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9386

Arzt wegen fahrlässiger Tötung im PJ verurteilt: Alleinhaftung ungewöhnlich

von Sonja Lange

19.08.2013

OP-Arzt (Symbolbild)

© Stephan Morrosch - Fotolia.com

Vergangene Woche verurteilte das LG Bielefeld einen inzwischen approbierten Arzt wegen fahrlässiger Tötung. Während seines Praktischen Jahrs hatte er einem Säugling ein Medikament gespritzt, das oral zu verabreichen gewesen wäre. Ein Organisationsverschulden der Klinik ändere an der strafrechtlichen Haftung des Mannes nichts. Zu Risiken in der (Fach-)Arztausbildung Sonja Lange.

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Die eindeutige Alleinhaftung des Mediziners in Ausbildung für einen Fehler, der vielleicht "jedem passieren könnte", mag ungewöhnlich anmuten. Der Auftakt für eine Haftungswelle von Ärzten im Praktischen Jahr (PJ) ist das Urteil dennoch nicht.

Bereits das Amtsgericht (AG) Bielefeld kam zu dem Schluss, dass der damalige Student den Tod des Säuglings aufgrund eines anaphylaktischen Schocks fahrlässig verursacht hatte, indem er dem Kind ein Medikament über das intravenöse Infusionssystem gab, das eigentlich oral zu verabreichen ist. Eigentlich sollte der PJ-ler lediglich eine Blutprobe entnehmen. Als eine Pflegekraft eine Spritze brachte, nahm er jedoch fälschlicherweise an, dass er dem Säugling auch das Medikament verabreichen sollte.

Revision könnte Urteil aufheben

Das AG war der Ansicht, dass sich der Angeklagte vor Verabreichung der Spritze – etwa durch Nachfrage bei der Pflegekraft – hätte vergewissern müssen, für wen die Spritze sei und wie man das Medikament anwende. Dadurch hätte der Tod des Säuglings verhindert werden können (Urt. v. 22.10.2012, Az. 10 DS-16 Js 279/11-1009/12).

Laut Presseberichten warf die Verteidigung dagegen dem Krankenhaus ein Organisationsverschulden vor, das den Arzt aus der Haftung entlassen würde. Wesentliche Ursache für den Fehler sei gewesen, dass die Spritzen für orale und intravenöse Verabreichung identisch aussahen und Studenten nicht ausreichend eingewiesen worden waren. Dem folgte das Landgericht (LG) Bielefeld in der zweiten Instanz nicht. Ein etwaiges Organisationsverschulden des Krankenhauses ändere an der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Angeklagten nichts. Lediglich die Geldstrafe setzten die Bielefelder Richter gegenüber der ersten Instanz von 120 auf 90 Tagesätze herab. Damit wird die Verurteilung nicht im Führungszeugnis aufgeführt (Urt. v. 14.08.2013, Az. 18 Js 279/11).

Üblicherweise nehmen die Gerichte eher ein Organisationsverschulden des Krankenhauses als Schadensursache an, was die Auszubildenden aus der Haftung entlässt. Die Revisionsinstanz könnte daher durchaus anders entscheiden.

Der Student im Praktischen Jahr – weder Arzt noch Pflegefachkraft

Studenten im PJ stehen zwischen den Stühlen. Sie sind keine Ärzte, sollen aber anders als Pflegefachkräfte praktische Erfahrungen in ärztlichen Tätigkeiten sammeln. Die Approbationsordnung sagt dazu, Studenten sollten im PJ "entsprechend ihrem Ausbildungsstand unter Anleitung, Aufsicht und Verantwortung des ausbildenden Arztes […] ärztliche Verrichtungen durchführen".

Ohne Aufsicht eines qualifizierten Arztes dürfen Student einige ärztliche Tätigkeiten übernehmen, soweit sie dazu qualifiziert sind und angeleitet wurden, etwa Blutabnahmen, Injektionen oder die Versorgung unkomplizierter Wunden. Das gilt nicht für Leistungen, die besonders schwierig oder gefährlich sind wie Diagnosen, Therapieentscheidungen, Aufklärungen oder invasive Maßnahmen. Solche Leistungen dürfen nur durch approbierte Ärzte selbst durchgeführt werden.

Während eine Delegation ärztlicher Eingriffe für die Patienten gesundheitliche Risiken bergen kann, müssen der delegierende Arzt und der PJ-ler mit rechtlichen Konsequenzen rechnen. Ihnen droht nicht nur eine strafrechtliche Verurteilung wegen fahrlässiger Körperverletzung oder gar Tötung, sie haften auch zivilrechtlich für den entstandenen Schaden.

In der Regel begründen Fehler bei der Delegation an Ärzte oder nichtärztliche Mitarbeiter ein Organisationsverschulden des leitenden Arztes oder Krankenhausträgers. So nahm das Oberlandesgericht München einen groben Organisationsfehler des Krankenhausträgers an, weil auf einer Intensivstation nur zwei Ärzte im Praktikum (vor Einführung des PJ im Jahr 2004) anwesend waren, die nicht in der Lage waren, einen verlegten unverzüglich zu entfernenden Beatmungsschlauch zu ziehen (Urt. v. 15.12.2011, Az. 1 U 1913/10). Unter Umständen haftet aber auch der ausführende Mitarbeiter selbst, wenn er eigenmächtig gehandelt oder einen vorwerfbaren Fehler gemacht hat, wie der Student nach Ansicht der Bielefelder Richter.

Haftung von Ärzten in Weiterbildung

Praktisch wesentlich relevanter als die Haftung von Studenten im PJ ist die Situation der Ärzte in Weiterbildung, die approbiert sind, aber einen sehr unterschiedlichen Weiterbildungsstand haben. Dabei geht es letztlich um die Frage, ob der Facharztstandard eingehalten wird, auf den der Patient einen Anspruch hat.

Um diesen Ärzten die Möglichkeit zur Aus- und Fortbildung zu geben, dürfen Anfänger einen Eingriff vornehmen, wenn sie aufgrund ihres Ausbildungsstandes dazu in der Lage sind und der Facharztstandard durch entsprechende Anleitung und Überwachung seitens eines qualifizierten Facharztes gewährleistet ist.

Während einer Assistenten-Operation wird dieser Standard im Regelfall dadurch sichergestellt, dass ein Facharzt den operierenden Kollegen überwacht. Auf die Anwesenheit eines aufsichtführenden Facharztes kann nur dann verzichtet werden, wenn der Arzt in Weiterbildung aufgrund seiner bereits erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten selbst die Gewähr für die Einhaltung des fachärztlichen Standards bietet.

Für Schäden durch die Operation haftet dann auch vorrangig der Klinikträger beziehungsweise der Facharzt, der den Eingriff nicht sorgsam angeleitet oder überwacht hat. Der Arzt in der Weiterbildung darf sich grundsätzlich darauf verlassen, dass der Facharzt die richtigen Entscheidungen trifft. Selbst verantwortlich für einen Behandlungsfehler ist er nur, wenn er sich auf einen Eingriff eingelassen hat, obwohl er hiergegen Bedenken hätte haben und eine Gefährdung des Patienten hätte voraussehen müssen (Bundesgerichtshof, Urt. v. 27.09.1983, Az. VI ZR 230/81 und Urt. v. 12.07.1994. Az. VI ZR 299/93).

Die Autorin Dr. Sonja Lange ist Rechtsanwältin in der Medizinrechtskanzlei Raffelsieper & Partner am Standort Hamburg und Lehrbeauftragte der Universität Hannover.

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Arzt wegen fahrlässiger Tötung im PJ verurteilt: . In: Legal Tribune Online, 19.08.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9386 (abgerufen am: 16.06.2025 )

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