Mehr Kompetenzen, Straffreiheit für V-Leute und ein umfassender Datenverbund der Behörden – die Bundesregierung will den Verfassungsschutz stärken. Experten bezweifeln, dass dies die richtigen Lehren aus dem NSU-Skandal sind.
Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen, zeigt sich zufrieden: "Dieser Gesetzentwurf wird die Stellung des Bundesamtes für Verfassungsschutz verbessern." Das Ziel müsse sein, die Behörde "zeitgemäß aufzustellen". Aber was ist zeitgemäß? Die Geheimdienste stehen massiv in der Kritik. Der Verfassungsschutz hat den Terror des Nationalsozialistischen Untergrunds jahrelang übersehen, sein Ansehen ist stark beschädigt. Und nun bekommt Maaßens Behörde einen erweiterten Zuständigkeitsbereich: Zugriff auf alle relevanten Daten der Landesbehörden, umfassende Recherche- und Analysemöglichkeiten und neue Regeln, die die Straffreiheit von verdeckten Ermittlern und V-Leuten sicherstellen. Mit dem "Gesetzentwurf zur Verbesserung der Zusammenarbeit im Bereich des Verfassungsschutzes" reagiert die Bundesregierung auf den NSU-Skandal, die Empfehlungen der Bund-Länder-Kommission Rechtsextremismus und den Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses. Nun hat der Innenausschuss dazu Sachverständige angehört.
Experten sehen "verfassungsrechtliche Mängel"
Neben Maaßen gehört dazu der Berliner Rechtsanwalt Sebastian Scharmer. Er vertritt im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München die Tochter eines Kioskbesitzers aus Dortmund, der mutmaßlich das achte Opfer des NSU war. Scharmer beurteilt die Pläne der Bundesregierung ganz anders als Maaßen: "Der Gesetzentwurf schafft es in keinem Punkt, die Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses umzusetzen. Es werden vielmehr die Mechanismen gestärkt, die zu den Problemen geführt haben." Er will damit auch für die Angehörigen sprechen: "Bei den Familien herrscht Wut und Unverständnis über dieses Vorhaben. Sie wehren sich ausdrücklich dagegen, dass diese Reform mit ihrem Leid begründet wird." Scharmer ist nicht der einzige Sachverständige, der den Gesetzentwurf kritisiert. Der Staatsrechtler Prof. Dr. Matthias Bäcker sieht zahlreiche "verfassungsrechtliche Mängel". Der Polizeirechtsexperte Prof. Dr. Hartmut Aden findet, der Entwurf greife "zu kurz".
Die Bundesländer sind dagegen, dass die Zentralstellenfunktion des Bundesamtes für Verfassungsschutz ausgebaut wird. Das Bundesamt darf künftig immer dann in den Ländern Informationen sammeln, wenn es um Gruppen geht, die Gewalt anwenden, unterstützen oder befürworten. Es kommt dabei nicht mehr darauf an, ob sich die Bestrebungen dieser Gruppe über den Bereich des jeweiligen Bundeslandes hinaus erstrecken. Ob das tatsächlich entscheidende Auswirkungen hat, müsste sich allerdings noch zeigen. Der ehemalige Berliner Innensenator Ehrhart Körting merkt an, er könne sich kaum gewaltbereite Bestrebungen vorstellen, die sich nicht auch gegen den Bund richten. "Das da jemand wirklich nur die Thüringische Landesregierung in die Luft sprengen will, ist doch unwahrscheinlich. In der Regel wird auch ein Bundesbezug gegeben sein."
2/2: Straffreiheit von V-Leuten
Heftig umstritten sind vor allem die Regelungen zu Straffreiheit von V-Leuten. Das stieß schon vor der Sitzung des Innenministeriums auf Kritik. Vor dem Bundestag demonstrierte die Humanistische Union mit Bildern von bekannten straffälligen V-Leuten gegen die geplante Regelung. Demnach dürfen sich verdeckte Ermittler und V-Leute im Einsatz an strafbaren Bestrebungen beteiligen, wenn das für den Informationszugang notwendig ist – sich also etwa an verbotenen Versammlungen beteiligen oder auf einer Demonstration den Hitlergruß zeigen. Das gilt nicht, wenn es um Individualrechte geht – etwa eine Körperverletzung. Beteiligt sich ein V-Mann also an einem Angriff auf einen Flüchtling, wäre das zwar grundsätzlich strafbar. Trotzdem hätte er nicht unbedingt etwas zu befürchten: Die Staatsanwaltschaft kann von Ermittlungen absehen oder das Verfahren jederzeit einstellen, solange nicht eine Strafe von mehr als einem Jahr Haft zu erwarten ist.
Aden kritisiert dabei vor allem, dass nicht zwischen verdeckten Ermittlern und V-Leuten unterschieden wird. Verdeckte Ermittler werden vom Geheimdienst gezielt in die Szene eingeschleust, für sie gilt das öffentliche Dienstrecht. Sie werden in der Praxis aber nur selten eingesetzt. V-Leute gehören dagegen zur Szene und werden vom Verfassungsschutz angeworben.
"In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass vor allem V-Leute problematisch sind", so Aden. Denn wer da von wem profitiert, ist nicht immer ganz klar. Ein bekanntes Beispiel ist der V-Mann Tino Brandt, der das Geld, dass er vom Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz erhielt, in großem Stil zum Aufbau der rechtsextremen Szene einsetzte. Scharmer hält die Regelung insgesamt für unlogisch. Die Straffreiheit sei dabei kaum der eigentliche Zweck. "Es kann nicht das Interesse der Verfassungsschutzbehörden sein, dass eine Quelle überhaupt in Ermittlungsakten auftaucht. Wahrscheinlich geht es eher darum, bei der Anwerbung von V-Leuten mit solchen Normen zu werben: Schaut her, wenn ihr für uns arbeitet, kann euch nichts mehr passieren." Für die V-Leute eine komfortable Situation.
Rechtmäßigkeit des Datenpools fraglich
Der NSU-Untersuchungsausschuss hatte klare Vorgaben zur Definition von V-Leuten, zur Auswahl und zur Dauer der Zusammenarbeit gefordert und betont, der Quellenschutz dürfe nicht absolut gelten. Was genau aus solchen Formulierungen zu folgern ist, bleibt aber unklar, schließlich mussten auch im Untersuchungsausschuss unterschiedliche Fraktionsinteressen berücksichtigt werden.
Dasselbe gilt für die Neuregelungen zum Informationssystem. Der NSU-Untersuchungsausschuss hatte eine bessere Zusammenarbeit und eine zentrale Auswertung empfohlen. Die Bundesregierung will nun einen umfassenden Datenpool beim Bundesamt für Verfassungsschutz schaffen und der Behörde weitreichende Möglichkeiten zur Recherche und Analyse bereitstellen. Bäcker hält das für verfassungswidrig: "Wenn man sich anguckt, was man alles machen kann, ohne gegen das Gesetz zu verstoßen, muss man sagen: Es kann alles gespeichert werden und es kann praktisch alles ausgewertet werden. Das geht zu weit." Außerdem hält er die Regelung für inkonsequent: "Die Länder dürfen alles übermitteln, aber sie müssen nicht. Damit ist gar nicht sichergestellt, dass das Bundesamt tatsächlich relevante Informationen künftig erhält."
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung dürfte allenfalls ein kleiner Schritt in die richtige Richtung sein, um den Verfassungsschutz zu reformieren. Der NSU-Skandal hat auch gezeigt, dass ohnehin nicht alle Probleme auf gesetzlicher Ebene zu lösen sind. So merkte Aden gleich zu Beginn der Sitzung im Innenausschuss an, dass es nicht ausreicht, die staatlichen Strukturen zu ändern: "Wir haben gesehen, dass es vor allem um Fehler von Menschen ging." Die Verfassungsschützer müssen umdenken.
Annelie Kaufmann, Gesetzentwurf nach NSU-Skandal: Verfassungsrechtliche Mängel beim Verfassungsschutz . In: Legal Tribune Online, 09.06.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15792/ (abgerufen am: 26.04.2024 )
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