Politische Beamte in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen, ist nach Wahlen üblich. Außer Generalbundesanwälte, wohl aus Respekt vor dem justizförmigen Design der Position, meint Martin Rath. Dennoch mussten schon zwei außerplanmäßig gehen.
Vom Konzept des politischen Beamten wenig angetan sind die Anhänger der etwas einfältigen Idee, dass der deutsche Beamte von der Minute seines Amtseids an die fleischgewordene Ideologiefreiheit und Objektivität eines neutralen Staatskörpers sei – unabhängig davon, ob er in einer Spitzenposition "seinem" Minister an Einfluss und Kompetenz weit voraus ist oder bloß an der nächsten Straßenecke den Verkehr regelt.
Das Amt des Generalbundesanwalts (GBA) beim Bundesgerichtshof zählt zwar beamtenrechtlich zur Kategorie der politischen Beamten, § 54 Abs. 1 Nr. 5 Bundesbeamtengesetz (BBG). In der Geschichte der Bundesrepublik war es bisher jedoch unüblich, dieses Amt nur deshalb neu zu besetzten, weil eine Bundestagswahl die Machtverhältnisse verschoben hatte – ein wenig Respekt vor dem justizförmigen Design der Position mag dabei eine Rolle gespielt haben.
Nach Wahlen ist es ein gewöhnliches Geschäft, politischen Beamten bezahlte Freizeit zu verschaffen. Jenseits von Wahlkampfnachwehen hilft der politische Skandal weiter: Von den insgesamt zehn Generalbundesanwälten seit Gründung der Bundesrepublik haben nicht weniger als drei eine außerplanmäßige Außerdienststellung erdulden müssen. Vor dem aktuellen Fall waren dies Wolfgang Fränkel (1905-2010) und zuletzt Alexander von Stahl.
Generalbundesanwalt für vier Monate
Wolfgang Fränkel wurde im Juli 1962 nach nur vier Monaten im Amt des Generalbundesanwalts in den einstweiligen Ruhestand versetzt, nachdem seine Mitverantwortung für eine Anzahl von Todesurteilen der NS-Justiz ruchbar geworden war.
Fränkel hatte als Staatsanwalt beispielsweise daran mitgewirkt, gegen das in seinen Augen zu milde Urteil eines Sondergerichts vorzugehen: War zunächst wegen Diebstahls eines Mantels eine Zuchthausstrafe von sieben Jahren verhängt worden, verurteilte das Reichsgericht den Angeklagten zum Tod.
Ungeachtet des Umstands, dass sich dieser und andere Vorwürfe gegen den langjährigen Bundesanwalt und schließlichen Generalbundesanwalt erhärteten, war das moralische Urteil seitens der Bundespolitik zögerlich: Aufbereitet und in Umlauf gesetzt worden waren viele Aspekte der NS-Laufbahn von Generalbundesanwalt Fränkel durch DDR-Geheimdienstkreise und die ostzonalen Presseorgane.
Nicht erst heute weiß man, dass sich das Ministerium für Staatssicherheit und jene westdeutschen Medien, die solche Vorwürfe kolportierten, mitunter wenig um die historische Wahrheit scherten. Im Fall Fränkel traf vieles zu. Man könnte gleichwohl auf den Gedanken kommen, dass das Verhältnis zwischen Bundesanwaltschaft und Medien damit von jeher und mit beruflichen Konsequenzen auf beiden Seiten dem Leitmotiv folgte: Warum sachlich, wenn es auch persönlich geht?
Was nach Bad Kleinen wirklich geschah
"Am 27. Juni 1993 auf dem Bahnhof von Bad Kleinen, Mecklenburg, erschießt der GSG-9-Beamte Michael Newrzella zunächst sich selbst." Mit dem absurden Satz leitete der Kabarettist und Schriftsteller Wiglaf Droste einen etwas zynischen Beitrag zu dem etwas unglücklichen Versuch der Polizei ein, der RAF-Mitglieder Wolfgang Grams und Birgit Hogefeld habhaft zu werden. Seinen polemischen Einfall ergänzte Droste um die Idee, dass der GSG-9-Beamte nach vollzogener Selbsttötung sich noch seiner "Dienstpflicht erinnert", den "RAF-Mann Wolfgang Grams, der ein Stück den Bahnsteig hoch liegt, … liquidiert" und im Anschluss "noch gut 50 ungezielte Schüsse wild in die Gegend" abgibt.
Über die zynische Zuspitzung, mit der Wiglaf Droste in den 1990-er Jahren das linksliberale Publikum entzückte, könnte man freundlich hinwegsehen, spiegelte sie nicht auf eine böse Weise das, was letztlich "gerichtsfest" zu dieser Verhaftungsaktion zu den Akten kam: Widersprüchliche, zweifelhafte Zeugenaussagen, Obduktionsergebnisse, die von interessierter Seite angegriffen wurden, soweit sie nicht das erhoffte Ergebnis attestierten, Beweismittel, die verlorengingen oder keine saubere Beweisführung mehr erlaubten. Der Spiegel legte sich zeitweise auf die Hypothese einer "Hinrichtung" von Grams fest.
Das Landgericht Bonn kam später im Rahmen einer Klage der Eltern des Geschädigten Grams zu der nachvollziehbaren Erkenntnis, dass die Umstände nicht nachvollziehbar aufzuklären seien.
2/2: Generalbundesanwalt Alexander von Stahl tritt ab
Die Verdächtigen Wolfgang Grams und Birgit Hogefeld gehörten zur "Kundschaft" der Bundesanwaltschaft als Strafverfolgungsbehörde mit Zuständigkeit für die besonders staatsgefährdenden Delikte. Am 6. Juli 1993 wurde Generalbundesanwalt Alexander von Stahl, der dieses Amt zum 1. Juni 1990 von Kurt Rebmann (1924-2005) übernommen hatte, in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Die Bundesministerin der Justiz, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, begründete dies mit widersprüchlichen Presseerklärungen, die von Stahl zur Affäre Bad Kleinen herausgebracht hatte, ungeachtet ihrer ministeriellen Weisung, sich mit Statements zurückzuhalten beziehungsweise diese mit ihr abzustimmen.
Sich bei unübersichtlicher Sachlage gegenüber der Presse zu äußern, ohne zur Klärung beizutragen, kann vielleicht als Grund herhalten, aus einem Amt entfernt zu werden. Doch finden sich viele Indizien, die darauf hindeuten, dass die FDP-Politikerin Leutheusser-Schnarrenberger die Bad-Kleinen-Affäre nur zum Anlass nahm, ihren Parteifreund von Stahl zu desavouieren.
Politische Karriere hatte von Stahl vor seiner Berufung zum Generalbundesanwalt in einer von Feindesland eingemauerten westdeutschen Provinzstadt namens Berlin (West) gemacht. In seiner Partei, der FDP, gehörte er zu den Fürsprechern von Positionen, die eher nicht auf der linksliberalen Tagesordnung stehen. So äußerte sich von Stahl zwar kritisch zur sogenannten Kronzeugenregelung, die probeweise für Terrorismus-Verfahren eingeführt worden war. Allerdings begründete er seinen Vorbehalt damit, dass die Strafverfolgungsbehörden damit dem staatlichen Strafanspruch in den Arm fielen. Um aggressiv arbeitende Strafverteidiger in die Schranken zu weisen, wünschte sich von Stahl eine Beschränkung ihrer Rechte. Derlei zählte nicht unbedingt zu den Anliegen, für die eine eher linksliberale FDP-Politikerin als „Chefin“ des Generalbundesanwalts bürgen wollte.
Nach seiner Entlassung engagierte sich von Stahl verstärkt in nationalliberalen und national-konservativen Kreisen.
General-Kießling-Argument bleibt aus
Die Entlassung des seiner Ministerin nicht hinreichend beflissenen Generalbundesanwalts von Stahl warf 1993/94 die Frage auf, ob der Bundespräsident – zum fraglichen Zeitpunkt der gerne aufs Regierungshandeln blickende Richard von Weizsäcker – die Versetzung des Beamten in den Ruhestand womöglich hätte verweigern können oder sollen, zumal sie gegen den Willen von Stahls vollzogen worden war: Auch ein politischer Beamter dürfe nicht mit einer grob der Wahrheit widersprechenden Begründung in die Freizeit entlassen werden.
Diese Rechtsauffassung ist einer älteren Geheimdienst-Travestie zu verdanken: 1983 war der hochrangige General Günter Kießling (1925-2009) aus dem Dienst gedrängt worden, weil der Verdacht bestand, er könne wegen angeblicher Homosexualität erpressbar sein. Der Bundesverteidigungsminister machte in dieser Affäre nicht den Eindruck, intellektuell besonders zurechnungsfähig zu sein. Seither bestehen Zweifel, ob den Ministern gegenüber politischen Beamten allzu freie Hand gewährt werden sollte.
Martin Rath, Generalbundesanwälte: Einstweilig versetzt . In: Legal Tribune Online, 05.08.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16502/ (abgerufen am: 04.10.2023 )
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