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Kommentar zu "Terror – Ihr Urteil": Im Namen der Quote

von Dr. Lorenz Leitmeier

19.10.2016

Terror von Ferdinand von Schirach

Bild: ARD

"Terror – Ihr Urteil" war ein Betrug am Zuschauer und ein Affront gegen den Rechtsstaat, findet Lorenz Leitmeier. Das Stück verzerre die Rechtslage, um Negativurteile über die Justiz zu perpetuieren.

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Das Theaterstück "Terror" ist fiktiv, mit einer realen Strafverhandlung hat es so viel zu tun wie ein durchschnittlicher Tatort mit strafbehördlicher Ermittlungsarbeit. Wie wenig strafrechtliche Kategorien in von Schirachs Werk gelten, hat Thomas Fischer in seiner Zeit Online Kolumne bestens dargelegt. Schlimm ist das allerdings nicht, in einem fiktiven Stück kann ein Autor, wenn er das möchte, eine Strafverhandlung auch mit Handpuppen darstellen. Das ist Kunstfreiheit, fällt unter Art. 5 GG und stört nicht weiter. Man muss nur wissen: Mit der Wirklichkeit hat das nichts zu tun.

Schlimm und unverzeihlich wird es aber, wenn man wie die ARD ein solches fiktives Stück als Blaupause für die Verfassungswirklichkeit ausgibt, hochkomplexe rechtstheoretische Fragen an diesem Maßstab ausrichtet und als Krönung schließlich auf Basis dieser verzerrten Darstellung vom "Volksgericht" über die Menschenwürde abstimmen lässt, als ob man das Problem mit einem simplen "Ja" oder "Nein" lösen könnte. Es fehlte allein Michael Schanze von "1, 2 oder 3", der für die richtige Antwort Bälle verteilte. Und da man in Jura ohnehin alles begründen kann, war für jede der beiden möglichen Entscheidungen das passende Urteil vorbereitet.

In Wahrheit ging es nicht um "schuldig" oder "nicht schuldig"

Vordergründig sollten die Zuschauer darüber entscheiden, ob sich der Pilot, indem er das Passagierflugzeug abgeschossen und 164 unbeteiligte Menschen getötet hat, "schuldig" oder "nicht schuldig" gemacht hat. In Wahrheit wurde aber natürlich nicht über die individuelle "Schuld" eines Angeklagten befunden, wie in einem Strafprozess allein maßgeblich, sondern vielmehr über eine schwierige Rechtsfrage ein "Voting" abgegeben – ob nämlich der Staat einige Unbeteiligte (sicher) töten darf, um damit (vermutlich) viele Unbeteiligte zu retten. Und diese Frage greift aus der Fiktion in die Wirklichkeit hinüber, denn eine solche Ermächtigungsgrundlage gab es einmal in § 14 Abs. 3 Luftsicherheitsgesetz.

Diese Vorschrift allerdings verwarf das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 15. Februar 2006 deutlich: Es sei nämlich "unter der Geltung des Art. 1 Abs. 1 GG schlechterdings unvorstellbar, auf der Grundlage einer gesetzlichen Ermächtigung unschuldige Menschen, die sich wie die Besatzung und die Passagiere eines entführten Luftfahrzeugs in einer für sie hoffnungslosen Lage befinden, (…) vorsätzlich zu töten." Sie würden dadurch zum bloßen Objekt staatlichen Handelns, das verstößt gegen ihre Menschenwürde.

Verhandlungsmasse Menschenwürde

Da Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gem. § 31 Abs. 2 Bundesverfassungsgerichtsgesetz Gesetzeskraft haben, ist also geklärt, dass der Staat die unschuldigen Passagiere nicht töten darf, um die Menschen im Stadion (vermutlich) zu retten. Ein Richter, der diese Entscheidung des BVerfG ignoriert, kann froh sein, nicht wegen Rechtsbeugung Ärger zu bekommen. Die ARD allerdings behandelte dieses Rechtsproblem als ungeklärt und präsentierte die Menschenwürde als störend: Wer den Abschuss für verboten hält, gilt als jemand, der um eines Prinzips willen die Menschen im Stadion opfert. Er ist der Gesinnungsethiker, der selbst dem Verfolger seiner Tochter die Wahrheit sagt, auch wenn sie dann getötet wird. In diesem Denkmodell stört die Menschenwürde, sie muss auf die Seite geschafft werden – 87 Prozent haben verstanden. Im Anschluss äußerte dann der ehemalige Verteidigungsminister Franz Josef Jung, er hätte trotz des BVerfG-Urteils den Abschuss befohlen, ein Gesetz also nicht befolgt, weil es seiner persönlichen Meinung nicht entspricht. 

Art. 1 GG wird dadurch zu einem "Prinzip" im denkbar negativen Sinne, zu einer selbstauferlegten Fessel, die als Verhandlungsmasse dann, wenn es ernst wird, weichen muss. Wer einen Abschuss für gerechtfertigt hält, nimmt nämlich eine Pflicht der Passagiere an, sich für das (mögliche) Überleben anderer aufzuopfern. Und genau das soll im Staat des Grundgesetzes nicht möglich sein: Unschuldige zu töten, um höhere Ziele zu erreichen.

Wasser auf die Mühlen der Justizkritiker

Wer solche Fragen auf verzerrter Basis in die Arena wirft, und die Zuschauer auf dem Sofa den Daumen heben oder senken lässt, muss sich nicht wundern, wenn die Menschenwürde verliert; wenn Juristen als moralblinde "Prinzipienreiter" gelten und das Bundesverfassungsgericht als ihr wirklichkeitsfremder Anführer.

Die ARD war mit der Quote sicher zufrieden, der Preis aus ihrer Sicht bestimmt nicht zu hoch. Und sollen beim nächsten Themenabend "Folter" mehr als 87 Prozent herauskommen, empfiehlt es sich, den "Fall Daschner" nachzuspielen: Eine redliche Kriminalkommissarin (sympathisch: Maria Furtwängler) sitzt einem skrupellosen Entführer im Verhör gegenüber (teuflisch: Christoph Waltz), das entführte Kind (in Einblendungen verträumt mit einem Hundewelpen spielend) verhungert bald, aber der Entführer gibt das Versteck nicht preis: Sollte da wirklich keine Folter erlaubt sein, um an die rettende Information zu kommen?

Der Abend "Terror" sollte die breite Öffentlichkeit über Rechtsfragen aufklären, höhlte aber die Grundlagen unseres Staates aus: Die Menschenwürde steht einem "sinnvollen" Ergebnis entgegen, nämlich die Zahl der Todesopfer so gering wie möglich zu halten. Ein ehemaliger Verteidigungsminister erklärt, dass er Urteilen des Bundesverfassungsgerichts, die Prinzipien über Menschenleben stellen, nicht folgen kann, sodass die Gewaltenteilung auch nur einzuhalten ist, wenn es opportun erscheint. Einen solchen Abend mit Zwangsgebühren mitfinanziert zu haben – das müsste für eine Verfassungsbeschwerde reichen.

Der Autor ist Richter am Amtsgericht und hauptamtlicher Dozent an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung und Rechtspflege in Bayern.

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Dr. Lorenz Leitmeier, Kommentar zu "Terror – Ihr Urteil": Im Namen der Quote . In: Legal Tribune Online, 19.10.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20899/ (abgerufen am: 01.02.2023 )

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