Die Ex-Wirtschaftsministerin Frankreichs und IWF-Chefin Christine Lagarde steht ab Montag vor dem Gerichtshof der Republik. Dieser ist eine besondere Gerichtsbarkeit für Top-Politiker - und nicht nur deswegen höchst umstritten.
Auf die Frage, ob sie in ihrer Zeit als französische Finanzministerin den Geschäftsmann Bernard Tapie bevorzugt habe, sagte die 60-Jährige in einem am Sonntagabend ausgestrahlten Interview des Senders France 2: "Überhaupt nicht." Christine Lagarde wird vorgeworfen, durch fahrlässiges Handeln in ihrer Zeit als Ministerin eine Veruntreuung öffentlicher Gelder ermöglicht zu haben. Sie ließ 2007 ein Schiedsverfahren zu, nach welchem dem Geschäftsmann Tapie im Ergebnis mehr als 400 Millionen Euro zugesprochen wurden. Aktuell ermittelt die Justiz wegen Betrugsverdachts gegen mehrere Beteiligte.
Lagarde aber steht vor einem besonderen Gericht, dem Gerichtshof der Republik Frankreich. Dieser urteilt ausschließlich über die strafrechtliche Verantwortung französischer Politiker in Ausübung ihres Amtes und soll nun bis kurz vor Weihnachten eine Entscheidung treffen.
Politiker urteilen über ihre Amtskollegen
Errichtet wurde das Sondergericht nach einem Skandal um HIV-kontaminierte Blutprodukte. Patienten steckten sich mit dem Virus an, weil Behörden und Politik nur zögerlich die notwendigen Präventionsmaßnahmen umsetzten. Dafür sollten die während dieses "Blut-Skandals" verantwortlichen Polit-Akteure zur Rechenschaft gezogen werden, so etwa auch der ehemalige Premierminister Laurent Fabius. Seit dem 27. Juli 1993 regelt also ein gesonderter 10. Titel der französischen Verfassung den Gerichtshof, der sich auch rückwirkend mit Sachverhalten vor dem Inkrafttreten der Verfassungsänderung auseinandersetzt. Das Besondere: Jeder durch politische Amtshandlung geschädigte Bürger kann das Gericht anrufen.
Seit der Gründung des Gerichtshofs der Republik gab es vier Prozesse, zwei frühere Staatssekretäre und ein früherer Minister wurden verurteilt. Präsident François Hollande wollte den Gerichtshof eigentlich abschaffen, hat dieses Versprechen aber bislang nicht eingelöst. Umstritten ist der Gerichtshof nicht nur wegen des faden Beigeschmacks, den eine eigene Gerichtsbarkeit für politische Akteure hinterlässt. Vor allem bemängeln Kritiker auch seine Besetzung: Über die Angeschuldigten richten nämlich nicht nur Juristen, sondern auch andere Politiker.
Titel 10 der französischen Verfassung bestimmt nämlich unter anderem: "Der Gerichtshof der Republik besteht aus fünfzehn Richtern: zwölf Parlamentariern, die in gleicher Zahl von der Nationalversammlung und vom Senat nach jeder vollständigen oder teilweisen Neuwahl dieser Kammern aus deren Mitte gewählt werden, sowie drei Richtern des Kassationsgerichtshofs, von denen einer den Vorsitz des Gerichtshofs der Republik führt." Damit bleibt der Vorsitz zwar einem Berufsrichter vorbehalten. 80 Prozent der Stimmen entfallen aber auf Parlamentarier, die nicht zwangsläufig über juristischen Sachverstand verfügen müssen.
2/2: Nur selten gelangt ein Fall bis zum Gerichtshof
Das Gericht urteilt auf der Grundlage des französischen Strafrechts, Lagarde würden im Falle einer Verurteilung bis zu ein Jahr Haft und 15.000 Euro Geldstrafe drohen.
Ihr Anwalt Patrick Maisonneuve wies den Vorwurf der Fahrlässigkeit zurück, er und die übrigen Verteidiger wollten den Beginn des Verfahrens sogar vertagen lassen, weil die Ermittlungen der Behörden im ordentlichen Verfahren noch liefen : "Ich sehe nicht, wie der Gerichtshof in wenigen Tagen sagen könnte, ob es eine Veruntreuung gab, obwohl selbst die Pariser Ermittlungsrichter seit mehreren Jahren mit dieser Frage befasst sind und noch nicht entschieden haben."
Sogar die Staatsanwaltschaft plädierte für die Einstellung des Verfahrens gegen Lagarde. Und dennoch muss man nicht zwingend davon ausgehen, dass das Verfahren gegen die ehemalige Chefin der internationalen Großkanzlei Baker McKenzie ergebnislos verlaufen wird, erklärt Prof. Dr. Florian Bien von der Julius-Maximilians-Universität Würzburg: "Bevor ein Fall vor den Gerichtshof der Republik gelangt, wird er von der Commission des requêtes und der Commission d'instruction geprüft. Das sind immerhin Gremien, die nicht politisch zusammengesetzt sind. Sie bestehen vielmehr aus Mitgliedern der obersten französischen Gerichte – und damit aus hoch angesehenen Richtern und Beamten, die eben nicht aus dem Parlament stammen." Der ganz überwiegende Teil aller Fälle, fast 97 Prozent, scheitere schon an dieser Art Vorauswahl, sagt Bien.
Verfahren besonders öffentlichkeits- und medienwirksam
Doch auch wenn zwei mit Top-Juristen besetzte Instanzen darüber entscheiden, ob ein Fall vor dem Gerichtshof der Republik landet, entschärft das nicht die Kritik, dass letztendlich juristische Laien über eine strafrechtliche Verurteilung maßgeblich mitentscheiden.
Die werde vielmehr durch die Entscheidungspraxis abgedämpft: "Auch wenn die Stimmen der Parlamentarier denen der Berufsrichter gleichwertig sind, dürften sich zumindest einige der juristischen Laien unter den abstimmenden Parlamentariern von der fachlichen Autorität der Berufsrichter leiten lassen", so Bien. Das Risiko einer zu stark politisierenden Entscheidung werde zudem dadurch minimiert, dass die sechs Richter aus dem Parlament in geheimer Wahl die absolute Mehrheit erreichen müssen. "Das dürfte Extremkandidaten verhindern", so der Professor.
Zuletzt könnte die ehemalige Finanzministerin gegen eine Verurteilung noch vor das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit, den Kassationshof, ziehen, erläutert Bien: "Eine Berufung gegen Urteile des Gerichtshofs der Republik ist nicht möglich, aber immerhin die Revision. Der Cour de Cassation wäre so wiederum beteiligt, wenn Rechtsmittel eingelegt werden." Damit würden wieder Berufsrichter entscheiden und den Fall gegebenenfalls an ein neu zusammengestelltes Gremium am Gerichtshof der Republik zurückverweisen. "In der Praxis droht also weniger die willkürliche Abrechnung mit einem politischen Gegner, sondern eher das Gegenteil: ein zu mildes Urteil. Das zeigt zumindest die Bilanz der bisherigen Fälle", fasst Bien zusammen.
Ein Verfahren vor dem Gerichtshof der Republik unterscheidet sich von einem der ordentlichen Gerichtsbarkeit im Wesentlichen also durch seine besondere öffentliche Wirkung, die Medienwirksamkeit und damit einhergehend durch den politischen Druck, den eine Verurteilung ausübt. Denn ob Lagarde in einem solchen Falle ihren derzeitigen Posten beim IWF verlöre, steht nicht fest. Darüber müsste die Organisation im Anschluss selbst entscheiden.
Mit Material von dpa
Marcel Schneider, Gerichtshof der Republik Frankreich: Wo Politiker über Politiker urteilen . In: Legal Tribune Online, 12.12.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21434/ (abgerufen am: 26.04.2024 )
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