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BGH zu Überspanungsschäden: Auch Strom kann ein fehlerhaftes Produkt sein

von Dr. Susanne Wende, LL.M.

26.02.2014

Schild "Hochspannung"

© Frederico di Campo - Fotolia.com

Normalerweise fließt der Strom schön gleichmäßig aus der Steckdose. Gelegentlich kommt es aber zu einer Überspannung, die Toaster, Rechner, Fernseher und sonstige Elektrogeräte als ihre Opfer fordert. Der BGH hat am Dienstag entschieden, dass für solche Schäden Ersatz nach dem Produkthaftungsgesetz verlangt werden kann. Das mit Spannung erwartete Urteil stellt Susanne Wende vor.

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Der Kläger hatte in dem Rechtsstreit Schäden an seiner Heizungsanlage, seinem elektrischen Garagentor, seinem Computer und anderen Elektrogeräten geltend gemacht. Eine Überspannung in seinem Haus hatte die Geräte beschädigt. Hierfür begehrte er Schadenersatz von der Betreiberin des Wuppertaler Stromnetzes, und bekam am Dienstag vor dem Bundesgerichtshof (BGH) Recht (Urt. v. 25.02.2014, Az. VI ZR 144/1).

Der BGH begründet den Anspruch mit dem Produkthaftungsgesetz (ProdHaftG). Dieses statuiert eine verschuldensunabhängige Haftung des Herstellers für fehlerhafte Produkte. Bei unvoreingenommener Betrachtung mag es schon merkwürdig klingen, dass Strom überhaupt ein Produkt i. S. d. Gesetzes sein soll. In § 2 ProdHaftG wird "Elektrizität" aber ausdrücklich als solches definiert. 

Zu klären blieben für den BGH damit im Wesentlichen noch die Fragen, wer der Hersteller des Produkts Strom ist, und ob dieses Produkt bei Überspannung fehlerhaft ist:

Wer "macht" den Strom?

Der BGH hat die Netzbetreiberin als Hersteller von Strom i. S. d. § 4 ProdHaftG bewertet. Dies begründet er mit der Transformation auf eine andere Spannungsebene. Die Netzbetreiberin wandelt nämlich Hochspannung in sogenannte Niederspannung um, die dann als 230V-Spannung in der Steckdose ankommt. Dadurch wird nach Ansicht des BGH die Eigenschaft des Produkts Elektrizität durch den Betreiber des Stromnetzes in entscheidender Weise verändert, weil es erst nach der Transformation für den Letztverbraucher mit den üblichen Verbrauchsgeräten nutzbar ist.

Bislang liegt lediglich eine Pressemitteilung des BGH vor; es bleibt abzuwarten, wie sich die volle Urteilsbegründung mit diesem Aspekt auseinandersetzt. Das Abstellen auf die Veränderung legt nahe, dass der BGH davon ausgeht, dass der Strom auch vor der Umwandlung ein Produkt i. S. d. ProdHaftG ist. Nach den allgemeinen Grundsätzen des Produkthaftungsrechts ist die Veränderung eines Produktes nach dem Inverkehrbringen aber nur dann als Herstellungsprozess zu bewerten, wenn die Veränderung sicherheitsrelevant ist.

Wenn der Hersteller nicht ermittelbar ist, haftet der Lieferant

Nach der Pressemitteilung geht das BGH-Urteil aber jedenfalls dahin, dass ein Netz-betreiber dann Hersteller i. S. d. § 4 Abs. 1 ProdHaftG ist, wenn er den Strom trans-formiert. Der BGH folgt mit dieser Entscheidung der Vorinstanz, dem Landgericht (LG) Wuppertal (Urt. v. 05.03.2013, Az. 16 S 15/12).

Das LG hatte den Herstellerbegriff allerdings noch weiter gefasst: Auf die Transformation des Stromes soll es nach seiner Ansicht gar nicht zwingend ankommen. Vielmehr sei ein Netzbetreiber generell als Hersteller i. S. d. ProdHaftG anzusehen, da der wahre Hersteller des Stroms in der Regel nicht zu ermitteln sei.

Es bleibt abzuwarten, ob der BGH sich in seinem Urteil auch mit dieser Begründung auseinandersetzt, die die Herstellereigenschaft scheinbar völlig losgelöst von einem Einfluss auf den Produktionsprozess bestimmt. Jedenfalls kann die Tatsache, dass der wahre Hersteller nicht ermittelt werden kann, keine Fiktion eines anderen Herstellers auslösen. Das ProdHaftG hilft dem Verbraucher in solchen Fällen vielmehr durch weitere Anspruchsgegner: Gerade in dem Fall, dass der Hersteller des Produktes nicht festgestellt werden kann, haftet der Lieferant gem. § 4 Abs. 3 ProdHaftG.

Fehlerhafter Strom bei Überspannung?

Der BGH wertet die Überspannung als einen Produktfehler, der die Haftung des Her-stellers auslöst. In der Pressemitteilung wird dies nur mit dem Satz begründet, dass der Abnehmer mit solchen übermäßigen Spannungsschwankungen nicht rechnen muss.

Produkthaftungsrechtlich ist aber nicht jede Abweichung eines Produktes von den erwarteten Eigenschaften ein Fehler. Ein Produkt ist nur dann fehlerhaft i. S. d. ProdHaftG, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die berechtigterweise erwartet werden kann.

Mit dieser Problematik wird der BGH sich in der Urteilsbegründung vermutlich vertieft auseinandersetzen. Wünschenswert wäre, dass er Kriterien für die Bewertung der Fehlerhaftigkeit von Strom entwickelt, die den Besonderheiten der elektrischen Ener-gieversorgung gerecht werden.

Haftung nur für private Geräte

Die vom BGH nunmehr festgestellte Haftung des Netzbetreibers greift nur für Geräte im privaten Gebrauch. Dies folgt unmittelbar aus § 1 Abs. 1 ProdHaftG.
Eine Haftung für gewerblich genutzte Elektrogeräte käme nur über die deliktsrechtliche Produzentenhaftung in Betracht. Hierfür muss dem Hersteller aber ein Verschulden vorgeworfen werden können.

Schon die Vorinstanz hatte ein Verschulden der Betreiberin des Wuppertaler Stromnetzes verneint. Nach der Urteilsbegründung des LG Wuppertal verursachte ein äußerst unwahrscheinliches, ungünstiges Zusammentreffen mehrerer Ereignisse die Überspannung. Die Netzbetreiberin habe hiervon nichts wissen können.

Haftung auch bei anderen Stromstörungen?

Das BGH-Urteil bejaht die Haftung der Netzbetreiberin für Schäden an privat genutzten Elektrogeräten, die durch Überspannung verursacht wurden. Damit ist nunmehr ein ganz konkreter Fall der Spannungsschwankungen in seinen produkthaftungsrechtlichen Auswirkungen entschieden.

Ob die Rechtsprechung des BGH auf andere Störungen im Stromfluss übertragbar ist, muss anhand des jeweiligen Falles geprüft werden; Kriterien hierfür werden sich aus dem Urteil möglicherweise entwickeln lassen.

Praktische Anwendungsfälle gäbe es jedenfalls durchaus: So kann zum Beispiel auch ein Stromausfall Sachschäden verursachen. Hier ist sich aber zumindest die juristische Literatur bisher überwiegend einig, dass produkthaftungsrechtliche Ansprüche nicht bestehen können: Bei einem Stromausfall wird schließlich nicht ein fehlerhaftes Produkt geliefert, sondern gar keines.

Die Autorin, Dr. Susanne Wende, LL.M. ist Rechtsanwältin in der Kanzlei Noerr LLP, München. Sie ist spezialisiert im deutschen und europäischen Produkthaftungs- und Produktsicherheitsrecht.

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BGH zu Überspanungsschäden: . In: Legal Tribune Online, 26.02.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11168 (abgerufen am: 16.05.2025 )

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