Eine Bewerberin bekam eine Absage. Im Lebenslauf hatte der Arbeitgeber die Angabe "ein Kind" ergänzt um "7 Jahre alt!". Auf ihre Diskriminierungsklage hin tauchte das LAG direkt in die Zahlen einer komplizierten Statistik ein. Das BAG hielt diese nun für nicht aussagekräftig – und hält eine unmittelbare Diskriminierung für möglich, erklärt Jan Tibor Lelley.
Eine Verwaltungs- und Bürokauffrau bewarb sich bei einem lokalen Radiosender. In ihrem Lebenslauf stand: "Verheiratet, ein Kind". Sie erhielt eine Absage, der ihr CV beilag, jedoch mit einer kleinen, aber feinen Änderung: neben "…ein Kind" steht der handschriftliche Vermerk: "7 Jahre alt!". Die so entstehende Wortfolge "Ein Kind, 7 Jahre alt!" wurde auch noch unterstrichen. Dabei ergab sich das Alter des Kindes nicht einmal aus den Bewerbungsunterlagen. Die Personalabteilung hatte es selber errechnet.
Die abgelehnte Bewerberin klagte vor dem Arbeitsgericht gegen den Sender und verlangte eine Entschädigung. Sie sah ihr Recht aus dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verletzt, da sie wegen ihres Geschlechts diskriminiert worden sei. Die Entscheidungsträger hätten sie nicht einstellen wollen, da sie Mutter eines schulpflichtigen Kindes ist und dennoch eine Vollzeitbeschäftigung anstrebte. Doch selbst, wenn ihr Kind der Ablehnungsgrund war und nicht – wie der Radiosender behauptete – ihre mangelnde Qualifikation, stellte sich die Frage, ob man daraus auf eine Benachteiligung für sie als Frau schließen kann. Immerhin hatte der Arbeitgeber an ihrer Stelle auch eine Frau eingestellt.
Während sie in erster Instanz verlor, gab ihr das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm Recht. Es liege eine Diskriminierung wegen des weiblichen Geschlechts vor. Als Beweis dafür zog das Gericht eine Statistik heran, die eine mittelbare Diskriminierung belegen sollte. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hielt diese Statistik nun aber für nicht aussagekräftig und verwies den Fall zurück an das LAG – mit dem Hinweis, einmal über eine unmittelbare Diskriminierung nachzudenken (Urt. v. 18.09.2014 – 8 AZR 753/13).
Mittelbare Diskriminierung
Es fällt auf, dass trotz der im AGG festgeschriebenen Beweiserleichterung Diskriminierungskläger immer noch große Schwierigkeiten beim Nachweis einer Benachteiligung haben. Eigentlich soll es so einfach sein: Die sich benachteiligt fühlende Partei muss im Streitfall nach § 22 AGG nur Indizien darlegen und beweisen, die eine Benachteiligung aus Gründen der Rasse, der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität wegen vermuten lassen. Und schon trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen das AGG vorgelegen hat.
Doch vor allem in den Fällen der mittelbaren Diskriminierung gelingt der Beweis nicht so einfach. Nach § 3 Abs. 2 AGG liegt eine mittelbare Benachteiligung vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Menschen wegen eines verbotenen Diskriminierungsmerkmals gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können. Es geht um Fälle, in denen eine Schlechterstellung typischerweise Personen trifft, die ein konkretes Merkmal vereint. Daher liegt der Umkehrschluss nahe, man habe bewusst dieses Merkmal als Selektionskriterium verwendet, um Angehörige dieser speziellen Gruppe auszuschließen.
2/2 Vergleichende Zahlen
Hartnäckig hält sich ja die Aussage, man solle nur den selbstgefälschten Statistiken glauben, obwohl nicht belegbar ist, dass der besagte britische Staatsmann sie je geäußert haben soll. Ungeachtet dessen werden primär Statistiken als wichtige Informationsquelle und Entscheidungshilfe herangezogen, um diese Vergleiche anzustellen und mittelbare Diskriminierungen aufzudecken. Spätestens seit dem Jahr 2010 ist die statistische Erhebung in AGG-Klagen als Beweismittel offiziell anerkannt. In dem Jahr hatte das BAG in der GEMA-Entscheidung (Urt. v. 22.07.2010, Az. 8 AZR 1012/08) klargestellt, dass eine Statistik ein geeignetes Indiz für eine Diskriminierung wegen des Geschlechts ist.
Mithilfe dieser Statistiken stellen Gerichte einen Vergleich an zwischen der Gesamtheit der Personen, die von einer potenziell diskriminierenden Regelung erfasst werden und der Gesamtheit der Personen, die durch die Regelung benachteiligt werden. Ergibt ein Vergleich dieser Statistiken beispielsweise, dass sich in der benachteiligten Gruppe mehr Angehörige eines Geschlechts finden als in der begünstigten, so ist eine verbotene Schlechterstellung gegeben (LAG Hamm, Urt. v. 06.06.2013, Az. 11 Sa 335/13).
Es muss sich aber um eine aussagekräftige und für die umstrittene Fallkonstellation gültige Erhebung handeln. So ist zum Beispiel die bloße statistisch belegte Unterrepräsentanz des weiblichen Geschlechts in den Führungsetagen von Unternehmen kein erfolgreich geführter Beweis einer Benachteiligung wegen des Geschlechts. Denn ein solcher Beweis würde voraussetzen, dass sich immer gleich viele Frauen und Männer um eine Führungsposition bewerben. Wenn nicht, bleibt die Statistik graue Theorie und beweist keine verbotene Benachteiligung.
BAG: Nur einschlägige Statistiken zählen
Das LAG hatte die Auswertung des Mikrozensus 2010 durch das Statistische Bundesamt genutzt, um eine Benachteiligung wegen des Geschlechts zu vermuten. Das Amt hatte den Anteil von Ehefrauen mit Kind an der Gesamtzahl der Vollbeschäftigten untersucht. Da auch heute noch weitestgehend die Frauen die Betreuung minderjähriger Kinder im Grundschulalter übernehmen, sind sie sehr viel seltener (voll) erwerbstätig als Väter.
Obwohl der Radiosender sich ja für eine – kinderlose - Frau entschieden hatte, konnte er nicht nachweisen, dass das Geschlecht als Entscheidungskriterium positiv ausgeschlossen war. Aus der Statistik schloss das Landgericht daher, dass das Geschlecht als pönalisiertes Merkmal bei der Ablehnung der Bewerbung eine Rolle gespielt haben müsse. Denn wenn an das geschlechtsspezifische Kriterium der Vereinbarkeit von Familie und Beruf angeknüpft worden ist, hätte der Arbeitgeber nachweisen müssen, dass ein hypothetischer männlicher Bewerber nach der Lebenserfahrung nicht wegen des Kriteriums "ein Kind, 7 Jahre alt" benachteiligt worden wäre.
Das BAG entschied aber nun, dass die vom LAG herangezogene Statistik keine Aussagen für eine potentiell gegenüber der Klägerin vorgenommene Benachteiligung nach §§ 1, 3 Abs. 2 AGG zulasse. Wie eine für diese Fallkonstellation aussagekräftige Erhebung aussehen könne, ließ es offen.
Vielleicht hat das LAG aber einfach viel zu kompliziert gedacht und es bedarf weder des Kriteriums der mittelbaren Diskriminierung noch einer neuen Statistik. Vielmehr legten die Erfurter Richter der Vorinstanz am vergangenen Donnerstag nahe, zu prüfen, ob nicht sogar eine unmittelbare Benachteiligung der abgelehnten Bewerberin als Frau zu sehen ist. Dazu müsse es dann nur den handschriftlichen Vermerk auf dem zurückgesandten Lebenslauf auslegen.
Der Autor Dr. Jan Tibor Lelley, LL.M. ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei Buse Heberer Fromm Rechtsanwälte Steuerberater PartG mbB.
Jan Tibor Lelley, BAG zu Statistiken im Diskriminierungsverfahren: "Ein Kind, 7 Jahre alt!" . In: Legal Tribune Online, 22.09.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13263/ (abgerufen am: 25.04.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag