Hassrede im Internet nimmt stetig zu, und damit werden auch Rufe nach neuen Gesetzen lauter. Niklas Haberkamm plädiert jedoch dafür, sachlich zu bleiben und die bestehenden Sanktionsmöglichkeiten konsequenter als bislang auszuschöpfen.
LTO: Herr Haberkamm, Sie haben die österreichische Regierung zum Thema "Hassrede im Internet" beraten und plädieren für mehr Sachlichkeit. Wie meinen Sie das?
Dr. Niklas Haberkamm: Man sollte v.a. nicht den Fehler begehen, die sozialen Netzwerke als Ursache der problematischen Äußerungen anzusehen. Facebook oder Twitter transportieren nur das, was bereits zuvor schon da war und früher beispielsweise als Stammtisch-Parole verkündet wurde.
Heute werden solche Äußerungen allerdings als 'Hassrede' öffentlich in Sekundenschnelle gegenüber unzähligen Empfängern kundgetan. Die sozialen Netzwerke fungieren dann lediglich als virtuelle Brandbeschleuniger, weil die jeweilige 'Hassrede' von Jedermann kommentiert, geliked und geteilt werden kann. Gegenreaktionen führen wiederum dazu, dass sich die Diskussionsspirale zuspitzt und hochschaukelt.
Obwohl "Hassrede" nur von einer Minderheit der Gesellschaft über das Internet und soziale Netzwerke in die Öffentlichkeit getragen wird, erscheint sie als ein absolut dominierendes Problem - obwohl der ganz überwiegende Teil der Bevölkerung "Hassrede" kategorisch ablehnt.
"Hassrede" genau definieren
LTO: Und dennoch sieht Justizminister Heiko Maas Handlungsbedarf, er hat eine Taskforce ins Leben gerufen, welche die Bekämpfung von "Hassrede" im Internet zum Ziel hat. Wie beurteilen Sie das?
Haberkamm: Bislang hat die Taskforce verschiedene Initiativen angestoßen, die man unter der www.fair-im-netz.de nachverfolgen kann. Und um auf keinen Fall in den Verdacht zu kommen, nicht alles versucht zu haben, das Gespenst der "Hassrede" einzufangen, haben Facebook und Youtube, also Google, noch weitere eigene Initiativen gestartet.
Allerdings steigt - parallel zur wachsenden Anzahl von solchen Initiativen - auch das gefühlte Maß der "Hassrede" im Internet ungebremst an. Das lässt durchaus an der Effektivität der Initiativen zweifeln. Effizient scheinen sie zumindest nicht zu sein.
LTO: Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Haberkamm: Diese Initiativen sind oft ebenso diffus wie die Begrifflichkeiten "Hassrede" oder "Hate Speech" selbst. Erst wenn die Frage, was Hassrede genau ist, differenziert beantwortet wird, kann man sinnvoll über geeignete Gegenmaßnahmen sprechen.
Drei Kategorien von Hate Speech
LTO: Wie würden Sie die "Hassrede" denn definieren?
Haberkamm: Es gibt drei verschiedene Kategorien. Die erste Gruppe umfasst Äußerungen, die nach der aktuellen Rechtslage allein durch ihre Äußerung einen Straftatbestand darstellen, ohne dass sie sich gegen eine konkrete Person richten müssen. Darunter fallen insbesondere die Volksverhetzung und die Gewaltdarstellung.
Das heißt, dass es in Deutschland eine strafrechtliche Norm gibt, die als Strafmaß eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren vorsieht, wenn jemand durch seine Äußerungen im Internet - verkürzt ausgedrückt – den öffentlichen Frieden stört oder die Menschenwürde verletzt.
2/3 Nicht jede Hassrede ist strafrechtlich relevant
LTO: Was ist die zweite Gruppe?
Haberkamm: Die zweite Gruppe umfasst Veröffentlichungen, die sich konkret gegen eine Person richten und diese strafrechtlich relevant in ihren Rechten verletzen. In Betracht kommt § 185 StGB, der für eine Beleidigung gegen eine Person auch im Internet eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr vorsieht.
Nach § 186 StGB wird die üble Nachrede mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren sanktioniert.
§ 187 StGB sieht für einen Fall der Verleumdung eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren vor, wenn sie "öffentlich" erfolgt, wovon bei einer Veröffentlichung im Internet und in den überwiegenden Fällen auch bei einer Veröffentlichung in sozialen Netzwerken auszugehen ist.
Weitere Straftatbestände, die bei ihrer Verwirklichung auch im Internet und in sozialen Netzwerken empfindliche Freiheitsstrafen nach ziehen können, sind die Bedrohung, die Nötigung oder die Nachstellung, z. B. über Twitter, SMS oder E-Mails. Sogar eine Körperverletzung kommt bei besonders heftigen Äußerungen, etwa gegen Minderjährige in Betracht, weil die seelischen Folgen und Verletzungen durch strafbare Äußerungen im Internet durchaus als nicht unbeachtliche Gesundheitsschädigung gewertet werden können.
Verwendung von Fotos kann nach KUG strafbar sein
LTO: Es gibt viele Fälle, in denen Fotos von Privatpersonen als politische oder ideologische Gegner gepostet und mit "Hassrede" verknüpft werden. Was ist damit?
Haberkamm: Wenn Fotos von Privatpersonen gegen deren Willen und ohne zeitgeschichtlichen Zusammenhang im Internet veröffentlicht werden, beispielsweise im Sinne von anprangernden "Steckbriefen" oder auch nur als Ergänzung zu bestimmten Äußerungen über die Person, ist das nach der aktuellen Gesetzeslage strafrechtlich sanktionierbar.
Die einschlägige Norm findet sich im Kunst- und Urhebergesetz (KUG) und ist leider selbst bei vielen Strafverfolgungsbehörden weitgehend unbekannt. Die Veröffentlichung eines Fotos gegen den Willen des Abgebildeten wird zumindest laut Gesetzestext, also gemäß §§ 22,33 KUG, mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bestraft, kommt aber in der Praxis leider kaum zur Anwendung.
LTO: Sie erwähnten noch eine dritte Kategorie von Hassrede?
Haberkamm: Das umfasst Äußerungen, die nicht unter die beiden vorherigen Gruppen fallen und damit auch keine strafrechtliche Relevanz haben. Solche Äußerungen können durchaus abstoßend, moralisch verwerflich oder sogar widerlich sein. Sie sind aber gleichzeitig von der Meinungsfreiheit gedeckt und müssen damit auch ertragen werden.
3/3 "Gesetzliche Regelungen konsequent anwenden"
LTO: Die Gesetzeslage reicht also aus, um gegen Hassrede vorzugehen, trotzdem passiert kaum etwas. Woran liegt das?
Haberkamm: Letztlich müsste man die bestehenden gesetzlichen Regelungen nur ernsthaft und konsequent anwenden und die vorgesehenen Sanktionsmöglichkeiten mit der jeweils gebotenen Härte tatsächlich umsetzen. Das wäre sinnvoller, als unter Beteiligung der Ministerien weitere Initiativen zu starten oder nach neuen Gesetzen zu rufen.
Zunächst müssen die Nutzer strafbare Inhalte im Internet konsequent zur Anzeige bringen. Leider werden eindeutig strafbare Inhalte größtenteils ignoriert, weil die Betroffenen davon ausgehen, "dass man dagegen ja eh nichts machen kann". Durch eine solche Haltung toleriert man Straftaten und macht das Internet und die sozialen Netzwerke zu einem Fass ohne Boden für immer weitere Straftaten. Die schlichte Billigung von Straftaten wird dazu führen, dass strafbare Äußerungen als Standard im Internet akzeptiert werden. Dies wäre die Kapitulation der Gesellschaft vor dem Medium Internet.
LTO: Viele Internetnutzer scheinen nicht gerade auf eine effektive Strafverfolgung zu vertrauen…
Haberkamm: Richtig, und das führt auf der einen Seite zum Tolerieren von strafbaren Äußerungen und auf der anderen Seite spiegelbildlich auch zu einem Anstieg der getätigten strafbaren Äußerungen, weil eben gerade keine konsequente Sanktionierung gefürchtet wird.
In der Praxis werden Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts von strafbaren Äußerungen im Internet in den ganz überwiegenden Fällen eingestellt. Das liegt v.a. daran dass die zuständigen Stellen überlastet und überfordert sind. Das wird dann von den falschen Leuten als Freifahrtschein für strafbare Äußerungen verstanden.
Erster Schritt: Digitale Polizeibehörden
LTO: Wie könnte man dem abhelfen?
Haberkamm: Es müssen weitere hochspezialisierte Kriminalkommissariate geschaffen oder die vorhandenen Kommissariate und Abteilungen ausgebaut und spezialisiert werden. Das würde eine zutreffende Analyse und Bearbeitung internetspezifischer Äußerungsstraftaten ermöglichen. Diese Sachverhalte müssen dann über gleichfalls spezialisierte Staatsanwaltschaften weiterverfolgt werden, um letztlich über ein Gerichtsverfahren zu einer Verurteilung des strafbaren Verhaltens zu führen.
Ein erster Schritt in die richtige Richtung ist die Einführung digitaler Polizeibehörden, bei denen problematische Äußerungen online und damit vereinfacht und mediumsgerecht zur Anzeige gebracht werden können. Dieser erste Schritt ist aber sinnlos, wenn dann zu wenige und nicht ausreichend qualifizierte Polizeibeamte vorhanden sind, um die Anzeigen zielführend zu bearbeiten.
LTO: In welcher Rolle sehen Sie dabei die Politik?
Haberkamm: Die Politik muss ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung stellen, um weitere qualifizierte Stellen bei den Strafverfolgungsbehörden zu schaffen und den Beamten eine effektive Handhabung internetspezifischer Äußerungsstraftaten zu ermöglichen. Zudem müssen die zuständigen Ministerien die Polizei über die Staatsanwaltschaften scharf anweisen, entsprechende Straftaten mit der gebotenen Härte und Konsequenz zu verfolgen.
Wenn die Sanktionsmöglichkeiten wirklich umgesetzt werden, muss auch niemand nach neuen Gesetzen rufen. Werden die bestehenden Gesetze aber weiterhin so ineffektiv umgesetzt wie bisher, dann erscheint der Ruf nach neuen Gesetzen sogar als simpler Populismus.
Dr. Niklas Haberkamm ist Partner der Kölner Medienrechtskanzlei Lampmann, Haberkamm & Rosenbaum. Er ist spezialisiert in den Bereichen des Medienrechts und Geistigen Eigentums und betreut Verfahren im Bereich des Persönlichkeitsschutzes (Reputationsmanagement).
Anja Hall, Hate-Speech: "Besser digitale Polizeibehörden als neue Gesetze" . In: Legal Tribune Online, 04.01.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21648/ (abgerufen am: 04.05.2024 )
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