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Kultur und Religion im deutschen Strafrecht: "Die meisten Täter sind einfach nur wütend"

Interview von Pia Lorenz

11.09.2014

Koran mit muslimischem Rosenkranz

© hikrcn - Fotolia.com

Die "Scharia-Polizei" in Wuppertal schürt die Angst vor einer Paralleljustiz in Deutschland. Im staatlichen Strafverfahren berufen nicht-christliche Straftäter sich auf ihren Glauben, rechte Gewalt soll künftig härter bestraft werden. Djt-Gutachterin Tatjana Hörnle will aber weder mit islamischen Friedensrichtern kooperieren noch sich um kulturelle Prägung oder rechtsradikale Gesinnung kümmern.

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"Nicht mit Parallelgesellschaften kooperieren"

LTO: Frau Professor Hörnle, das Thema Ihres Gutachtens für den 70. Deutschen Juristentag (djt), der in der kommenden Woche in Hannover stattfindet, lautet "Kultur, Religion, Strafrecht – Neue Herausforderungen in einer pluralistischen Gesellschaft". Eine der Herausforderungen, über welche Sie in der Abteilung Strafrecht diskutieren werden, ist die sogenannte Paralleljustiz. Beweisen die jüngsten Vorfälle in Wuppertal, dass es eine solche längst gibt? Hat Deutschland sie verschlafen?

Hörnle: Die gerade viel Aufmerksamkeit findenden Vorfälle in Wuppertal sind atypisch. Bei diesen ging es um Provokation und öffentlichkeitswirksame Werbung für extremistische Gruppen. Typischerweise schottet das Phänomen der Paralleljustiz sich aber ab, es findet jenseits der Wahrnehmung der Öffentlichkeit statt.

Von Paralleljustiz sprechen wir, wenn selbsternannte Richter, vor allem die sogenannten Scharia-Gerichte, im Zusammenwirken mit betroffenen Parteien unter bewusster und systematischer  Umgehung der staatlichen Justiz Delikte ahnden, Schadensersatz festsetzen und Forderungen vollstreckten.  Solche nichtstaatlichen Schlichter treffen auch Regelungen für andere Probleme wie etwa Ehe- oder Familienkonflikte, die sonst Straf- oder Zivilgerichte beschäftigen würden.

Länder aus dem englischsprachigen Rechtskreis erkennen Urteile von religiösen Schiedsgerichten zu familienrechtlichen Fragen teilweise an. Für Deutschland gibt es Erfahrungsberichte, die sich auf einzelne Gruppen von Migranten in Berlin und Bremen beziehen. Dort scheinen einflussreiche Individuen als Streitschlichter zu agieren, die innerhalb der Gruppe genügend Autorität genießen, um "Urteilen" Geltungskraft zu verschaffen.  Verlässliche Zahlen zur Intensität solcher Aktivitäten gibt es allerdings nicht.

"Paralleljustiz zeigt tiefes Misstrauen – auch gegenüber der Gesellschaft"

LTO: Experten wie Michael Rosenthal, der ebenfalls beim djt referiert, halten eine Paralleljustiz in diesem Sinne nicht für per se schädlich, sofern sie sich nicht als Selbstorganisation einer Minderheit, sondern als bloße Streitschlichtung in Ergänzung des förmlichen Justizverfahrens begreife. Wie sehen Sie das?

Hörnle: Versuche, Konflikte ohne Inanspruchnahme der Justiz zu regeln, sind nicht per se zu beanstanden.  Aber Probleme treten etwa dann auf, wenn es um Delikte geht, die einen staatlichen Strafanspruch ausgelöst haben. Die sogenannte Privatstrafe ist ebenso abzulehnen wie eine vollkommene Disposition des Tatgeschädigten über die Reaktion auf eine Straftat. Strafe dient zwar den Interessen konkreter Tatopfer, hat aber auch generalpräventive Funktionen.

Außerdem ist sowohl bei strafrechtlich als auch bei zivilrechtlich zu beurteilenden Vorfällen Paralleljustiz deshalb problematisch, weil ihre Akteure systematisch und anhaltend vorgehen. Diese systematische Umgehung des deutschen Rechtssystems zeigt tiefgehendes Misstrauen – mittelbar auch gegenüber der deutschen Gesellschaft. Das ist Grund zur Beunruhigung.

Außerdem bedeutet eine Rückverlagerung  von Rechtsprechung und Vollstreckung solcher "Urteile" auf machtvolle Privatpersonen einen Rückschritt. Dass moderne Staaten ihre Verfahren und die Vollstreckung ihrer Urteile durch eine Fülle von prozeduralen Normen gestalten und ihr Justizpersonal in umständlicher Weise ausbilden, hat ja gute Gründe: Diese Maßnahmen sollen Willkür, Machtausübung und Ignoranz verhindern und gewährleisten, was wir "rechtsstaatliche Standards"  nennen. "Paralleljustiz" kennt solche Sicherungsmechanismen nicht.

LTO: Was empfehlen Sie, um Parallelgesellschaften zu begegnen – vor allem solchen, die sich dem Leitwert der Ehre verpflichtet sehen?

Hörnle: In erster Linie handelt es sich um ein soziales Problem, mein Fachwissen erstreckt sich nicht darauf, ob und gegebenenfalls  wie Parallelgesellschaften aufzulösen wären. Für das Rechtssystem müssen wir uns fragen, wie wir mit Ergebnissen der Paralleljustiz umgehen wollen-  soweit wir von diesen überhaupt erfahren.

Um den Rechtsstaat zu verteidigen und systematisch betriebene Aktivitäten einer Paralleljustiz zu verhindern, dürfte es naheliegen, jegliche Form des "Andockens" und der Kooperation abzulehnen. Das könnte zum Beispiel heißen, dass wir Übereinkünfte, die unter Mitwirkung von in der Regel muslimischen sogenannten Friedensrichtern zustande gekommen sind, im Rahmen eines Täter-Opfer-Ausgleichs nach § 46a Strafgesetzbuch (StGB) nicht anerkennen.

"Prägung und Gesinnung - für das Strafmaß irrelevant"

2/2 "Die meisten Täter sind einfach wütend"

LTO: Auf einen nicht-deutschen, speziell islamischen Hintergrund trifft auch das staatliche  Strafverfahren zunehmend. Sie sprechen sich explizit dagegen aus, eine solche kulturelle Prägung bei Straftätern zu berücksichtigen - egal, ob auf Ebene des Tatbestands, der Rechtfertigung oder der Schuld. Warum?

Hörnle: Zum einen plädiere ich für Zurückhaltung bei der Etikettierung von Verhalten als "kulturell" oder gar "religiös" bedingt. Die Tendenz, Gewalttaten auf "Kultur" zurückzuführen, wenn sich in der Biographie des Täters ein entsprechender regionaler Bezug findet, kann auf verzerrten Zuschreibungen beruhen. So gab es früher Klischees über Süditaliener, heute sind es stereotype Annahmen über "den Islam" oder den "islamischen Kulturkreis".

Der forensische Psychiater Hans Ludwig Köber sagt dazu, dass die große Mehrheit ausländischer wie auch deutscher Täter nicht etwa impulsiv und zornig handelt, weil die sozialen Regeln ihrer eigenen Gruppe das so vorschreiben. Sie wollen vielmehr einfach ihre aktuelle Wut auslassen und haben keine andere Form der Aggressionsbewältigung gelernt. Mit einer kulturellen Prägung hat das nichts zu tun.

Zum anderen ist Aufgabe des Strafrechts die Bewertung von Handlungen, nicht die von Menschen in ihrer Ganzheit. Erklärungen für die Tat gibt es in der Biographie eines jeden Straftäters. "Fremdkulturelles" mag plakativer sein, aber natürlich gab es auch bei jedem in Deutschland sozialisierten Täter Umstände, die hinter einer punktuell  oder anhaltend kriminellen Entwicklung stehen. Für das Strafmaß kann es nicht auf diese Erklärungen ankommen, sondern darauf, wie sehr er einer anderen Person Unrecht zugefügt oder die Allgemeinheit geschädigt hat.

LTO: Gibt es Ihres Erachtens Ausnahmefälle, in denen ein Täter derart mit seiner Religion oder sonstigen, von der Verfassung anerkannten Werten kollidieren würde, wenn er sich gesetzeskonform verhielte, dass ein Gericht beispielsweise bei der Strafzumessung Milde walten lassen sollte?

Hörnle: Nur unter sehr ungewöhnlichen Umständen ist vorstellbar, dass das Grundrecht der Gewissensfreiheit zu Strafmilderung oder eventuell sogar Straffreiheit führt. Der Schutzbereich der  Gewissensfreiheit muss dabei aber eng gefasst werden:  Nur bei einer echten Identitätskrise, weil der Täter in eine ihm aufgezwungene Konfliktsituation kam, käme das in Betracht. Aber auch dann sind die Grundrechte anderer und Güter von Verfassungsrang als Gegengewicht zu beachten.

"Hassverbrechen: Gesinnung als solche sollte man nicht bestrafen"

LTO: Kehrseite einer offenen und pluralistischen Gesellschaft ist der Hass auf diejenigen, die anders sind. Auf Empfehlung des NSU-Untersuchungsausschusses will Bundesjustizminister Heiko Maas in § 46 Strafgesetzbuch (StGB) eine Regelung einfügen,  nach der bei der Strafzumessung "besonders auch rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschenverachtende" Ziele des Täters zu berücksichtigen sind. Warum sind Sie gegen eine solche Ergänzung?

Hörnle: Bei den sogenannten Hassdelikten ist entscheidend, dass alle Dimensionen des den Betroffenen angetanen Unrechts berücksichtigt werden, also vor allem auch Herabwürdigungen und langfristige - etwa psychische - Tatauswirkungen. Das sollte aber schon nach geltendem Recht selbstverständlich sein. Problematisch sind nur die Fälle, in denen Hass das Motiv war, das sich aber nicht in Tatbegleitumständen niedergeschlagen hat. Wenn innere Tatmotive als solche, unabhängig vom Tatunrecht, straferhöhend verwertet werden, läuft dies auf die Bestrafung von Gesinnung als solcher hinaus. Eine solche ist sehr problematisch.

LTO: Auch der Tatbestand des Mordes berücksichtigt aber doch derzeit rein innere Tätermotive, insbesondere mit den recht schwammigen "niedrigen Beweggründen". Auch Sie wollen wie viele Experten § 211 StGB zwar reformieren, aber dieses Mordmerkmal nicht grundlegend aufgeben. Weshalb sollen ausgerechnet beim Mord auch weiterhin innere Motive eine Rolle spielen, deren Berücksichtigung Sie sonst so strikt ablehnen?

Hörnle: Hier liegt ein Missverständnis vor. In meinem Gutachten argumentiere ich nur zur Auslegung de lege lata. Leider war zum Zeitpunkt, als ich am Gutachten saß, die Reformabsicht noch nicht erkennbar. De lege ferenda sollten die "niedrigen Beweggründe" als straferhöhendes Merkmal gestrichen werden!

LTO: Haben Sie sonst noch eine Idee für Heiko Maas‘ Reformentwürfe für die Tötungsdelikte? Wie wäre es mit den Mordmerkmalen als Regelbeispiel? Oder sehen Sie keine Notwendigkeit, die Frauen zu privilegieren, die den "Haustyrann" töten?

Hörnle:  Ich würde eine grundlegende Reform befürworten! Sinnvoll wäre es, einen Grundtatbestand der vorsätzlichen Tötung einzuführen. Für seltene, spezifizierte Formen des besonders gesteigerten Unrechts  wie Massenmord  oder eine besonders grausame Form der Tatbegehung sollte es eine Straferhöhung geben.

Im Übrigen sollten zum Grundtatbestand aber nur Privilegierungen kommen. Gerade für Konflikttaten, zu deren Entstehung auch das Opfer in vorwerfbarer Weise beigetragen hatte  – darunter fällt Ihr Haustyrannenfall - , aber auch zum Beispiel für echte Mitleidstaten sollte es Strafmilderungen geben. Die Mordmerkmale sowohl der Heimtücke als auch der niedrigen Beweggründe sollten ganz wegfallen.

LTO: Frau Professor Hörnle, wir danken Ihnen für das Interview.

Prof. Dr. Tatjana Hörnle, M.A. ist Inhaberin des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtsphilosophie und  Rechtsvergleich an der Humboldt-Universität zu Berlin. Einer der Schwerpunkte ihrer wissenschaftlichen Arbeit ist  die Strafzumessung, auch mit kulturellen Hintergründen für verschiedene Strafverfahrensordnungen hat sie sich bereits intensiv befasst.

Das Interview führte Pia Lorenz.

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Pia Lorenz, Kultur und Religion im deutschen Strafrecht: "Die meisten Täter sind einfach nur wütend" . In: Legal Tribune Online, 11.09.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13147/ (abgerufen am: 09.12.2023 )

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