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Cannabis-Legalisierung und EU-Recht: Bun­des­tags­gu­t­achten gibt der Ampel Rücken­wind

von Hasso Suliak

25.07.2023

Joint-Attrappe vor dem Bundestag (2015)

Unweit des Berliner Reichstages eine riesengroße Joint-Attrappe: Legales Kiffen in der Nähe des Bundestages könnte bald Wirklichkeit werden. Foto: picture alliance / dpa | Rainer Jensen

Die CSU gibt noch mal alles, um gegen die Legalisierungspläne der Ampel Stimmung zu machen. Jetzt legt sie ein Gutachten des Bundestages vor, das angeblich die Europarechtswidrigkeit des Vorhabens bestätigt. Doch das stimmt nicht.

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Aufregung um ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages zum Thema Cannabis. Zuerst hatte der Spiegel darüber berichtet – allerdings mit der irreführenden Überschrift "Ampelpläne zur Cannabislegalisierung kollidieren mit Europarecht".

Denn die jüngsten Pläne der Ampel sind es jedenfalls nicht, die angeblich nach Ansicht der Bundestagsjuristen mit Europarecht kollidieren. Diese lagen den Bundestagsjuristen nämlich gar nicht zur Prüfung vor. Der "Fachbereich Europa" des Wissenschaftlichen Dienstes hatte vielmehr bereits vor einigen Wochen grundsätzlich den Auftrag bekommen zu prüfen, ob und ggf. in welchem Umfang das Unionsrecht den EU-Mitgliedsstaaten "Regelungsfreiheiten im Bereich Cannabis" verschafft.

Die Ausarbeitung der Bundestagsjuristen wurde am 16. Juni 2023 ("zugleich letzter Zugriff auf Online-Quellen") fertiggestellt und ist hier abrufbar. Das Bearbeitungsdatum belegt: Den von der Bundesregierung Anfang Juli vorgelegten Referentenentwurf, über den LTO berichtet hatte, haben die Bundestagsjuristen erst gar nicht in ihre Prüfung miteinbezogen. 

Bundesregierung von Vereinbarkeit mit EU-Recht überzeugt

In der Begründung des Cannabisgesetz-Entwurfs erläutert die Bundesregierung ausgiebig, warum ihr "Säule-1-Gesetz" mit EU-Recht vereinbar sei: So hätten nach Artikel 2 Absatz 1 des Rahmenbeschlusses 2004/757/JI des Rates vom 25.10.2004 ("Rahmenbeschluss 2004") die Mitgliedstaaten zwar die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, dass unter anderem das Ein- und Ausführen, Herstellen, Zubereiten, Anbieten, Verkaufen, Liefern von Drogen, zu denen auch Cannabis gehört, unter Strafe gestellt wird, wenn die Handlungen "ohne entsprechende Berechtigung" erfolgten ("Berechtigungsklausel").  

Diese EU-Vorgabe berühre aber nicht das Cannabisgesetz der Ampel: Hier finde vielmehr Art. 2 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses Anwendung ("Privatkonsumklausel"): Danach seien bestimmte Handlungen vom Anwendungsbereich des Rahmenbeschlusses nicht erfasst, "wenn die Täter sie ausschließlich für ihren persönlichen Konsum im Sinne des nationalen Rechts begangen haben”. Der im Cannabisgesetz der Bundesregierung nunmehr vorgesehene private Eigenanbau zum Eigenkonsum sowie der gemeinschaftliche, nicht-gewerbliche Anbau in Anbauvereinigungen stellten in diesem Sinne Vorbereitungshandlungen für den ausschließlich persönlichen Konsum dar. Mit der Folge: Der Anwendungsbereich des EU-Rahmenbeschlusses 2004 sei nicht eröffnet. 

Darüber hinaus ist laut Bundesregierung auch das Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zum schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen nicht einschlägig.  Es betreffe von seiner Zielrichtung her ausschließlich Fragen des grenzüberschreitenden Drogenhandels bzw. des grenzüberschreitenden Inverkehrbringens von Drogen. "Handlungen, die allein auf den Eigenanbau zum ausschließlichen persönlichen Konsum abzielen, sind von seinem Anwendungsbereich nicht erfasst", so die Bundesregierung.

Wissenschaftlicher Dienst: "Entkriminalisierung europarechtlich möglich"

Die Juristen des Bundestages sehen diese Normen nunmehr in ihrem Juni-Gutachten auch und kommen ebenfalls zu dem Ergebnis, dass Entkriminalisierungen – "vorbehaltlich der jeweiligen nationalen Ausgestaltung" – im Bereich des Besitzes, Kaufes und Anbaus im Rahmen der Privatkonsumklausel nach Art. 2 Abs. 2 möglich seien. 

Etwas vorsichtiger fällt ihr Urteil hingegen zu der Frage aus, ob auch (kommerzielle) Verschaffungshandlungen wie etwa die Einrichtung eines staatlichen oder staatlich kontrollierten Anbau- und Abgabesystems zu Genusszwecken von der mitgliedstaatlichen Entkriminalisierungsfreiheit gedeckt seien. In der Rechtswissenschaft sei diese Frage umstritten, lautet aber auch hier die ausgewogen ergebnisoffene Position des Wissenschaftlichen Dienstes.   

Ebenso ist es laut der Bundestags-Gutachter juristisch umstritten, welche Schlüsse aus der sog. Berechtigungsklausel in Art. 2 Abs. 1 im Hinblick auf Bestrebungen zur Legalisierung zu ziehen seien. Unklar sei, ob diese im Hinblick auf den Spielraum des Gesetzgebers eng oder weit ausgelegt werden könne. Wäre sie eng auszulegen, so könnte z.B. die Erlaubnis zum Anbau in den geplanten, nicht-kommerziellen Vereinen nur auf medizinische oder wissenschaftliche Zwecke beschränkt sein.  

Aber auch hier bleibt das Gutachten ergebnisoffen: "Selbst bei einer Beschränkung der Berechtigungsklausel auf medizinische und wissenschaftliche Zwecke dürfte den Mitgliedstaaten ein vergleichsweise weiter Ausgestaltungsspielraum zustehen, der jedoch – weil die Berechtigungsklausel nicht in das nationale Recht verweist – einer strengeren Kontrolle durch den EuGH unterliegen dürfte". 

Weiter verweisen die Bundestagsjuristen darauf, dass eine weite, unionsautonome Auslegung der Berechtigungsklausel, die die Einführung staatlicher oder staatlich kontrollierter Anbau- und Abgabesysteme zu Genusszwecken gestatten würde, u.U. menschenrechtlich bzw. unionsgrundrechtlich geboten sein könnte. Allerdings: "Soweit ersichtlich, haben sich bis jetzt aber weder die zuständigen VN-Organe noch der EuGH in diese Richtung positioniert." 

Auftraggeber des Gutachtens ist CSU-MdB Pilsinger

In Auftrag gegeben hatte das Gutachten des Bundestages der gesundheitspolitische Sprecher der CSU, Stephan Pilsinger, MdB. Der gelernte Arzt ist derzeit äußerst aktiv, um den Legalisierungsplänen der Ampel den Garaus zu machen. Mit dem Ergebnis seiner in Auftrag gegeben Prüfung dürfte Pilsinger nicht hundertprozentig zufrieden sein.  

Gleichwohl bewertete er das Resultat gegenüber LTO in seinem Sinne: "Das Gutachten unterstreicht, wie nahe der Referentenentwurf der Ampel an der Europarechtswidrigkeit dran ist. Denn das Risiko, dass Cannabis-Pflanzen an Personen abgegeben werden, die nicht nachweislich Mitglieder des Anbauvereins sind, ist faktisch hoch. Die Gefahr einer verdeckten Kommerzialisierung in den Vereinen ist einfach nicht von der Hand zu weisen, was die erste Säule der Legalisierung von Cannabis in Cannabis Social Clubs schon mit Blick auf das EU-Recht erheblich ins Wanken bringt." 
 
Kürzlich hatte Pilsinger auch eine 44 Fragen umfassende "Kleine" parlamentarische Anfrage an die Bundesregierung gestellt, die sich ausschließlich um die angeblich geplanten "Cannabis Social Clubs" drehte. Über die Antwort der Bundesregierung (BT-Ds. 20/7808) hatte LTO berichtet.

Die in der Unions-Anfrage verwendete Bezeichnung "Cannabis Social Clubs" suggeriert, dass – wie in einigen anderen Staaten – in den geplanten Einrichtungen Cannabis nicht nur erworben, sondern auch konsumiert werden darf. Das aber ist gerade nicht geplant. "Sozial" wird es in den Räumen eher weniger zugehen: Vorgesehen sind reine Anbauvereine, in deren Räumlichkeiten – streng kontrolliert – erwachsene Mitglieder Cannabis erwerben, aber nicht konsumieren dürfen. Kiffen ist auch im Umkreis von 200 Metern verboten. 

Bundesregierung will "EU-Rechtsrahmen mittelfristig flexibilisieren"

In ihrer Antwort auf die Anfrage der Union hatte die Bundesregierung schließlich einen kleinen Hinweis gegeben, dass sie sich ggf. auch mit europarechtlichen Hürden nicht abfinden wird: "Die Bundesregierung strebt mittelfristig an, den einschlägigen EU-Rechtsrahmen zu flexibilisieren und weiterzuentwickeln." 

Gemünzt sein könnte dieser Hinweis auf den für nach der parlamentarischen Sommerpause angekündigten Säule-2-Gesetzentwurf, der regionale Modellvorhaben mit kommerziellen Lieferketten vorsieht. Dieser Gesetzentwurf werde voraussichtlich der Europäischen Kommission zur Prüfung vorgelegt, schreibt das Ministerium auf seiner Website. 

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Cannabis-Legalisierung und EU-Recht: . In: Legal Tribune Online, 25.07.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52338 (abgerufen am: 09.11.2025 )

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