Kommunen können öffentlich-rechtliche Zweckverbände gründen – und damit Ausschreibungen nach dem Vergaberecht entgehen, entschied der EuGH. Wie und warum das europarechtskonform ist, erklären Stephan Schäfer und Jakob Stasik.
Die Übertragung der Leistungen der Abfallwirtschaft im Jahr 2001 durch die Region Hannover auf einen kommunalen Zweckverband war – auch ohne Ausschreibung – im Grundsatz rechtens. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Mittwoch entschieden (Urt. 21.12.2016, Az. C51/15). Das klagende Recyling-Unternehmen Remondis hat damit zunächst das Nachsehen.
Die Wurzeln dieses Rechtsstreits reichen 15 Jahre zurück in eine Zeit regionalpolitischer Umwälzungen in Niedersachen. Im Rahmen der Gründung der Region Hannover organisierten Stadt und Landkreis Hannover die kommunale Aufgabe die Abfallentsorgung neu:
Sie gründeten einen 100-prozentig öffentlich-rechtlichen Zweckverband für Abfallwirtschaft der Region Hannover (Aha), dem sie nicht nur die Aufgaben und Befugnisse im Bereich der Abfallentsorgung, sondern unentgeltlich auch die jeweiligen Einrichtungen übertrugen. Die Region Hannover übertrug dem Zweckverband auch 94,5 Prozent der Anteile an ihrer Abfallentsorgungsgesellschaft Hannover.
Abfall stinkt (manchmal) – Geld nicht
Der Aha führt seitdem die Entsorgung durch. Wirtschaftlich ein Erfolgsmodell, für die private Entsorgungswirtschaft jedoch ein Ärgernis: Immerhin tritt der Zweckverband mit seiner Abfallentsorgungsgesellschaft im gewerblichen Bereich auch als normaler Mitbewerber auf den Plan und erwirtschaftet gut sechs Prozent seiner Umsätze dort.
Der Entsorgungsriese Remondis sah hierin einen Verstoß gegen das Vergaberecht. Nach seiner Auffassung verletzt die kommunale Umverteilung die europäische Vergaberechts-Richtlinie 2004/18/EG, welche die mitgliedstaatlichen Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge koordiniert. Gründung und Ausstattung des Zweckverbands und die damit einhergehende Übertragung von Aufgaben auf diesen Verband seien ein "öffentlichen Auftrag" im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie. Ein öffentlicher Auftrag – so meint Remondis – liege hier vor allen Dingen deshalb vor, weil der Aha nicht mehr im Wesentlichen für die Region Hannover ausschließlich, sondern auch eigenwirtschaftlich tätig sei. Damit falle die Gesamtmaßnahme unter das Vergaberecht und hätte ausgeschrieben werden müssen. Da die Ausschreibung fehlt, sei die Vergabe nichtig.
Ob hier ein öffentlicher, das heißt die Ausschreibungspflicht auslösender Auftrag im Sinne des Europarechts vorliegt, konnte das zuletzt zuständige Oberlandesgericht (OLG) Celle nicht selbst klären. Es stellte daher im Wege der Vorabentscheidung das Hannoveraner Modell auf den Prüfstand des EuGH. Dieser hat im Sinne der Region Hannover entschieden: Eine Vereinbarung zwischen zwei Gebietskörperschaften, auf deren Grundlage diese einen öffentlich-rechtlichen Zweckverband gründen und dieser neuen öffentlichen Einrichtung Befugnisse und Aufgaben zuweisen, die bisher den Körperschaften zustanden, stellt keinen öffentlichen Auftrag dar.
2/2: Wann interkommunale Zusammenarbeit bisher ausschreibungsfrei war
Anlass für die Vorlage an den EuGH war dessen Urteil 13.06.2013 (Az. C-386/11) in der Sache "Piepenbrock", das aus Sicht des OLG Celle Zweifel aufwarf. Dieses Urteil fasste die Vorgaben der bis dato ergangenen Rechtsprechung des EuGH für die Grenzen einer vergaberechtsfreien interkommunalen Zusammenarbeit zusammen. So galt spätestens ab diesem Urteil, dass die interkommunale Zusammenarbeit nicht generell zu einem Ausschluss der Anwendbarkeit der Vorschriften des Vergaberechts führt. Sofern sich eine Zusammenarbeit bei wirtschaftlicher Betrachtung als Bedarfsdeckung darstellt, sollte sie weiterhin dem Vergaberecht unterstellt sein.
Bislang war die interkommunale Zusammenarbeit damit nur bei Vorliegen der folgenden Voraussetzungen vergaberechtsfrei:
- Die Tätigkeit musste der Wahrnehmung einer den beteiligten Einrichtungen obliegenden Gemeinwohlaufgabe dienen.
- Es durfte keine privaten Beteiligungen geben.
- Kein privater Dienstleistungserbringer durfte dadurch besser gestellt werden als seine Wettbewerber.
- Die vereinbarte Zusammenarbeit durfte nur durch Überlegungen und Erfordernisse bestimmt sein, die mit der Verfolgung von im öffentlichen Interesse liegenden Zielen zusammenhingen.
- Es durften nur weniger als 20 Prozent der durch die Zusammenarbeit erfassten Tätigkeit auf dem offenen Markt erbracht werden.
Wer Zweckverbände gründet, darf sie auch ausstatten
Mit dem vorliegenden Urteil entwickelt der EuGH seine Rechtsprechung und die darin aufgestellten Vorgaben für eine vergaberechtsfreie interkommunale Zusammenarbeit fort. Dabei verfolgt er im Ergebnis einen Ansatz, der eine interkommunale Zusammenarbeit wieder attraktiver erscheinen lässt. Er knüpft hierbei dogmatisch sauber noch vor der Prüfung der vorstehenden Voraussetzungen an, indem er sich fragt, ob das europäische Vergaberecht überhaupt anwendbar ist.
Dies ist schon begrifflich nicht der Fall, wenn es sich um keinen öffentlichen Auftrag handelt. Voraussetzung dafür ist unter anderem eine entgeltliche Aufgabenerfüllung. Der EuGH machte deshalb deutlich, dass die unentgeltliche Übertragung sämtlicher Mittel für die Aufgabenerfüllung auf den neu gegründeten Zweckverband seiner Auffassung nach bloß eine logische Folge der Aufgabenübertragung ist - und damit kein Entgelt darstellt.
Auch die in den Landesgesetzen über die interkommunale Zusammenarbeit typischerweise angelegte Verpflichtung, etwaige Verluste aus der Tätigkeit auszugleichen, reicht nach Ansicht des EuGH für eine Entgeltlichkeit nicht aus. Diese Position wird insbesondere aus kommunaler Sicht begrüßt werden. Denn die wohl populärste Form der interkommunalen Zusammenarbeit in der Organisationsform eines Zweckverbandes setzt regelmäßig diese beiden Prozesse voraus. Kommunalpolitiker dürften sich freuen.
Zweckverbände müssen handlungsfrei sein
Die interkommunale Zusammenarbeit ist nach dem EuGH aber auch dann als vergaberechtsfrei anzusehen, wenn damit eine umfassende Kompetenzübertragung auf den Zweckverband einhergeht. Auch diesen Ansatz begründet der EuGH dogmatisch sauber mit dem in Art. 4 Abs. 2 Vertrag der Europäischen Union (EUV) angelegten Schutz der Aufteilung der Zuständigkeiten innerhalb eines Mitgliedsstaats. Denn die Gründung eines Zweckverbandes und die Aufgabenübertragung auf diesen stellen Kernelemente der durch Art. 4 Abs. 2 EUV geschützten Befugnis zur innerstaatlichen Zuständigkeitsaufteilung dar.
Von einer umfassenden Kompetenzübertragung ist nach dem EuGH auszugehen, wenn nicht nur die Zuständigkeit sondern auch die dazu korrespondierenden hoheitlichen Befugnisse auf den neuen Aufgabenträger übergehen und eine eigene Entscheidungsbefugnis sowie finanzielle Unabhängigkeit des neuen Aufgabenträgers gegeben sind. Bei der Annahme dieser Voraussetzungen scheint der EuGH recht großzügig zu sein.
Im von Remondis angegriffenen Fall spielte der Gerichtshof den Ball nun erst einmal zurück an das OLG Celle, das zu prüfen hat, ob dem Aha eben diese Handlungsfreiheit zukommt. Spannend wird, wie die Gerichte und die Vergaberechtspraxis diese Entscheidung aufnehmen und interpretieren werden. Eines ist jedoch klar: Die Entscheidung bietet wieder mehr Anreize für eine reine interkommunale Zusammenarbeit, private Mitbewerber werden häufi-ger leer ausgehen.
Jakob Stasik ist Rechtsanwalt bei ZENK Rechtsanwälte, Berlin. Er berät Kommunen und Unternehmen in allen kommunalwirtschafts- und vergaberechtlichen Fragen
Stephan Schäfer ist Rechtsanwalt bei ZENK Rechtsanwälte, Berlin. Er berät Unternehmen bei der Vertragsgestaltung in stark regulierten Bereichen (Abfall, Lebensmittel, Medizintechnik).
Stephan Schäfer und Jakob Stasik, EuGH zu kommunaler Abfallentsorgung: Zusammentun macht wieder Sinn . In: Legal Tribune Online, 21.12.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21547/ (abgerufen am: 30.09.2023 )
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