Abmahnanwälte sollen für Risiko des Gegners haften

BGH höhlt die Unab­hän­gig­keit der Anwalt­schaft weiter aus

von Dr. Alexander WeinbeerLesedauer: 6 Minuten
Der Anwalt des Rechteinhabers soll eine Garantenpflicht haben – gegenüber dem Abgemahnten. Diese Entscheidung des BGH zerstört Eckpfeiler der anwaltlichen Berufsausübung, meint Alexander Weinbeer.

Der Sachverhalt, welcher der nun bekannt gewordenen Entscheidung (Urt. v. 01.12.2015, Az. X ZR 170/12) des Bundesgerichtshofs (BGH) zugrunde liegt, war etwas komplexer. Das Ergebnis des Urteils ist dagegen recht einfach nachzuvollziehen. Verständlich wird es dadurch noch lange nicht.  In der Entscheidung Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung II geht es um Ansprüche aus einem 1994 beantragten und 1999 erteilten Patent im Bereich der Satellitenempfangstechnik, das der BGH Ende 2011 – und damit fast 5 Jahre nach den streitgegenständlichen Verwarnungen – für nichtig erklärt hatte. Die gemeinsam mit der Patentinhaberin in Anspruch genommene Anwaltskanzlei hatte schon im März und Juni 2007 in deren Namen mehrere hundert Geschäftspartner der späteren Klägerin wegen Schutzrechtsverstößen abgemahnt. Die Klägerin wies die Abmahnungen zurück,  das Landgericht (LG) und das  Oberlandesgericht (OLG)  Düsseldorf untersagten diese im weiteren Verlauf. Bei der ersten Abmahnung stützten die Gerichte sich darauf, dass die Abnehmer wegen unmittelbarer Patentverletzung verwarnt wurden, obwohl nur eine mittelbare Patentverletzung in Betracht kam. Bei der zweiten Abmahnung hatte der Anwalt die Abnehmer nicht auf eine – später vom OLG Karslruhe revidierte – Entscheidung des LG Mannheim hingewiesen. Die abgemahnte Klägerin nahm in der Folge die Patentinhaberin, die Ende 2011 in Insolvenz geriet, und deren Anwälte auf Ersatz der durch die unberechtigten Verwarnungen entstanden Kosten von 1,5 Mio. Euro in Anspruch. LG und OLG Frankfurt am Main wiesen die gegen die Anwälte gerichtete Schadensersatzklage ab, weil Anwälte– abgesehen von vorsätzlichem Fehlverhalten – grundsätzlich nicht gegenüber dem abgemahnten Gegner haften (OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 08.11.2012, Az. 6 U 161/11).

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BGH: Anwalt muss Gefahren für Gegner abwenden

Der X. Zivilsenat des BGH aber sieht das anders. Der eigentlich u.a. für  Patentsachen zuständige Senat statuiert in seiner Leitsatzentscheidung, dass Anwälte nach § 823 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) für einen rechtswidrigen und schuldhaften Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb eines Dritten, also nicht des Mandanten, haften, wenn dieser Eingriff "auf einer die Rechtslage fahrlässig falsch einschätzenden Beratung" des Mandanten durch den Anwalt beruhe. Dazu bemühen die Karlsruher Richter die Grundsätze zur deliktsrechtlichen Haftung als Täter oder Teilnehmer für ein Unterlassen, "wenn der Täter aufgrund einer Garantenstellung verpflichtet ist, eine Gefährdung oder Verletzung der durch § 823 Abs. 1 BGB geschützten Rechte Außenstehender abzuwenden". Und schließt daraus, dass  den "im Hinblick auf eine Schutzrechtsverletzung eingeschalteten Rechtsanwalt […] gegenüber dem später Verwarnten eine solche Garantenstellung" trifft. Im Klartext: Der Anwalt soll Gefahren von seinem Gegner abwenden. Ein Mandat müsse, so der BGH, so ausgeübt werden, dass der Mandant nicht irrtümlich eine Abmahnung anordnet, die in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb des Gegners eingreife. Der Senat zieht auf dem Weg zu diesem Ergebnis Parallelen zur Stellung von Geschäftsführern und schreibt dem Anwalt "aufgrund seines Mandats gleichfalls erhebliche Möglichkeiten der Abwehr und Steuerung im Hinblick auf die Vermeidung eines Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb eines Dritten" zu. Für schutzwürdig halten die Karlsruher Richter den von einer Abmahnung betroffenen Dritten, weil er typischerweise nicht rechtlich geschult sei und daher eine nicht völlig eindeutig formulierte Unterlassungserklärung falsch verstehen könne.

Eine neue Dimension von Risiken

Die Entscheidung eröffnet eine neue Dimension von Haftungsrisiken für Anwälte. Sie sollen nicht nur  eine Garantenstellung im Verhältnis zu den Gegnern ihrer Mandanten innehaben. Der Senat verzichtet zudem auch auf die umfassende Interessenabwägung, welche bei den sog. offenen sonstigen Rechten im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB nötig ist. Auch beim Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb indiziert  die Rechtsgutsverletzung nicht die Rechtswidrigkeit, sondern letztere muss aufgrund einer umfassenden Interessenabwägung positiv festgestellt werden. Mit der Annahme, dass Anwälte verpflichtet sein sollen, Gefahren für Rechte der Gegenpartei ihrer Mandanten abzuwenden, setzt der BGH die Advokaten zwangsläufig der Gefahr der Strafverfolgung und berufsrechtlicher Sanktionen wegen Geheimnis- und Parteiverrats aus. Bei Rücksichtnahme auf die gegnerischen Belange würden Anwälte permanent gegen das Verbot verstoßen, widerstreitende Interessen zu vertreten. Das Verbot der Interessenkollision (§ 43a Abs. 3 Bundesrechtsanwaltsordnung, BRAO) gehört zu den Grundpflichten der Rechtsanwälte. Gerade der Parteiverrat kann zum Ausschluss aus der Anwaltschaft nach § 114 BRAO führen.  Selbst ein Einverständnis des Mandanten ließe die Strafbarkeit wegen eines Parteiverrat gemäß § 356 Strafgesetzbuch nicht entfallen. Dieses Damoklesschwert schwebt über den Anwälten aus dem Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes, wenn die Rechtsprechung des Senats Schule machen sollte. 

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2/2: Verstoß gegen Kollisionsverbot und Verschwiegenheitspflicht

Eine weitere Grundpflicht aus § 43a Abs. 2 BRAO ist die zur Verschwiegenheit. Auch sie wird  durch die Strafbarkeit für die Verletzung von Privatgeheimnissen gemäß § 203 StGB bestärkt und ergänzt. Es ist zwar anerkannt, dass diese Beschränkungen entfallen, wenn der Anwalt von seinem Mandanten in Anspruch genommen wird, damit er sich umfassend gegen Regressanasprüche verteidigen kann. Ein Anwalt aber, der nicht von dem eigenen Mandanten haftbar gemacht wird, welcher dadurch zumindest konkludent eine Entbindung von der Schweigepflicht erklärt, kann das nicht. Wer von einem Dritten in Anspruch genommen wird, der auch noch in geschäftlicher Konkurrenz zum eigenen Mandanten steht, darf keine Geheimnissen offenbaren. Neben diesen berufs- und strafrechtlichen Sanktionen werden Anwälte unübersehbaren Haftungsrisiken ausgesetzt, für die grundsätzlich kein Versicherungsschutz besteht. Die obligatorische Berufshaftpflichtversicherung bietet nur Deckung für reine Vermögensschäden (§ 51 Abs. 1 S. 1 BRAO). Die finanziellen Folgen aus der Verletzung der durch § 823 Abs. 1 BGB geschützten Rechtsgüter stellen keine reinen Vermögensschäden dar. Gerade im Bereich der Schutzrechtsauseinandersetzungen übersteigen die finanziellen Folgen außerdem regelmäßig die bestehenden Versicherungssummen.

Garantenstellung für den Gegner?

Auf keinen dieser Umstände geht der Senat ein, obwohl auch das zweitinstanzlich entscheidende OLG Frankfurt a.M. in seiner Berufungsentscheidung ausdrücklich die besondere Stellung des Rechtsanwalts als Organ der Rechtspflege nach §§ 1, 3 BRAO und seine durch Art. 12 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit betont hat. Eher formelhaft nimmt der BGH Bezug auf die Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung-Entscheidung vom 15. Juli 2005 (Az. GSZ 1/04).  Es kann auch nicht überzeugen, dass der Senat eine Garantenstellung des Anwalts bejaht. Schon bei natürlicher Betrachtung ist es schwer nachvollziehbar, dass ein Anwalt für die Gegner seiner Mandanten Schutz- und Obhutspflichten haben soll. Die vom Senat zitierten Judikate zur Geschäftsführerhaftung des I. Zivilsenats und des VI. Zivilsenats ändern daran nichts: Sie hatten eine Garantenstellung ausdrücklich verneint. Der pauschale Hinweis zurr Herleitung einer solchen Garantenstellung auf eine angeblich gefestigte Rechtsprechung des BGH zu einer entsprechenden Stellung der Geschäftsführer verfängt nicht, zumal die dabei angesprochenen "Möglichkeiten der Abwehr und Steuerung" auch des – den Weisungen seines Auftraggebers unterliegenden und nicht gewerblich tätigen (§ 2 BRAO) – Anwalts nicht mit der Leitungsmacht von Unternehmensorganen vergleichbar sind. Die Annahme einer Garantenstellung würde schließlich voraussetzen, dass dem Garanten das von ihm geforderte Tun möglich und zumutbar ist. Die von dem aktuellen Urteil des Senats betroffenen Anwälten hätten aber, wenn sie auf die Belange des Gegners Rücksicht genommen hätten, sowohl eigene billigenswerte Interessen als auch solche ihrer Mandanten gefährdet – ohne Frage unzumutbar.

Entscheidung gefährdet die anwaltliche Unabhängigkeit

Eine unabhängige und von eigenen Schutzinteressen geleitete Mandatsbetreuung ist nach dem Urteil des BGH kaum mehr vorstellbar: Die anwaltliche Unabhängigkeit und Freiheit der Advokatur schließen nach einer Entscheidung des Anwaltssenats des BGH vom 13. September 1993 "zugleich die innere Freiheit ein, die berufliche Tätigkeit allein nach den Maßstäben interessengerechter, an Recht und Gesetz ausgerichteter Beratung und Vertretung des Mandanten zu bestimmen. Rücksichten auf eigene finanzielle Haftungsrisiken des Rechtsanwalts beeinträchtigen eine solche pflichtgemäße Mandantenbetreuung zumal bei hohen Geschäftswerten. Der Rechtsanwalt, der seine Unabhängigkeit gefährdet, verstößt gegen die Pflichten, welche ihm nach der Bundesrechtsanwaltsordnung als Organ der Rechtspflege obliegen und zugleich gegen seine Standespflichten". Dem trägt die – nach Insolvenz der Patentinhaberin wohl im Bemühen um einen weiteren Schuldner ergangene – Entscheidung des BGH vom 1. Dezember nicht Rechnung. Es bleibt zu hoffen, dass andere Zivilsenate des BGH ihr die Gefolgschaft verweigern und diese Rechtsprechung nicht fortgesetzt wird. Der Autor Dr. Alexander Weinbeer ist Rechtsanwalt bei bock legal in Frankfurt am Main.

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