Abtreibungen sollen in den ersten zwölf Wochen legal sein. Diese und weitere Änderungen schlägt eine Expertenkommission vor. Marco Buschmann kündigte an, den Bericht gründlich auszuwerten. Die Union reagiert skeptisch.
Am Montag hat die von der Ampel eingesetzte "Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin" ihren Abschlussbericht vorgelegt. Auf über 600 Seiten hat die Kommission aus 18 Expertinnen und Experten eine mögliche Liberalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen begutachtet. Das Ergebnis: Abtreibungen sollten in Deutschland nicht mehr grundsätzlich strafbar sein. "In der Frühphase der Schwangerschaft (...) sollte der Gesetzgeber den Schwangerschaftsabbruch mit Einwilligung der Frau erlauben", heißt es in der Zusammenfassung des Berichts. Der Abschlussbericht der Expertenkommission war bereits vorab an die Öffentlichkeit gelangt.
Schwangerschaftsabbrüche sind zwar faktisch auch heute in der Frühphase – also innerhalb der ersten zwölf Schwangerschaftswochen – straffrei möglich, wenn die Frau sich zuvor hat beraten lassen. Und auch wenn bestimmte medizinische Gründe vorliegen oder nach einer Vergewaltigung sind Abbrüche möglich, ohne sich strafbar zu machen. Allerdings ist dies bisher als Ausnahmeregelung im Strafgesetzbuch (StGB) geregelt. Grundsätzlich gilt nach § 218 Abs. 1 S. 1 StGB: Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
Während die Ampel die Empfehlungen der Kommission als Anstoß für eine Debatte über mögliche Gesetzesänderungen begrüßt, lehnen Union und AfD eine Neuregelung ab. Insbesondere die Union befürchtet, dass eine Liberalisierung zu einer unverhältnismäßigen Kompromittierung des ungeborenen Lebens führen könnte.
"Eine Änderung wäre keine bloße Formalie"
"Die grundsätzliche Rechtswidrigkeit des Abbruchs in der Frühphase der Schwangerschaft (...) ist nicht haltbar. Hier sollte der Gesetzgeber tätig werden und den Schwangerschaftsabbruch rechtmäßig und straflos stellen", sagte die für das Thema zuständige Koordinatorin in der Kommission, die Strafrechtlerin Liane Wörner von der Universität Konstanz, am Montag in Berlin.
Ein Abbruch sei aktuell zwar unter bestimmten Bedingungen straffrei, "aber er ist nach wie vor als rechtswidrig, als Unrecht gekennzeichnet", kritisierte auch die stellvertretende Koordinatorin, Frauke Brosius-Gersdorf, die geltende Regel. Eine Änderung sei nicht einfach nur eine Formalie. Für die betroffenen Frauen mache es einen großen Unterschied, ob das, was sie täten, Unrecht sei oder Recht.
Die Kommission empfiehlt auch eine Neuregelung zu Schwangerschaftsabbrüchen, die auf Sexualdelikte zurückgehen. Bei einer Vergewaltigung gebe es laut Gesetz nur eine Frist von zwölf Wochen, bis zu der ein Abbruch für die ausführenden Ärztinnen und Ärzte nicht strafbar sei. Das sei aber "zu eng bemessen", heißt es im Bericht. Betroffene Frauen seien häufig traumatisiert und würden eine Schwangerschaft in diesem Zusammenhang möglicherweise erst spät bemerken. Hier müsste die Frist den Expertinnen zufolge ausgeweitet werden.
Bericht soll als Grundlage für Diskussionen dienen
Kurzfristige Neuregelungen durch die Ampel-Regierung sind aber erst einmal nicht zu erwarten. Die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann sprach am Montag vor Journalisten in Berlin von einem sehr sensiblen Thema, das stark in persönliche Bereiche gehe. Es gelte, unterschiedliche Güter gegeneinander abzuwägen. "Und wir wollen eine Debatte führen, die letztlich uns weiterbringt in dieser Frage, und das ist nichts, was man unter Zeitdruck und 'jetzt machen wir das ganz schnell' führen kann. Das wäre wirklich der falsche Weg."
Der Expertenbericht sollte jetzt Grundlage sein für eine Debatte, die Politik und Gesellschaft miteinander führten, sagte Hoffmann. Man könne eine längere gesellschaftliche Debatte erwarten. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sei daran gelegen, dass diese Diskussion in ruhiger und sensibler Weise geführt werde. Das sei verbunden mit der Hoffnung, dass in Deutschland eine Polarisierung beim Thema Schwangerschaftsabbruch vermieden werden könne.
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) sagte am Montag, man werde den Bericht als Bundesregierung gründlich auswerten und verfassungs- und völkerrechtliche Argumente prüfen. "Was wir nicht gebrauchen können, das sind Debatten, die die Gesellschaft in Flammen setzen oder gar spalten."
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sieht in der Expertise der Kommission eine wesentliche Hilfe, um die komplexen ethischen Fragen zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin zu beantworten. "Am Ende braucht es dafür aber einen breiten gesellschaftlichen und natürlich auch parlamentarischen Konsens." Und auch Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) nannte die Empfehlungen der Kommission eine gute Grundlage für einen nun notwendigen offenen und faktenbasierten Diskurs.
Union warnt davor, ungeborenes Leben schutzlos zu stellen
Die stellvertretende CDU-Vorsitzende Silvia Breher hat in der Debatte vor einer künftigen Regelung außerhalb des Strafrechts gewarnt. "Das Strafgesetzbuch ist der richtige Ort, um dieses sensible Thema zu regeln. Es geht hier schließlich um den Schutz des ungeborenen Lebens und seiner grundgesetzlich verankerten Menschenwürde", sagte Breher gegenüber der Deutschen Presse-Agentur.
Es gebe "weder neue wissenschaftliche oder medizinische Erkenntnisse noch europa- oder völkerrechtliche Verpflichtungen", die eine Neuregelung in dieser strittigen Frage erforderten, argumentierte sie weiter. Das bisherige Abtreibungsrecht sei ein "gut austarierter Kompromiss", der "sowohl die reproduktive Selbstbestimmung der Frau als auch den Schutz des ungeborenen Lebens angemessen wahrt".
Breher, die auch familienpolitische Sprecherin der Unionsfraktion ist, weist zudem darauf hin, dass es gefährlich sei, die bislang bestehende Beratungspflicht für Schwangere im Falle eines Abbruchs abzuschaffen. "Wenn diese entfällt, würde das ungeborene Leben völlig schutzlos gestellt und die Frauen laufen Gefahr, eine vorschnelle Entscheidung zu treffen", warnte Breher. Die Beratungspflicht sei keine Einschränkung der Selbstbestimmung, sondern sie schaffe die Voraussetzung dafür, "dass die Betroffenen eine autonome und informierte Entscheidung treffen können". Auch eine Ausweitung der Fristen für einen Abbruch lehnt Breher entschieden ab.
Der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Abgeordneten, Thorsten Frei, hatte am vergangenen Dienstag in Berlin angekündigt, in Karlsruhe zu klagen, sollte sich die Ampel-Koalition die Vorschläge der Expertengruppe zu eigen machen.
Mehrheit der Gesellschaft für Liberalisierung von Abbtreibungen
Ein Stimmungsbild aus der Gesellschaft ergibt dagegen breite Befürwortung einer Liberalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen in der Frühphase. Das geht aus dem Ergebnis einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa für eine Legalisierung von Abtreibungen innerhalb der ersten zwölf Wochen einer Schwangerschaft hervor. Danach fänden 72 Prozent der Befragten es richtig, wenn ein Schwangerschaftsabbruch in diesem Zeitraum ohne Einschränkungen erlaubt wäre. Am größten ist die Zustimmung unter Anhängern der Grünen mit 82 Prozent, mit 55 Prozent am geringsten ist sie unter Anhängern der AfD. Im Osten Deutschlands sind 81 Prozent für eine solche Legalisierung, im Westen 71 Prozent.
Etwa jeder dritte Befragte (33 Prozent) glaubt aber auch, dass es zu einem Anstieg der Zahl von Schwangerschaftsabbrüchen kommen würde, wenn diese künftig innerhalb der ersten zwölf Wochen ohne Einschränkung erlaubt wären. 62 Prozent gehen nicht von solch einem Effekt aus.
Auch Eizellspende und Leihmutterschaft bald zulässig?
Die Expertinnen und Experten äußern sich darin auch zu den Themen Eizellspende und Leihmutterschaft. Beides hält die Kommission unter bestimmten Umständen für zulässig. Eine Legalisierung der Eizellspende in Deutschland sehen die Expertinnen und Experten als zulässig, "sofern sie auf einer gesetzlichen Grundlage beruht, die insbesondere den notwendigen Schutz der Spenderinnen und das Kindeswohl gewährleistet", heißt es. Deutschland sei neben Luxemburg das einzige Land EU-Land, in dem die Eizellspende noch verboten sei, sagte die Koordinatorin für das Thema in der Kommission, Claudia Wiesemann von der Universität Göttingen. Wichtig sei, so wie bei der Samenspende auch, das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Herkunft zu sichern.
Aufgrund ethischer, praktischer und rechtlicher Überlegungen sollte die altruistische Leihmutterschaft verboten bleiben oder lediglich unter sehr engen Voraussetzungen, zum Beispiel bei einem nahen verwandtschaftlichen oder freundschaftlichen Verhältnis zwischen den Wunscheltern und der Leihmutter, ermöglicht werden. Der Gesetzgeber könne die Leihmutterschaft aber in bestimmten Fällen zulassen, "sofern insbesondere der Schutz der Leihmutter und das Kindeswohl hinreichend gewährleistet werden".
dpa/lmb/LTO-Redaktion
Bericht der Expertenkommission über § 218 StGB: . In: Legal Tribune Online, 15.04.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54336 (abgerufen am: 10.11.2024 )
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