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Verfassungsrichter Maidowski zum Asylrecht: "Bis zum Boar­ding der Maschine müssen wir ent­schieden haben"

von Dr. Christian Rath

06.08.2021

Richter am Bundesverfassungsgericht (Zweiter Senat) Dr. Ulrich Maidowski

picture alliance / dpa | Marijan Murat

Richter Ulrich Maidowski ist vor allem für das Asylrecht zuständig. In Abschiebefällen bleibt dem BVerfG nicht viel Zeit für die Entscheidung, erzählte er bei einer Veranstaltung. Christian Rath war dabei.

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Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) feiert in diesem Jahr 70. Geburtstag. Ein Geburtstagsgeschenk der Richter: innen an die Öffentlichkeit ist eine Gesprächsreihe, die gemeinsam mit der Bundeszentrale für politische Bildung organisiert wurde. Je ein Richter spricht mit einem weiteren Gast und einem Journalisten über sein konkretes Zuständigkeitsgebiet. 
 
In dieser Woche war Richter Ulrich Maidowski an der Reihe. Die Frage an ihn lautete: "Wem gewähren wir Asyl in Deutschland?" Dabei wurde viel Grundlagenwissen vermittelt, etwa über die Geschichte des Asylrechts oder die Integration von Geflüchteten. Viel beitragen konnte auch die externe Gesprächspartnerin Petra Bendel, Politikprofessorin an der Uni Erlangen-Nürnberg und Vorsitzende des Sachverständigenrats für Integration und Migration. 
 
Doch immer wieder sprach Maidowski auch über aktuelle Fragen der Asylrechtsprechung und der Asylpolitik. Es moderierte Klaus Hempel von der ARD-Rechtsredaktion. Fragen kamen zudem von Bürger:innen, die an der Veranstaltung per Livestream teilnehmen konnten.

Extremer Zeitdruck in Karlsruhe

Für Maidowski und seine wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen gehört es zum regelmäßigen Geschäft: Wenn einmal im Monat ein Abschiebeflug nach Afghanistan stattfindet, stehen sie bereit und rechnen mit kurzfristigen Anträgen auf einstweilige Anordnungen. Kurzfristig sind die Eingaben immer, denn die Betroffenen werden vorab nicht über die geplante Abschiebung informiert. Außerdem müssen sie erst einen Eilantrag an das jeweilige Verwaltungsgericht (VG) stellen, bevor sie das BVerfG anrufen können. 
 
"Um 16 oder 17 Uhr kommt dann der Antrag", erläuterte Maidowski. Nun müssten oft achtzig bis hundert Seiten sofort gelesen werden. "Bis zum Boarding der Maschine müssen wir dann entschieden haben". Besonders herausfordernd sei die Situation, so Maidowski, wenn gleich mehrere Anträge auf einmal kommen. 
 
Dabei versteht das BVerfG seine Rolle nicht so, dass es sich eine eigene Einschätzung von der Lage in Afghanistan verschafft. "Dazu haben wir überhaupt nicht die Mittel", betonte Maidowski. "Wir prüfen aber, ob die Fachgerichte die Lage vernünftig aufgeklärt haben und ihre Entscheidungen auf einer verlässlichen Tatsachengrundlage stehen."

Tagesaktuelle Aufklärung

Wichtigste Grundlage für alle Beteiligten - das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, die VGe und das BVerfG - sind die Lageberichte des Auswärtigen Amts (AA). Allerdings sind diese nicht immer ganz aktuell. Maidowski wies darauf hin, dass zum Beispiel der jüngste AA-Lagebericht zu Afghanistan das Datum 25. Juli trage, tatsächlich aber auf dem Stand vom 2. Mai stehe. Angesichts des schnellen Vorrückens der Taliban werde es immer schwieriger, Informationen über die aktuelle Situation in Afghanistan zu erhalten.

Für die Verfassungsrichter:innen gilt aber das "Gebot der tagesaktuellen Aufklärung". Sie verlangen daher, dass die Fachgerichte alle greifbaren Informationen auswerten, um die AA-Lageberichte zu überprüfen. Dazu gehören nicht zuletzt Berichte von Nicht-Regierungsorganisationen wie amnesty international oder der Schweizerischen Flüchtlingshilfe. "Wenn es am Tag der Abschiebung Anschläge in Kabul gibt, dann erwarten wir, dass die Gerichte alle verfügbaren Informationen über diese Anschläge in ihre Entscheidung einbeziehen", so Maidowski.

Maidowski lebte als Schüler selbst vier Jahre in Afghanistan ("Ich liebe dieses Land"). Er glaubt, dass er aus dieser Erfahrung heraus noch immer versteht, wie die afghanische Gesellschaft funktioniert. Er habe über die heutige Lage in Afghanistan aber keinerlei tagesaktuelle Informationen aus erster Hand. 

Sichere Ecken in Afghanistan?

Während Außenminister Heiko Maas (SPD) jüngst darauf hinwies, dass die Lage in Afghanistan "regional nach wie vor unterschiedlich" sei, betonte Maidowski: "Es reicht nicht, dass es sichere Ecken gibt. Asylrechtlich kommt es darauf an, dass die Personen, die wir abschieben wollen, dort auch hinkommen." 
 
Derzeit werde zum Beispiel die große Ringstraße durch Afghanistan an mehreren Stellen von den Taliban kontrolliert. Es sei daher momentan nur möglich, Personen abzuschieben, die in der afghanischen Hauptstadt Kabul bleiben und dort überleben können. Dass jemand Familie in Herat oder Jalalabad habe, spiele zurzeit kaum eine Rolle. 
 
Für Stirnrunzeln sorgte bei Verfassungsrichter Maidowski auch die Äußerung von NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU): "Wer in Deutschland straffällig wird, hat sein Gastrecht verwirkt". Laschet rechtfertigte damit die Abschiebung von Straftätern nach Afghanistan. 
 
Für Maidowski haben solche Aussagen "etwas Alttestamentliches", sie entsprächen aber nicht dem geltenden Recht. Dabei komme es eben auch darauf an, in welche Situation jemand nach einer Abschiebung verbracht werde. "Wir dürfen niemand abschieben, wenn im Zielland Folter oder Todesstrafe oder grausame menschenrechtswidrige Behandlung droht", betonte Maidowski, "dann endet jede Diskussion". Dies gelte auch bei Straftätern.

Dysfunktionales Schengen-System

Für problematisch hält Maidowski auch die Dublin-III-Verordnung der Europäischen Union (EU). Danach ist für das Asylverfahren in der Regel der EU-Staat zuständig, den ein Geflüchteter als erstes betreten hat. Typischerweise sind dies die Staaten an den Außengrenzen, die entsprechend überlastet sind. In dieses System sei eindeutig "zu wenig Solidarität eingebaut", so Maidowski. 
 
"Die Entwicklung der letzten 15 bis 20 Jahre hat gezeigt: Wir können nicht darauf vertrauen, dass überall in der EU die Asylverfahren rechtstaatlich durchgeführt und die Flüchtlinge menschenwürdig versorgt und untergebracht werden." Zahlreiche Gerichte hätten zum Beispiel entschieden, dass man Flüchtlinge nicht nach Griechenland zurückschicken kann. 
 
Große Fragezeichen setzte Maidowski auch hinter die Pläne der EU-Kommission, in einem "Pakt für Migration und Asyl" ein neues System zu etablieren. Insbesondere die Vorstellung, dass in Aslyzentren an der Außengrenze schnelle Asylverfahren durchgeführt werden sollen, hält er für unrealistisch. 
 
"Wir entscheiden im Asylrecht immer über die Situation von individuellen Personen, nicht über Gruppen", betonte Maidowski. Außerdem müssten immer aktuelle Informationen über die Situation im Abschiebezielland besorgt werden. "Ich habe schon viele Asylverfahren durchgeführt, wirklich schnell gegangen sind schwierige Fälle nie", betonte Maidowski, der vor seiner Tätigkeit in Karlsruhe Verwaltungsrichter war, zuletzt am Bundesverwaltungsgericht.

Karlsruhe prüft EU-Recht

Ein Fortschritt ist aus Maidowskis Sicht die neue Rechtsprechung des BVerfG, wonach das Gericht auch Sachverhalte prüfen kann, die an EU-Grundrechten zu messen sind. Dies sei wichtig, weil das deutsche Asylrecht fast vollständig durch zugrundeliegendes EU-Recht geprägt sei. "Ohne diesen neuen Zugang hätten wir fast nur noch Verfahrensfragen prüfen können", so Maidowski. 
 
Wenn jedoch die Auslegung des EU-Rechts Fragen aufwerfe, werde das BVerfG den Fall dem Europäischen Gerichtshof vorlegen und dessen Auslegung dann beachten, versprach Maidowski, der dem Zweiten Senat angehört.

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Verfassungsrichter Maidowski zum Asylrecht: . In: Legal Tribune Online, 06.08.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45677 (abgerufen am: 16.11.2025 )

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