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Erstmals vor dem BAG: Kün­di­gung auf Ver­langen des Betriebs­rats

von Prof. Dr. Michael Fuhlrott

28.03.2017

Ein gefeuerter Mitarbeiter (Symbolbild)

© Andrey Popov - Fotolia.com

Betriebsräte sehen Arbeitnehmerkündigungen in der Regel eher kritisch. In Ausnahmefällen können sie aber auch selbst eine Kündigung gerichtlich durchsetzen. Solch eine seltene Konstellation entschied nun das BAG, erklärt Michael Fuhlrott.

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Betriebsräte sind vor Ausspruch einer Kündigung gem. § 102 Abs. 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) zu unterrichten. Eine fehlerhafte oder unvollständige Anhörung zieht die Unwirksamkeit der Kündigung nach sich. Allerdings ist die inhaltliche Reaktion des ordnungsgemäß unterrichteten Betriebsratsgremiums für die Wirksamkeit der Kündigung unerheblich. Weder macht es die Kündigung unwirksam, wenn der Betriebsrat ihr widerspricht, noch führt dessen ausdrückliche Zustimmung zu rechtlichen Vorteilen für den Arbeitgeber. Allenfalls in "psychologischer" Hinsicht mag dies bei der Interessenabwägung in einem gerichtlichen Verfahren hilfreich sein, wenn der Arbeitgeber mit Hinweis auf die "sogar durch den Betriebsrat gutgeheißene Kündigung" argumentieren kann.

Das BetrVG gibt dem Betriebsrat darüber hinaus aber gem. § 104 S. 1 das Recht, vom Arbeitgeber die Entlassung oder Versetzung eines betriebsstörenden Arbeitnehmers zu verlangen. Hierfür müssen gravierende Fehlverhaltensweisen vorliegen, das Gesetz nennt exemplarisch "gesetzwidriges Verhalten" oder "rassistische oder fremdenfeindliche Betätigungen". Anerkannt worden durch die Rechtsprechung sind hierzu auch grobe Tätlichkeiten und Angriffe auf Arbeitskollegen (LAG Hamm v. 23.10.2009, Az. 10 TaBV 39/09) oder unbefugtes Mitschneiden einer Dienstbesprechung auf Tonband (LAG Hessen v. 7.9.1984, Az. 14/4 TaBV 116/83), die Literatur zählt auch Verunglimpfungen eines Arbeitnehmers, zielgerichtetes Mobbing oder sexuelle Belästigungen hierunter.

Folgt der Arbeitgeber einem solchen Entlassungsbegehren des Betriebsrats nicht, kann dieser gem. § 104 S. 2 BetrVG dem Arbeitgeber durch Beantragung eines arbeitsgerichtlichen Beschlusses die Entlassung des Mitarbeiters aufgeben zu lassen. Der Arbeitgeber, der sich dem widersetzt, riskiert sodann ein Zwangsgeld, das für jeden Tag der Zuwiderhandlung bis zu 250,- Euro betragen darf.

Ein seltener Fall vor dem BAG

Über einen solchen doch eher seltenen Fall hatte das Bundesarbeitsgericht (BAG) am Dienstag zu entscheiden (Urt. v. 28.3.2017, Az. 2 AZR 551/16). Vom zugrundeliegenden  Sachverhalt ist leider nur wenig bekannt. Dem Urteil und den Ausführungen der Vorinstanzen ist lediglich zu entnehmen, dass die klagende Arbeitnehmerin seit 1993 als Sachbearbeiterin im Bereich Rechnungswesen in der Abteilung "Cash-Agentur Inkasso" für einen Versicherungskonzern tätig war. Das Arbeitsverhältnis muss dabei heftigst gestört gewesen sein, denn: Wer – wie der Autor dieses Beitrags – neugierig nach genauen Sachverhaltsangaben sucht, wird leider enttäuscht.

So sprechen die Urteilsgründe nebulös-sibyllinisch nur davon, dass es zwischen der Klägerin und einem Kollegen im Oktober 2014 und der Klägerin und einer weiteren Kollegin im Januar 2015 jeweils zu "Zwischenfällen" kam. Die beklagte Arbeitgeberin mahnte die Arbeitnehmerin ab und kündigte die Klägerin entsprechend nach dem zweiten "Zwischenfall" fristlos. Diese Kündigung wurde nach einem Kündigungsschutzverfahren der Klägerin vor dem Arbeitsgericht Düsseldorf (Az.: 12 Ca 506/15) seitens der Arbeitgeberin zurückgenommen, das Arbeitsverhältnis sodann fortgesetzt.

Damit war der Betriebsrat keineswegs zufrieden. Nachdem dieser die Arbeitgeberin im April 2015 erfolglos zur Kündigung der "betriebsstörenden Arbeitnehmerin" aufgefordert hatte, rief er das Arbeitsgericht Düsseldorf an (Az.: 11 BV 100/15), um sein Kündigungsverlangen durchzusetzen. Die Richter sahen nach einer Beweisaufnahme unter Beteiligung der "Störerin" betriebsstörendes Verhalten gem. § 104 BetrVG als gegeben an. Sie verpflichteten das Unternehmen durch gerichtlichen Beschluss vom August 2015, die Arbeitnehmerin zu entlassen. Im Oktober 2015 tat die Arbeitgeberin sodann wie geheißen und kündigte die Klägerin fristlos, hilfsweise ordentlich fristgerecht.

Seite 1/2
  • Seite 1:

    Das Kündigungsverlangen des Betriebsrats

  • Seite 2:

    Knackpunkt: Kündigung nach § 104 BetrVG präjudiziell

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Michael Fuhlrott, Erstmals vor dem BAG: . In: Legal Tribune Online, 28.03.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22500 (abgerufen am: 11.11.2025 )

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