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BGH: Karlsruhe eröffnet mehr Wettbewerb auf Gleisen

von Dr. Volkmar Wagner

09.02.2011

Bahnwettbewerb

© Daniel Ernst - Fotolia.com

Mit dem Beschluss, dass S-Bahn-Leistungen auszuschreiben sind, beendet der BGH den lange schwelenden Streit um ein mögliches vergaberechtliches Sonderregime für Auftragsvergaben im Personennahverkehr. Die Entscheidung bringt frischen wettbewerbsrechtlichen Wind in den bislang von DB Regio beherrschten Markt. Von Dr. Volkmar Wagner.

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Auslöser der Entscheidung vom 8. Februar 2011 (Az. X ZB 4/10) war ein von dem DB-Konkurrenten Abellio angestrengtes vergaberechtliches Nachprüfungsverfahren. Abellio störte sich daran, dass der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) und DB Regio sich im Jahre 2009 darauf verständigt hatten, dass ein seit 2004 bestehender Vertrag über die Erbringung von S-Bahn-Leistungen über das ursprünglich vorgesehene Vertragsende 2018 hinaus bis 2023 verlängert würde.

Abellio bezweifelte mangels Durchführung einer Ausschreibung die rechtliche Gültigkeit der Vertragsverlängerung und beantragte bei der Vergabekammer Münster, dies förmlich festzustellen. Die Vergabekammer gab dem Unternehmen Recht und erklärte den Änderungsvertrag für unwirksam.

Das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf bestätigte den Beschluss der Vergabekammer Münster. Da es damit von einer Entscheidung  des OLG Brandenburg aus dem Jahre 2003 abwich, legte es den Rechtsstreit dem Bundesgerichtshof (BGH) zur höchstrichterlichen Klärung vor.

BGH: Vergaberecht nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen geht vor

Inhaltlich ging es vor dem BGH zunächst um die Frage, ob das ältere Allgemeine Eisenbahngesetz (AEG) als spezielleres Gesetz das jüngere, im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) enthaltene Vergaberecht verdrängt. In § 15 Abs. 2 AEG heißt es nämlich, dass Leistungen im Schienenpersonennahverkehr ausgeschrieben werden können – und können heißt nicht müssen.

Dagegen geht das GWB davon aus, dass für öffentliche Aufträge grundsätzlich eine Ausschreibungspflicht besteht, wenn kein im Vergaberecht selbst geregelter Ausnahmetatbestand eingreift. Der VRR und DB Regio argumentierten, dass das AEG als spezielleres Gesetz das allgemeinere GWB verdränge. Der BGH indes sah keine solche Spezialität. Es sei auch nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber wollte, dass das Eisenbahnrecht dem Vergaberecht vorgeht. Damit kam es für die Bundesrichter nur noch darauf an, welches Gesetz neueren Ursprungs ist. Weil demzufolge das neuere GWB das ältere AEG verdrängt, steht § 15 Abs. 2 AEG der Anwendung des Vergaberechts nicht entgegen: Die Aufträge müssen grundsätzlich ausgeschrieben werden.

Künftig deutlich höhere Marktanteile für die privaten Konkurrenten der Bahn

Auch weitere mögliche Ausnahmen vom Vergaberecht lagen nach Ansicht des BGH nicht vor. Zunächst stellte der Senat fest, dass der Änderungsvertrag keine vom Vergaberecht freigestellte Dienstleistungskonzession ist. Kennzeichnend für eine Dienstleistungskonzession sei, dass der Konzessionär das wirtschaftliche Risiko zumindest zu einem wesentlichen Teil übernimmt. Dies war nach dem Änderungsvertrag nach Auffassung des BGH nicht der Fall, da DB Regio vom VRR einen öffentlichen Zuschuss von 64  Prozent erhalten sollte. Da der S-Bahn-Verkehr überall in Deutschland ein Zuschussgeschäft ist, ist diese Feststellung für alle S-Bahn-Verträge in Deutschland von grundlegender Bedeutung.

Schließlich lehnte der BGH auch die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise zulässige freihändige Vergabe ab (§ 4 Abs. 3 Nr. 2 der Vergabeverordnung). Damit steht fest, dass die Vertragsänderung nicht ohne Ausschreibung vergeben werden durfte. Der Änderungsvertrag ist unwirksam; sollte der VRR ihn erneut vergeben wollen, müsste er dies im Wettbewerb und unter Beachtung des Vergaberechts tun.

Im Ergebnis hat der BGH bei der Vergabe von S-Bahn-Leistungen die Weichen eindeutig auf mehr Wettbewerb gestellt. Direktvergaben an ein Unternehmen – in der Vergangenheit zumeist an den bisherigen Platzhirsch DB Regio – sind grundsätzlich nicht mehr zulässig. Da in den nächsten Jahren mehr als die Hälfte aller Aufträge im Schienenpersonennahverkehr neu vergeben werden muss, ist damit zu rechnen, dass die Marktanteile der privaten Konkurrenten der DB Regio sich deutlich erhöhen werden.

Dr. Volkmar Wagner ist Rechtsanwalt und Partner bei CMS Hasche Sigle in Stuttgart. Sein Schwerpunkt ist die Beratung und Vertretung von Wirtschaftsunternehmen und der öffentlichen Hand im Vergaberecht und öffentlichen Wirtschaftsrecht.

 

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