Das BMJV will Kameras bei den Urteilsverkündungen der obersten Bundesgerichte zulassen. Deren Präsidenten fürchten um das Ansehen der Justiz. Dabei muss die sich nicht verstecken, meint BGH-Richter Andreas Mosbacher.
Derzeit wird diskutiert, ob durch eine Änderung von § 169 GVG (Gerichtsverfassungsgesetz) die Aufnahme und Übertragung öffentlicher Urteilsverkündungen bei den obersten Bundesgerichten zugelassen werden soll. Eine entsprechende gesetzliche Regelung gibt es für das Bundesverfassungsgericht (BVerfG). Dort sind Ton- und Bildaufnahmen bei der öffentlichen Verkündung von Entscheidungen zulässig, sofern das BVerfG dies nicht ausnahmsweise zur Wahrung schutzwürdiger Interessen der Beteiligten ausschließt (§ 17a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Bundesverfassungsgerichtsgesetz, BVerfGG).
Diese Regelung ist eine Ausnahme von dem gesetzlichen Verbot, zum Zwecke der Veröffentlichung Film- oder Tonaufnahmen von Gerichtsverfahren herzustellen (§ 169 S. 2 GVG). Grundlage der aktuellen Diskussion ist eine Empfehlung im Abschlussbericht einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe der Justizministerkonferenz, die derzeit in einen Gesetzesvorschlag gegossen wird. Ein Entwurf zur Änderung des GVG soll nach Informationen des Handelsblatts in den nächsten Monaten ins Bundeskabinett eingebracht werden.
Die Präsidenten der fünf obersten Bundesgerichte haben sich in einem Schreiben an das Ministerium der Justiz und für Verbraucherschutz gegen eine solche Regelung ausgesprochen. Zur Begründung der Ablehnung wird insbesondere auf die Risiken verwiesen, die mit einer solchen Öffnung einhergehen – etwa die Wiedergabe unglücklicher Formulierungen auf Youtube oder in Satiresendungen, die Verkomplizierung der Abläufe am Gericht, aber auch die mögliche Über-forderung von Vorsitzenden und eventuelle Weiterungen der jetzt geplanten Lockerungen. Die Chancen der diskutierten Neuregelung überwiegen indes ihre Risiken.
Die Justiz im Fokus der Medien
Jeder erfahrene Richter weiß, dass die massive Medienbegleitung eines besonders spektakulären Verfahrens der Rechtsfindung im konkreten Fall nicht unbedingt guttut. Gleichwohl steht die Justiz zu Recht im Fokus der Medien, wenn sie in einem Akt öffentlicher Gewalt "Im Namen des Volkes" ihre Urteile spricht.
Öffentlichkeit wird insoweit in aller Regel durch Medien vermittelt, die über Gerichtsverfahren und Gerichtsentscheidungen berichten. Dies dient der Transparenz staatlichen Handelns und damit der Kontrolle der dritten Gewalt. Soweit nicht im Einzelfall schutzwürdige Interessen von Beteiligten entgegenstehen – hierfür gibt es zahlreiche Möglichkeiten, die Öffentlichkeit zu beschränken – kann niemand grundsätzliche Einwände gegen die Medienberichterstattung über Gerichtsverfahren erheben.
Dass diese Berichterstattung den Angehörigen der Justiz oder auch den Betroffenen nicht immer gefällt, liegt in der Natur der Sache. Sich hierüber als Richter larmoyant und ausschweifend zu beschweren, ist in aller Regel unangebracht, zeigt es doch meist nur, wie kritikunfähig der Kritiker selbst ist.
Vom Unterschied zwischen unterer Instanz und oberstem Bundesgericht
Wie verhält es sich aber mit Bild- oder Tonaufnahmen aus "normalen" Gerichtsverhandlungen? Diese sind aus nachvollziehbaren Gründen verboten. Der Prozess der Wahrheitsfindung soll nicht beeinträchtigt, ein Gerichtsverfahren nicht zu einer Gerichtsshowwerden.
Diese Gründe für eine Beschränkung der Medienöffentlichkeit in der Instanz oder der mündlichen Verhandlung, in der die Beteiligten zu Wort kommen und Beweise erhoben werden, gelten aber nicht für die Urteilsverkündungen oberster Bundesgerichte.
Hier werden vielfach Grundsatzentscheidungen getroffen, die Auswirkungen auf alle oder viele Bürger haben können. Zudem geht es regelmäßig nicht um Tatsachenfeststellungen im Einzelfall, sondern um die Klärung abstrakter Rechtsfragen. Weil die Entscheidungen der obersten Bundesgerichte allgemeine Geltung für alle Rechtsunterworfenen beanspruchen, erfahren sie vielfach allgemeine Aufmerksamkeit und werden in den Medien breit rezipiert.
Bislang werden Urteilsbegründungen bei den obersten Bundesgerichten von anwesenden Journalisten mitgeschrieben und anschließend der Öffentlichkeit mitgeteilt. Was spricht dagegen, diese Urteilsbegründungen durch Bild- und Tonaufnahmen einer breiteren als der anwesenden Öffentlichkeit im O-Ton übermitteln zu können? Wer gegen die Neuregelung einwendet, sie öffne das Tor für die umfassende Fernsehübertragung aus allen Instanzen, wischt mit diesem "Totschlagsargument" alle sachlich begründeten Unterschiede zwischen der Instanz und den obersten Bundesgerichten vom Tisch. Aber es gibt auch andere Bedenken.
Gefilmte Urteilsverkündung beim BGH: . In: Legal Tribune Online, 31.03.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18939 (abgerufen am: 09.10.2024 )
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