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9551

BVerwG zu Kitakosten: Stadt muss private Unterbringung zahlen

von Prof. Dr. Florian Gerlach

13.09.2013

Gruppe kleiner Kinder

© olesiabilkei - Fotolia.com

Eltern haben einen Anspruch auf Ersatz der Kosten für eine privat organisierte Kita, wenn das Jugendamt ihnen keinen Platz anbieten kann. Das entschied das BVerwG am Donnerstag in einem Fall aus Mainz, der bundesweit beobachtet wurde, seit es in allen Ländern einen Anspruch auf einen Kitaplatz gibt. Das zentrale Problem – der Mangel an Kita-Plätzen – ist damit jedoch nicht gelöst, meint Florian Gerlach.

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Seit dem 1. August 2013 haben in ganz Deutschland Kinder unter drei Jahren ein Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz. Einige Bundesländer hatten einen solchen Rechtsanspruch bereits vor diesem Datum eingeführt. Etwa Rheinland-Pfalz. Im Jahr 2011 hatten dort Eltern ihr Kind für ein halbes Jahr auf eigene Kosten in der Kinderkrippe einer privaten Elterninitiative betreuen lassen, nachdem ihnen das Jugendamt keinen Kindergartenplatz zur Verfügung gestellt hatte.

Die Kosten machten sie anschließend beim Jugendamt geltend. Jedoch ohne Erfolg. Die Ablehnungsentscheidung des Jugendamtes fochten die Eltern zunächst vor dem Verwaltungsgericht Mainz (Urt. v. 10.05.2012, Az. 1 K 981/11), sodann vor dem Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (Urt. v. 25.10.2012, Az. 7 A 10671/12) an. Beide Gerichte hatten einen Anspruch der Eltern auf Ersatz der Gebühren in Höhe von 2.200 Euro bejaht – wenn auch mit unterschiedlicher Begründung.

Größeres Wahlrecht der Eltern bei Selbstbeschaffung

Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) folgt nun in Ergebnis und Begründung der Entscheidung des OVG Koblenz: Eltern haben einen Anspruch auf Ersatz der Aufwendungen für einen selbstbeschafften Platz, wenn das Jugendamt einen Kindergartenplatz nicht oder nicht rechtzeitig zur Verfügung stellt. Der Anspruch besteht allerdings nur, wenn die Eltern das Jugendamt "vor der Selbstbeschaffung über den Bedarf rechtzeitig in Kenntnis gesetzt haben, die Voraussetzungen für die Gewährung der Leistung vorgelegen haben und die Deckung des Bedarfs keinen zeitlichen Aufschub geduldet hat" (Urt. v. 12.09.2013, Az. 7 A 10671/12).

Die Leipziger Richter setzen damit ihre bisherige Rechtsprechung zur Selbstbeschaffung von Leistungen in der Jugendhilfe fort. Insofern kommt die Entscheidung nicht überraschend. Gleichwohl ist sie für die Durchsetzung des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz von erheblicher Bedeutung:

Zum einen sichert sie Eltern ab, denen der gesetzlich festgeschriebene Anspruch auf einen Kindergartenplatz verweigert wurde, indem sie ihnen eine Kostenerstattung für einen selbstbeschafften Platz zuspricht.

Darüber hinaus kann dieser Kostenerstattungsanspruch aber auch die Wahlfreiheit der Eltern bei der Auswahl des Platzes erhöhen. Die bisherige Rechtsprechung zum Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz geht davon aus, dass sich das in § 5 Sozialgesetzbuch VIII geregelte Wunsch- und Wahlrecht der Eltern nur auf "tatsächlich zur Verfügung stehende Plätze beschränkt" (OVG Münster, Beschl. v. 14.08.2013, Az. 12 B 793/13). Weil es in vielen Regionen zu wenige Plätze gibt, haben Eltern oft keine Wahl. Sie werden darauf verwiesen, den einen zur Verfügung stehenden Platz zu akzeptieren. Erfüllt das Jugendamt diesen "Primäranspruch", indem es einen Platz in einem Kindergarten oder bei einer Tagespflegeperson anbietet, müssen Eltern dies akzeptieren. Ein Wunsch- und Wahlrecht gibt es nicht, wenn das Jugendamt keine Alternativen hat.

Gesetzeslage zwingt Eltern in kostenintensive Gerichtsverfahren

Bietet das Jugendamt dagegen keinen Platz an, können die Eltern wählen: Sie können sich (irgendeinen) Platz wählen, sofern ihre Wahl keine unangemessen hohen Kosten verursacht.

Der Kostenerstattungsanspruch führt so zu dem absurden Ergebnis, dass Eltern, denen der "Primäranspruch", also ein Kitaplatz, verweigert wurde, unter Umständen mehr Wahlfreiheit zusteht, als Eltern, deren Anspruch auf einen Kitaplatz die Kommune durch Zuweisung eines konkreten Platzes erfüllt hat.

Und noch etwas: In mehreren Bundesländern können Eltern keine privat betriebenen Kindergärten wählen. Die Entscheidung des BVerwG öffnet über das Recht auf Kostenerstattung und das damit verbundene Wahlrecht auch den Zugang zu solchen Einrichtungen. Kurz: Weist die Kommune keinen Kita-Platz zu, können Eltern ihr Kind auf Staatskosten auch in einer privat betriebenen Kindertagesstätte unterbringen.

Das Urteil hat aus elterlicher Sicht aber auch seine Tücken: Es zwingt Eltern dazu, sich in kostenintensive und lang dauernde Verwaltungs- und Gerichtsverfahren zu begeben. Sie sind es nämlich, die beweisen müssen, dass sie Anträge beim Jugendamt rechtzeitig gestellt haben, dass sie mit einer Unterbringung ihres Kindes nicht warten konnten und dass die geltend gemachten Kosten für den selbst beschafften Platz angemessen sind.

Änderung der Finanzierungsart könnte Probleme lösen

Ungeklärt ist darüber hinaus, ob Eltern alternativ zu einem Platz in einem Kindergarten auch eine Tagespflege als Ersatz für einen Kindergartenplatz akzeptieren müssen. Relevant ist dieser Unterschied deshalb, weil Tageseltern deutlich geringere Qualifikationen erfüllen müssen als Fachkräfte in Kindergärten. Es ist zudem noch nicht höchstrichterlich entschieden, welche Entfernung zwischen Wohnung und Kindergarten die Eltern hinnehmen müssen und, ob Eltern auch einen Verdienstausfall geltend machen können.

So begrüßenswert die Entscheidung ist, das zentrale Problem löst sie nicht: nämlich den Mangel an Kitaplätzen in ausreichender Zahl, Qualität und angemessener Entfernung.

Seinen wahren Grund hat dieser Mangel an Kitaplätzen in einer unzureichenden Finanzausstattung. Weil die Finanzierung insgesamt gedeckelt ist, kann nur eine begrenzte und eben nicht ausreichende Anzahl an Plätzen finanziert werden. Eine bedarfsdeckende Finanzierung kann nur durch eine Umstellung des Finanzierungssystems, weg von einer gedeckelten Subventionsfinanzierung der Einrichtungen hin zu einer einzelfallbezogenen Entgeltfinanzierung, erreicht werden, bei der jeder angemeldete Bedarf befriedigt wird. Dies böte den Eltern zudem größtmögliche Freiheit bei der Auswahl des Trägers.

Der Autor Prof. Dr. Florian Gerlach ist Hochschullehrer an der Evangelischen Fachhochschule, Bochum und Rechtsanwalt in Osnabrück. Er ist auf dem Gebiet der Kinder- und Jugendhilfe spezialisiert und hat hierzu zahlreich veröffentlicht.

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BVerwG zu Kitakosten: . In: Legal Tribune Online, 13.09.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9551 (abgerufen am: 18.11.2025 )

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