenzbedrohung für die Hamburger Privatbank gewarnt. Anschließend änderte das Finanzamt seine Haltung zugunsten der Bank und sah die Forderung als verjährt an. Scholz bestreitet einen Zusammenhang und konnte sich lange Zeit nicht einmal an die Treffen mit dem Bankier erinnern. Der damalige Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) sorgte dann dafür, dass Hamburg die Steuern doch zurückforderte. Warburg hat inzwischen das Geld zurückbezahlt.

Zu diesem Vorgang gibt es bereits einen Untersuchungsausschuss in der Hamburger Bürgerschaft. Doch die CDU/CSU-Fraktion wollte einen weiteren Untersuchungsausschuss im Bundestag einrichten. Eigentlich hat eine Minderheit von 25 Prozent der Abgeordneten gemäß Artikel 44 Grundgesetz (GG) einen Anspruch darauf, dass ihrem Einsetzungantrag stattgegeben wird. Doch am 5. Juli lehnte der Bundestag mit der Ampel-Mehrheit den Unions-Antrag ab. Der Bundestag habe keine Befugnis, Vorgänge in den Bundesländern zu untersuchen.

Anspruch auf einen Untersuchungsausschuss?

Gegen diese Ablehnung des Untersuchungsausschusses durch die Ampel-Mehrheit hat die Unions-Fraktion nun eine Organklage beim Bundesverfassungsgericht erhoben. Die Abgeordneten sehen ihren grundgesetzlichen Anspruch auf einen Untersuchungsausschuss verletzt. Zum ersten Mal in der Geschichte des Bundestags habe die Mehrheit einen Einsetzungsantrag völlig (und nicht nur teilweise) abgelehnt.

Dass der Bundestag nicht einfach das Verhalten von Landesbehörden untersuchen und bewerten darf, wird auch von der Unions-Fraktion akzeptiert. Die Unterscheidung sei aber "nicht trennscharf" möglich, es könne zu Überlappungen kommen. Verwiesen wird zum Beispiel auf die Vorgänge um die rechte Terrorgruppe NSU. Hierzu gab es zwei Untersuchungsausschüsse im Bundestag und weitere acht Untersuchungsausschüsse in einzelnen Landtagen.

Die Klage zum Scholz-Untersuchungsausschuss wurde vom Berliner Rechtsprofessor Christian Waldhoff verfasst und hat einen Umfang von 88 Seiten. Dabei macht Waldhoff vor allem drei Argumente geltend, warum der Bundestag die Hamburger Vorgänge doch untersuchen darf. Erstens führen die Länder die Steuerverwaltung im Auftrag des Bundes aus. Zweitens habe der Bundestag die haushaltspolitische Gesamtverantwortung. Und drittens gehe es um die politische Glaubwürdigkeit des Bundeskanzlers.

Auftragsverwaltung des Bundes

Waldhoff betont, dass die Bundesländer bei der Steuerverwaltung gem. Art. 108 Abs. 3 GG im Auftrag des Bundes tätig sind, wenn die Steuern Bund und Ländern gemeinsam zustehen. Das ist bei der in den Cum-Ex-Deaels in Rede stehenden Kapitalertragsteuer der Fall, die eine Sonderform der Einkommensteuer ist. Bei der Bundesauftragsverwaltung kann der Bundesfinanzminister Weisungen geben und Akten einsehen.

Dementsprechend könnten auch die Abgeordneten prüfen, so Waldhoff, ob der Bundesfinanzminister seine Aufgabe korrekt wahrgenommen hat. Oder sie könnten untersuchen, ob es nicht vorteilhaft wäre, wenn der Bund künftig die Steuerverwaltung ganz an sich ziehen würde.

Waldhoff räumt in seiner Argumentation ein, dass der Bundestag in diesem Zusammenhang die Tätigkeit der Hamburger Behörden "nicht politisch bewerten" darf. Aber als "Vorfrage" dürfe er doch feststellen, was in Hamburg passiert ist.

Dass Bundesbehörden beim Umgang mit den Warburg-Millionen Fehler gemacht haben, ist bisher allerdings nicht bekannt. An diesem Punkt wirken der Untersuchungsantrag und die Klage reichlich konstruiert. Auch die Koalition warf der CDU/CSU vor, ihr Interesse an der Bundesauftragsverwaltung sei vorgeschoben, eine "Motivlüge". In Wirklichkeit gehe es ihr doch vor allem um das Verhalten der Hamburger Behörden und insbesondere des damaligen Bürgermeisters Scholz.

Gesamtverantwortung für den Haushalt

Die zweite Argumentation der CDU/CSU betrifft die "haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Bundestags". Diese Rechtsfigur hatte das Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang mit Finanzrisiken der EU entwickelt. Sie müsse aber auch im deutschen Bundesstaat gelten, so Waldhoff, vor allem bei Steuern, die Bund und Ländern gemeinsam zustehen.

Wenn in Hamburg rechtswidrige Steuererstattungen nicht zurückgefordert werden, fehle das Geld auch dem Bund, so die Klage. Der Bundestag müsse rechtzeitig von drohenden Steuerausfällen erfahren und daher auch die Steuerverwaltung der Länder untersuchen können.

Diese Argumentation wirkt ähnlich konstruiert wie der Verweis auf die Auftragsverwaltung und dürfte ebenfalls am eigentlichen politischen Untersuchungsinteresse der CDU/CSU vorbeigehen.

Politische Glaubwürdigkeit von Olaf Scholz

Am besten trifft wohl die drittte Argumentationslinie die Intention der Unions-Fraktion. So machen die Abgeordneten in ihrer Klage geltend, der Bundestag könne selbstverständlich Vorgänge untersuchen, die die politische Glaubwürdigkeit des aktuellen Bundeskanzlers in Frage stellen. Dass dieser das Vertrauen des Bundestags für seine Regierung benötige, sei verfassungsrechtlich vorgegeben, so Waldhoff. "Ein Bundeskanzler, der in die rechtswidrige Niederschlagung von Steuerforderungen verwickelt ist, wäre politisch nicht mehr tragfähig", heißt es in der Klage.

Dabei sehen die Unions-Abgeordneten zwei Anknüpfungspunkte. Zum einen gehe es um Scholz' Handeln als Bürgermeister in Hamburg, zum anderen aber auch um seine teilweise lückenhaften und widersprüchlichen Auskünfte bei der Aufarbeitung der Warburg-Affäre. Da war er schon Finanzminister und Bundeskanzler, also Bundespolitiker.

Waldhoff räumt ein, dass es der erste Untersuchungsausschuss des Bundestags wäre, der offen die politische Glaubwürdigkeit eines Kanzlers untersuchen will. Faktisch seien aber viele bisherige Untersuchungen zumindest zwischen den Zeilen durchaus so zu verstehen gewesen.

Waldhoff will dabei dem Bundestag kein grenzenloses Untersuchungsrecht einräumen. Rein private Vorgänge des Kanzlers soll er nicht untersuchen dürfen, auch wenn sie die politische Glaubwürdigkeit berühren. Diese Einschränkung überzeugt weniger, ist aber vielleicht auch eher taktischer Natur. Denn natürlich geht es bei Scholz' Handeln als Bürgermeister um keine privaten Aktivitäten.

Über die Organklage muss jetzt das Bundesverfassungsgericht entscheiden. Das kann Jahre dauern. Einen Eilantrag hat die CDU/CSU-Fraktion nicht gestellt.

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Verfassungsklage der CDU/CSU: Der verhinderte Scholz-Untersuchungsausschuss . In: Legal Tribune Online, 08.09.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52670/ (abgerufen am: 01.12.2023 )

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