Eine automatische Gehaltserhöhung – wer wünscht sich das nicht? Die Bundestagsabgeordneten hatten aber nicht mit dem Widerstand des Bundespräsidenten gerechnet. Der will die geplante Anhebung der Abgeordnetendiäten nun genau prüfen. Auch wenn Gauck damit recht spät dran ist, meint Hans Herbert von Arnim: Das muss der Bundespräsident auch. Vor das BVerfG wird das Gesetz nämlich niemand bringen.
Im Februar hatte die Große Koalition das Diätengesetz durch den Bundestag gepeitscht. Dabei leistete ihr eine Experten-Kommission des Bundestags Schützenhilfe, die ihre Empfehlungen im März vergangenen Jahres vorgelegt hatte. Das Parlament hatte diese Kommission mehrheitlich mit früheren Ministern, Parlamentarischen Staatssekretären, Abgeordneten und anderen parlaments- und parteinahen Mitgliedern bestückt. Diese interpretierten die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ausgesprochen bundestagsfreundlich und blendeten fast die gesamte staatsrechtliche Fachliteratur aus, die die einschlägigen Urteile aus Karlsruhe ganz anders versteht. Das grenzt an öffentlichen Betrug.
Zudem verschwieg die Kommission, wie sich ihr Vorschlag, die Diäten an die Bezüge von Bundesrichtern anzugleichen, auf die Höhe der Diäten auswirken würde. Das war schwierig zu berechnen. Die meisten Medien waren deshalb vor der Bundestagswahl bloß von einem Plus von "mehreren hundert Euro pro Monat" ausgegangen oder, wie der Focus schrieb, von "268 Euro mehr", und verkannten auch sonst die Brisanz des Kommissionsberichts.
In Wahrheit erhöht das nach der Bundestagswahl – entsprechend den Empfehlungen der Kommission – beschlossene Gesetz die Entschädigung um 830 Euro: von derzeit 8.252 Euro auf 9.082 Euro monatlich, und zwar in zwei Schritten: um 415 Euro zum 1. Juli 2014 und um weitere 415 Euro zum 1. Januar 2015.
Automatische Diätenerhöhung unzulässig
Inzwischen sind vier Monate vergangen, und das Gesetz ist immer noch nicht in Kraft. Der Bundespräsident, so heißt es, habe verfassungsrechtliche Bedenken, so dass er das Gesetz jedenfalls nicht vor dem 1. Juli ausfertigen konnte, zu dem es eigentlich schon in Kraft sein sollte. Denn er darf nach Art. 82 Grundgesetz (GG) nur verfassungsmäßige Gesetze unterschreiben und im Bundesgesetzblatt veröffentlichen.
Nicht mit Erfolg kann Joachim Gauck sich jedenfalls darauf berufen, dass er nicht genug Zeit für die Verfassungsprüfung gehabt habe. Es mag sein, dass das Gesetz ihm wie es weiter heißt, von der Bundesregierung, die es gegenzuzeichnen hatte (Art. 58 GG), erst am 19. Mai zugestellt worden ist. Bereits seit März jedoch lag ihm das Manuskript meines Aufsatzes "Abgeordnetengesetz ohne Kontrolle" (Anm. d. Red: veröffentlicht Mitte Mai im Deutschen Verwaltungsblatt) vor, dessen Berücksichtigung das Präsidialamt zugesagt hatte.
Das Gesetz ist denn auch gleich in mehrfacher Hinsicht verfassungswidrig. Die ab 2016 vorgesehene automatische Erhöhung der Entschädigung ist ganz klar unzulässig. Bei Diätengesetzen entscheidet der Bundestag in eigener Sache und ist somit befangen. Deshalb ist eine wirksame Kontrolle durch die Öffentlichkeit besonders wichtig. Jede einzelne Veränderung der Höhe der Entschädigung ist gesondert "im Plenum zu diskutieren" und muss vom Bundestag "vor den Augen der Öffentlichkeit" beschlossen werden. Denn dies ist – neben der Kontrolle durch den Bundespräsidenten und das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) – "die einzige wirksame Kontrolle". So steht es im Diätenurteil des BVerfG (Urt. v. 05.11.1975, Az. 2 BvR 193/74). Im Rechtsstaat Bundesrepublik ist es Sache des BVerfG, das GG auszulegen, und danach darf die Kontrolle nicht durch Indexerhöhungen ausgehebelt werden.
Der Automatismus soll nach dem neuen Gesetz am Anfang jeder Wahlperiode vom Bundestag bestätigt werden. Das kann die Verfassungswidrigkeit aber nicht heilen. Denn jährliche automatische Anpassungen an die Steigerungsrate der Brutto-Nominallöhne erfolgen dann über die ganze Wahlperiode, also vier Jahre lang, bzw. während der aktuellen Wahlperiode 2016 und 2017.
1995 hatte der Bundestag schon einmal versucht, einen Automatismus einzuführen. Damals hatte er die Verfassungswidrigkeit einer solchen Maßnahme aber sehr wohl eingeräumt und wollte diese durch eine Änderung des Grundgesetzes beheben. Doch der Bundesrat versagte seine Zustimmung. Eine Verfassungsänderung, die der Bundestag in eigener Sache vornimmt, erschien denn doch zu dreist. Nun versucht der Bundestag, den Automatismus ohne Verfassungsänderung durchzuboxen. Damit ist dem Gesetz aber die Verfassungswidrigkeit auf die Stirn geschrieben, und offensichtlich verfassungswidrige Gesetze darf der Bundespräsident nun mal nicht in Kraft setzen.
2/2: Zulagen für Ausschussvorsitzende und Altersversorgung
Die Diätenreform sieht außerdem eine Zulage für Ausschussvorsitzende vor. Sie sollen 15 Prozent mehr bekommen als gewöhnliche Abgeordnete. Auch das ist offensichtlich verfassungswidrig. Solche Zulagen sind nur für den Präsidenten des Parlaments und seine Stellvertreter sowie Fraktionsvorsitzende erlaubt.
Wörtlich heißt es zum Beispiel im Urteil des BVerfG zu einer Diätenerhöhung im thüringischen Landtag (Urt. v. 21.07.2000, Az. 2 BvH 3/91): Es verstößt gegen Art. 38 GG, wenn "Ausschussvorsitzende zusätzliche Entschädigungen erhalten". In späteren Entscheidungen haben die Karlsruher Richter untermauert, dass es sich dabei um "allgemeine Maßstäbe" handelt, die natürlich auch für den Bundestag gelten. Das ist auch sachlich gerechtfertigt: Die Diäten sind eine Vollalimentation. In ihren Genuss kommen – nach dem hier geltenden strengen Gleichheitssatz – sowohl diejenigen Abgeordneten, die wenig für das Mandat tun, weil sie noch ihrem privaten Beruf nachgehen, als auch diejenigen, für die das Mandat wegen einer zusätzlichen Funktion im Parlament wirklich ein Fulltime-Job ist.
Schließlich erlaubt das BVerfG allenfalls eine "begrenzte Altersversorgung" von Abgeordneten (Beschl. v. 21.10.1971, Az. 2 BvR 367/69). Mit dem Gesetz sollen aber nicht nur die Diäten um rund zehn Prozent erhöht werden, sondern auch die ohnehin schon üppige Altersversorgung. Abgeordnete erwerben dann pro Mandatsjahr einen monatlichen Versorgungsanspruch von 227 Euro, der Bundestagspräsident erwirbt sogar pro Amtsjahr 454 Euro. Zum Vergleich: Rentner erhalten im Durchschnitt pro Arbeitsjahr einen monatlichen Rentenanspruch von 28 Euro, das ist rund ein Achtel bzw. ein Sechzehntel. Eine "begrenzte Altersversorgung" ist das nicht. Die Überversorgung wird auch dadurch indiziert, dass die Abgeordnetenentschädigung nur die dreifache (und eben nicht die achtfache) Höhe des durchschnittlichen Arbeitnehmereinkommens hat.
Klagebefugte wollen nicht klagen, Klagebereite dürfen nicht klagen
Die Abgeordneten wiegen sich offenbar in der Hoffnung, es werde sich schon niemand finden, der das Gesetz vors BVerfG bringt. Hier besteht nämlich eine empfindliche Rechtsschutzlücke: Bürger oder außerparlamentarische Parteien besitzen keine Klagebefugnis. Und die Regierung oder Abgeordnete werden von ihrer Klagemöglichkeit vermutlich keinen Gebrauch machen. Sie würden sich ja ins eigene Fleisch schneiden und sich auch im Bundestag isolieren.
Würde die Opposition es mit ihrer Kritik ernst meinen, könnten einzelne Parlamentarier durchaus klagen: Kein Abgeordneter braucht sich einen verfassungswidrigen Status aufdrängen zu lassen. In der Plenardebatte des Bundestags hatte die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes allerdings keine Rolle gespielt, auch nicht bei den Linken, obwohl ich deren Sprecherin ebenfalls einen Vortext zum oben genannten Aufsatz zugesandt hatte.
Wenn die Klagebefugten nicht klagen wollen, die zur Klage Bereiten aber nicht klagen können, ist die Verantwortung des Präsidenten besonders hoch, ein verfassungswidriges Gesetz zu verhindern. Er ist dann gehalten, besonders sorgfältig zu prüfen.
Verweigert der Bundespräsident die Unterschrift kann das Gesetz nicht in Kraft treten und ist gestorben. Allerdings könnten der Bundestag oder die Bundesregierung theoretisch den Bundespräsidenten in Karlsruhe verklagen mit der Behauptung, er habe mit der Nichtunterzeichnung seine Pflicht verletzt, weil das Gesetz doch verfassungskonform sei. Ein solches Szenario ist aber eher unwahrscheinlich.
Abgeordnete nicht mit Bundesrichtern zu vergleichen
Das Nein des Präsidenten könnte das Gesetz und damit auch die politisch anfechtbare Angleichung der Entschädigung von Bundestagsabgeordneten an die Bezüge von Bundesrichtern zu Fall bringen. Die Angleichung wird ja auch dadurch nicht zutreffender, dass der Bundestag sie nach der 1995 gescheiterten Verfassungsänderung als Orientierungsgröße ins Abgeordnetengesetz geschrieben hat.
Richter und Abgeordnete haben einen völlig unterschiedlichen Status. Bundesrichter benötigen eine qualifizierte Ausbildung und eine lange, erfolgreiche Berufspraxis. Abgeordnete werden auf Grund von Vorschlägen ihrer Partei gewählt. Ihr Mandat verlangt keine bestimmte berufliche Qualifikation. Auch das BVerfG hat wiederholt darauf hingewiesen, dass zwischen Abgeordneten und Beamten oder Richtern "grundlegende statusrechtliche Unterschiede" bestehen.
Ohnehin läuft der Vergleich auf "Rosinenpickerei" hinaus: Die Entschädigung soll sich nach den Bezügen von Bundesrichtern richten, auf ihre Privilegien wollen die Abgeordneten aber nicht verzichten: Die monatliche Kostenpauschale von 4.204 Euro für Bundestagsabgeordnete stellt häufig ein steuerfreies Zusatzeinkommen dar. Denn sie wird zum Beispiel auch Abgeordneten in einem städtischen Wahlkreis in voller Höhe gewährt, obwohl sie kaum Kfz-Kosten haben, oder Abgeordneten aus dem Berliner Bereich, die keine Zweitwohnung benötigen. Die Parlamentarier dürfen zudem einen bezahlten Privatberuf voll ausüben, ohne jede rechtliche Begrenzung. Viele Volksvertreter tun das auch, wie kürzlich Analysen der Otto-Brenner-Stiftung gezeigt haben. Bundesrichter haben solche finanziellen Privilegien nicht. Für eine Nebentätigkeit brauchen sie eine Genehmigung, die regelmäßig nicht erteilt wird, wenn die Nebentätigkeit ein Fünftel der normalen Arbeitszeit überschreitet.
Wenn Abgeordnete sich aber schon an Bundesrichter anlehnen, wäre es eigentlich nur konsequent gewesen, auch die Bezüge und die Versorgung des Bundestagspräsidenten und seiner Stellvertreter an die Besoldung und Versorgung des Präsidenten des Bundesgerichtshofs und seiner Stellvertreter anzugleichen. Der BGH-Präsident erhält aber lediglich 42 Prozent mehr als Bundesrichter. Der Vizepräsident bekommt 15 Prozent mehr. Dagegen bekommen die Vize des Bundestags ein Plus von 50 Prozent und der Bundestagspräsident von 100 Prozent. Gewiss, der Status des Präsidenten des Bundestags und der Präsidenten der obersten Bundesgerichte unterscheidet sich ganz erheblich. Der Unterschied ist aber auch nicht größer als der von Abgeordneten und Bundesrichtern, und die will das neue Gesetz nun gleich behandeln. Die krassen Unterschiede in der Bezahlung aktiver Präsidenten setzen sich auch im Alter fort und führen zu der bereits dargestellten Überversorgung des Bundestagspräsidenten.
Der Autor Prof. Dr. Hans Herbert von Arnim lehrt als pensionierter Professor an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer.
Prof. Dr. Hans Herbert von Arnim, Diätenerhöhung: Fern von den Augen der Öffentlichkeit . In: Legal Tribune Online, 02.07.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12420/ (abgerufen am: 26.04.2024 )
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