Bevor am Freitag im Bundestag die Beratungen zum Cannabisgesetz starten, fordern Vertreter der Ampelfraktionen bereits jetzt massive Änderungen am Regierungsentwurf. So soll etwa die 200-Meter-Abstandsregel zu Kitas und Schulen gestrichen werden.
Nachdem der Bundesrat der Bundesregierung in seiner jüngsten Sitzung fast 50 Änderungsempfehlungen zum Cannabisgesetz (CanG) mit auf den Weg gegeben hat, ist nun der Deutsche Bundestag am Zug. Kommenden Freitag kommt es zur sog. Ersten Lesung. Im Plenum wird dann allerdings nicht nur über das Gesetz der Ampel, sondern auch über einen Gegenantrag der Unionsfraktionen debattiert. "Cannabislegalisierung stoppen, Gesundheitsschutz verbessern – Aufklärung, Prävention und Forschung stärken", so der Titel des Antrags, der am Montag noch nicht final vorlag. Eine hitzige Debatte ist vorprogrammiert.
Das von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) federführend entworfene Gesetz, das nach zähem Ringen und diversen Eckpunktepapieren vom Kabinett im August beschlossen worden war, sieht vor, Konsumentinnen und Konsumenten künftig den verantwortungsvollen Umgang mit Cannabis zu erleichtern. Hierzu sollen privater Eigenanbau, gemeinschaftlich nichtgewerblicher Eigenanbau sowie die kontrollierte Weitergabe von Konsumcannabis durch Anbauvereinigungen an Erwachsene ermöglicht werden. Die Bundesregierung versteht das CanG als Antwort auf eine ihrer Ansicht nach gescheiterte Prohibitionspolitik, die sich nicht zuletzt in einer ansteigenden Zahl von Konsumentinnen und Konsumenten in Deutschland ausdrücke. Zitiert wird immer wieder eine Erhebung aus dem Jahr 2021, wonach mehr als vier Millionen Menschen im Alter zwischen 18 und 64 Jahren in einem Zeitraum von zwölf Monaten Cannabis konsumiert hätten.
Ein überregulierendes Gesetz?
Verbessern will die Ampel vor allem den Kinder-, Jugend- sowie den Gesundheitsschutz: Dies soll durch die Eindämmung des illegalen Marktes erreicht werden, auf den Kifferinnen und Kiffer bislang angewiesen sind. "Der Konsum von Cannabis, das vom Schwarzmarkt bezogen wird, ist häufig mit einem erhöhten Gesundheitsrisiko verbunden, da der Tetrahydrocanabinol (THC)-Gehalt unbekannt ist und giftige Beimengungen, Verunreinigungen sowie synthetische Cannabinoide enthalten sein können, deren Wirkstärke von den Konsumentinnen und Konsumenten nicht abgeschätzt werden kann", heißt es. Ausdrücklich betont hat die Bunderegierung immer wieder, dass ihr darum geht, Aufklärung und Prävention zu stärken. "Anreize zur Ausweitung des Cannnabiskonsums sollen nicht geschaffen werden."
Die Sorge indes, dass die Bundesregierung mit ihrem 180-Seiten langen Gesetzentwurf voller neuartiger Beschränkungen und Auflagen über das eigentliche Ziel, im Zusammenhang mit dem Cannabiskonsum eine liberale Rechtslage zu schaffen, hinausgeschossen ist, häuft sich. Seit Bekanntwerden der ersten Entwürfe haben nicht nur Legalisierungsbefürworter aus der sog. Cannabis-Szene das Vorhaben für seine ausufernde Überregulierung kritisiert, auch Vertreterinnen und Vertreter der Ampelfraktionen scheinen mit dem Werk der eigenen Regierung nicht zufrieden zu sein und mahnen jetzt Änderungen an.
So etwa die amtierende Vorsitzende des Gesundheitsausschusses des Deutschen Bundestages, Dr. Kirsten Kappert-Gonther (Bündnis 90/ Die Grünen): Die Medizinerin, die Ende Mai erneut zur Präsidentin der Bundesvereinigung für Prävention und Gesundheitsförderung (BVPG) gewählt wurde, will für die Abschaffung einer Regelung sorgen, mit der Minister Lauterbach eigentlich den Kinder- und Jugendschutz gewährleisten will.
Bundesregierung will "keine geselligen Orte mit Konsumanreiz schaffen"
Nach Lauterbachs Gesetz ist derzeit der Konsum von Cannabis im Umkreis von 200 Metern um den Eingangsbereich zu Schulen, Kitas, Kinderspielplätzen, Jugendzentren, öffentlichen Sportstätten und den geplanten Anbauvereinigungen verboten. Der Abstand von 200 Metern – im ersten, von LTO im Mai geleakten Referentenentwurf waren es noch 250 Meter – orientiere sich an den Bedürfnissen des Kinder- und Jugendschutzes und diene dazu, Konsumanreize zu verhindern, heißt es im Regierungsentwurf. Dass auch in den neuen Anbauvereinigungen selbst nicht gekifft werden darf, begründet die Bundesregierung damit, dass "keine geselligen Orte mit erhöhten Konsumanreizen geschaffen werden sollen". Das Gesetz solle schließlich nicht "zu einem steigenden Konsum von Cannabis beitragen".
Kappert-Gonther kann das nicht nachvollziehen und pocht darauf, die Abstandsregeln für den Konsum und die Clubs nicht nur auf den Prüfstand zu stellen, sondern möglichst abzuschaffen. "Länder und Verbände haben zu Recht in Frage gestellt, ob sie einen Mehrwert für den Jugendschutz haben und in der Praxis kontrollierbar sind", so die Grüne gegenüber LTO.
In der Tat kritisieren nicht nur der sich für die Legalisierung einsetzende Deutsche Hanfverband (DHV), sondern auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) die Konsumverbotsregelung.
Polizei fordert mobile GPS-Geräte
Die GdP erwartet erhebliche Probleme bei der Kontrolle der neuen Regelung: "Für die mit der Einhaltung der Umsetzung der Vorgaben Betrauten wird es nur unter sehr hohem personellem und technischem und damit finanziellem Aufwand möglich sein, die jeweils vorgesehenen 200-Meter-Abstände zu bestimmten Örtlichkeiten rechtssicher zu überwachen", heißt es in der Stellungnahme der GdP ans BMG. Eine Kontrolle der Konsumverbotszone sei nur mit einer Verbesserung der personellen und technischen Ausstattung der Jugendschutz-, Kontroll- und Überwachungsbehörden zu bewerkstelligen.
Zudem müssten die Behörden mit mobilen technischen Endgeräten ausgestattet werden, "auf denen ihnen tagesaktuell, rechtssicher und z. B. GPS-gestützt angezeigt wird", in welchen geographischen Gebieten ein Cannabis-Konsum erlaubt ist, weil es einen ausreichenden Abstand zu den im Gesetz genannten Orten aufweisen. "Ohne das jederzeitige Vorhandensein und einwandfreie, anwenderfreundliche und rechtssichere Funktionieren solcher Hilfsmittel ist die Sicherstellung der Einhaltung der ortsbezogenen Vorgaben durch Ordnungsamts- oder Polizeibeschäftigte in der Praxis rechtssicher wohl kaum möglich", glaubt die GdP.
Hanfverband bereit für Gang nach Karlsruhe
Der Hanfverband schüttelt bei dem Thema aus ganz anderen Gründen den Kopf: "Die Vorstellung, den Konsum von Cannabis auf dem Gelände von Vereinen vollständig zu unterbinden, deren einziger Zweck es ist, ehrenamtlich Cannabis anzubauen und zu verteilen, ist vollkommen unrealistisch und auch unsinnig", schreibt der Verband in seiner Stellungnahme. Das Konsumverbot sei ungefähr so sinnvoll wie das Verbot von Bierkonsum auf dem Jahrestreffen der Vereinigung der Haus- und Hobbybrauer.
Die Abstandregel von 200 Metern zu Kinder- und Jugendeinrichtungen verletze zudem das Bestimmtheitsgebot und sei daher verfassungswidrig. "Konsumenten und Polizisten können überhaupt nicht wissen, ob man sich gerade in einer solchen Bannmeile befindet oder nicht." Nach der Regel würde in besiedelten Gebieten oft gar kein Fleck übrigbleiben, wo der Konsum legal wäre, befürchtet der Verband. Der Verband werde bei der ersten Gelegenheit Verfahren unterstützen, um eine verfassungsrechtliche Klärung durch das Bundesverfassungsgericht herbeizuführen.
Änderungen bei der 25-Gramm-Besitzobergrenze gefordert
Änderungsbedarf sehen in diesem Punkt nicht nur Grüne, sondern auch die FDP: Laut Kristine Lütke, sucht- und drogenpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, ist das strikte Konsumverbot im Abstand von 200 Metern zu Anbauvereinigungen nur schwer kontrollierbar und der Nutzen für den Jugendschutz eher fragwürdig. "Stattdessen brauchen wir verhältnismäßige und treffsichere Regularien, die für echten Jugendschutz sorgen und gleichzeitig nicht zu einer Mehrbelastung von Polizei und Justiz führen. Denn klar ist auch: Wir dürfen die Länder nicht überfordern." Lütke plädierte außerdem dafür, die derzeit im Gesetzentwurf vorgesehene Besitzobergrenze von 25 Gramm zu streichen: "Eine Besitzobergrenze lehnen wir als FDP-Bundestagsfraktion entschieden ab. Schließlich kontrolliert auch niemand, wie viele Flaschen Wein jemand im Keller lagert."
Offen für die Wünsche Ihrer beiden Koalitionspartner zeigt sich die SPD. So kündigte Rechtspolitikerin Carmen Wegge, kürzlich erst auch in den erweiterten Vorstand der Bundestagsfraktion gewählt, gegenüber LTO an, dass man sich das Gesetz vor allem noch einmal unter den Aspekten "Entlastung der Justiz" und "Kontrollierbarkeit" anschauen werde. "Insbesondere die Obergrenze von 25 Gramm im privaten Bereich und die konsumnahen Delikte werden wir auf den Prüfstand stellen müssen. Hierzu sind wir auch im Austausch mit dem Deutschen Richterbund, der Bundesrechtsanwaltskammer, der GdP und dem Bundeskriminalamt", so Wegge.
Kein späteres Inkrafttreten
Deutlich zurück wiesen SPD und Grüne die Forderung des Bundesrates, das CanG wegen umfangreicher Vorbereitungsmaßnahmen in den Ländern erst 2025 in Kraft treten zu lassen: "Ein späteres Inkrafttreten kommt für uns nicht in Betracht", so die SPD-Juristin Wegge. "Aus unserer Sicht muss die Kriminalisierung von Konsumierenden schnellstmöglich beendet werden. Die Cannabis-Legalisierung ist eine Gerechtigkeitsfrage – die verschiebt man nicht. Wir haben Vertrauen in die Länder, das Gesetz zeitnah umzusetzen."
Kappert-Gonther nannte es zwar "nachvollziehbar, dass die Länder etwas Zeit brauchen, bevor sie startklar sind". Gleichzeitig wies sie darauf hin, dass im Gesetz selbst bereits ein gewisser Vorlauf für die Länder berücksichtigt worden sei: "Da jeder Cannabis-Club erst mit einer Genehmigung Cannabis anbauen und abgeben kann, ist ein geordnetes Verfahren bereits im Gesetzentwurf angelegt."
Kubicki warnt vor Graumarkt und "Kiffer-Kolchosen"
Mit dem CanG ist das Projekt Legalisierung der Ampel unterdessen nicht beendet. Nach dem Gesetz ist quasi vor dem Gesetz: Für "nach der Sommerpause" hatte der Bundesgesundheitsminister das "Säule-2-Gesetz" angekündigt. Dieses sieht regionale Modellvorhaben mit kommerziellen Lieferketten vor und wird voraussichtlich der EU-Kommission zur Prüfung vorgelegt. Noch liegt dazu nichts vor.
Angesichts von Gerüchten, das federführende BMG wolle das Tempo bei diesem Gesetz verschleppen, forderte FDP-MdB Lütke nunmehr den SPD-Minister zu mehr Tempo auf: "Karl Lauterbach muss gemeinsam mit dem Gesetzentwurf zu Cannabis-Clubs und Eigenanbau einen klaren Zeitplan vorlegen, bis wann er Säule 2 des Gesetzes umsetzen will. Denn gerade die Modellprojekte dürfen zeitlich nicht verschleppt werden – sie sind essenziell, um am Ende wirklich für mehr Jugend-, Gesundheits- und Verbraucherschutz zu sorgen."
Lütkes Parteifreund, FDP-Bundestagsvize Wolfgang Kubicki, verweist dagegen vor den Beratungen im Bundestag gegenüber LTO auf ungeklärte Fragen: Entscheidend sei, ob man durch einen kontrollierten und kanalisierten legalen Markt einen besseren Jugend- und Suchtschutz als im aktuell faktisch unkontrollierten Schwarzmarkt hinbekomme.
"Ich habe beim Lauterbach'schen Konzept der 'Social Clubs', die an irgendwas zwischen LPG und Kleingartenverein erinnern, enorme Zweifel, ob das gelingt. Wenn am Ende einige wenige in den Kiffer-Kolchosen legal konsumieren, im Übrigen der Schwarzmarkt weiterbesteht und wir darüber hinaus einen Graumarkt schaffen, haben wir nichts gewonnen", so Kubicki. Schutzzonen und das pünktliche Inkrafttreten seien für ihn eher nachrangige Fragen.
Cannabisgesetz im Bundestag: . In: Legal Tribune Online, 09.10.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52875 (abgerufen am: 10.11.2024 )
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