Muss gegen rechtsfreie Räume im Darknet vorgegangen werden? Außerdem in der Presseschau: Grundschuld auf NPD-Zentrale ist unbedenklich, die EU-Kommission setzt Polen eine dreimonatige Frist und die Türkei verhaftet Journalisten.
Thema des Tages
Internetkriminalität: Das Bundeskriminalamt (BKA) hat am gestrigen Mittwoch aktuelle Erkenntnisse zu Cyberkriminalität vorgestellt, die die SZ (Christoph Dorner) zusammenfasst. Danach ist eine Abnahme via Internet verübter Straftaten zu beobachten, die Behörde geht jedoch von einer großen Dunkelziffer aus, da viele Taten nicht angezeigt würden.
Von besonderem Interesse ist der Bericht aufgrund der Vermutung, dass der Attentäter von München sich seine Tatwaffe über das Darknet beschafft hat. Das Darknet funktioniert über eine Verschleierung der IP-Adressen durch den Anonymisierungsdienst Tor, so dass Verkäufer und Käufer unerkannt etwa Drogen, Waffen oder gefälschte Dokumente austauschen können. Effektivere Kontrollen bedürften strafrechtlicher- wie strafprozessualer Änderungen, die an das digitale Zeitalter angepasst seien, aber auch mehr geschulter Ermittler, fordern nun die Gegner "rechtsfreier Räume". Gleichzeitig warnen Kritiker, dass das Darknet auch bei legitimen Anliegen Schutz biete, etwa für Dissidenten autoritärer Regime. Hierüber berichten die Welt (Lars-Marten Nagel/Marco Tripmaker) und die FAZ Justus Bender/Timo Frasch (gekürzte Online-Fassung). Das Hbl (Andreas Dörnfelder) befasst sich mit Ermittlungen zum Waffenhandel im Darknet und interviewt hierzu den BKA-Präsidenten Holger Münch.
Reinhard Müller (FAZ) spricht sich für effektive "Gefahrenabwehr und Strafverfolgung in Zeiten, in denen zahlreiche Delikte im Internet zumindest angebahnt werden" aus und meint, "No-Go-Areas darf der Rechtsstaat im Netz so wenig akzeptieren wie im echten Leben". Jonas Jansen (FAZ) informiert über die Cyberwährung Bitcoin, mit der im Darknet gezahlt wird.
Rechtspolitik
Terrorbekämpfung: Darüber, wie terroristische Anschläge finanziert werden, diskutierten die beiden Direktoren des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht, der Kriminologe Hans-Jörg Albrecht, der Strafrechtler Ulrich Sieber und der Bundeskriminalamtsmitarbeiter Sven Kurenbach auf einer Veranstaltung in Freiburg, über die die BadZ (Christian Rath) berichtet. Da der Terrorismus "billig" sei, seien wirksame staatliche Maßnahmen an dieser Stelle schwierig. Weiteres Thema war die Vorfeldkriminalisierung bei Anschlagsplänen, die unterschiedlich bewertet wurde.
Bundeswehr im Inneren: Angesichts der Vorstöße mancher Bundesländer, mittels Grundgesetzänderung den Bundeswehreinsatz im Inneren zur Terrorismusabwehr zu ermöglichen, informiert spiegel.de (Christoph Titz) über deren derzeitigen Befugnisse.
Justiz
BAG zu Fluglotsenstreik: Das Urteil des Bundesarbeitsgericht vom Dienstag, wonach die Gewerkschaft der Flugsicherheit für einen Streik im Februar 2012 Schadensersatz an Fraport zahlen muss, besprechen nun auch ausführlich Rechtsprofessor Robert von Steinau-Steinrück auf lto.de, die FAZ (Dietrich Creutzburg/Hendrik Wieduwilt) und die BadZ (Christian Rath). Wolfang Janisch (SZ) bezeichnet es als einen schwierigen "Balanceakt, die Macht der schlagkräftigen Gewerkschafts-Winzlinge zu beschneiden, ohne ihr Grundrecht auszuhöhlen". Frank Specht (Hbl) sieht einen ersten Schritt auf dem Weg, die "Waffengleichheit" zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern wieder herzustellen.
BVerfG zu NPD-Grundschuld: Die NPD ist vor dem Bundesverfassungsgericht mit ihrem Eilbegehren gescheitert, sich eine Grundschuld rückübereignen zu lassen, die sie als Sicherheit für die Auszahlung von Parteigeldern hatte abtreten müssen. Vor dem Hintergrund des laufenden Verbotsverfahrens hatte die Verwaltung des Deutschen Bundestags die der Partei zustehenden Mittel der staatlichen Teilfinanzierung nur gegen diese Sicherheitsleistung ausgezahlt. Ein schwerwiegender Nachteil drohe der Partei dadurch nicht, entschied nun das oberste Gericht, wie lto.de berichtet. Christian Rath (taz) kritisiert, es würde "die NPD mit machiavellistischen Finanzforderungen auf Trab" gehalten, was rechtsstaatlich fragwürdig sei.
BAG – Kirchenarbeitsrecht: Wie die SZ berichtet, muss das Bundesarbeitsgericht (BAG) am heutigen Donnerstag erneut über die Kündigung eines Chefarztes durch ein katholisches Krankenhaus verhandeln, nachdem ein erstes Urteil des Gerichts Ende 2014 vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) aufgehoben wurde. Dem Arzt war gekündigt worden, weil er nach einer Scheidung neu geheiratet hatte, was von allen Vorinstanzen als unzulässig, vom BVerfG jedoch als vom Sonderrecht der Kirche gedeckt angesehen wurde.
BFH zu Rentenbesteuerung: Der Bundesfinanzhof hat in einem jetzt bekannt gewordenen Urteil aus April eine grundgesetzliche Überprüfung des Alterseinkünftegesetzes, auf dessen Grundlage seit 2005 Rentenerträge steuerpflichtig sind, abgelehnt. Denn das Bundesverfassungsgericht habe hierüber bereits entschieden und dessen Entscheidung Gesetzeskraft, berichtet die FAZ (Hendrik Wieduwilt).
OLG München – NSU: Im Prozess um den NSU hat eine Sachverständige des Bundeskriminalamts mit "an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" den mitangeklagten Holger G. auf einem Urlaubsfoto der mutmaßlichen Terroristen erkannt, wie SZ (Tanjev Schulz) berichtet. Die am Mittwoch im Gerichtssaal gezeigten Bilder bringen nicht nur Holger G. in Bedrängnis, der zum Zeitpunkt des Urlaubs kaum noch Kontakt zu den anderen gehabt haben will. Auch die Aussage der Hauptangeklagten Zschäpe, deren Verhältnis zu den mutmaßlichen Mittätern Mundlos und Böhnhardt angespannt gewesen sein soll, passe hierzu nicht, so spiegel.de (Gisela Friedrichsen).
OLG Stuttgart – Winnenden: Die Mutter des Amokläufers von Winnenden muss für die Tat ihres Sohnes nicht haften, weil ihr keine Aufsichtspflichtverletzung zur Last fällt – dies hatte das Landgericht Stuttgart im August vergangenen Jahres entschieden. Der klagende Sozialversicherungsträger hat nun mangels Erfolgsaussicht seine Berufung zurückgenommen, so dass das Urteil rechtskräftig ist, meldet lto.de.
VG Berlin zu Anti-Terror-Missionen: In einem Eilverfahren hat das Verwaltungsgericht Berlin die Bundesregierung verpflichtet, die rechtlichen Grundlagen für den Anti-IS-Einsatz der Bundeswehr sowie für die Awacs-Mission in der Türkei ausführlicher darzulegen. Es müssten diesbezüglich über sämtliche interne völker- und verfassungsrechtliche Prüfungen vollständig Auskunft erteilt werden, berichtet der Tsp (Jost Müller-Neuhof).
LG Berlin zu Schwarzfahrer: Die Zeit (Ursula März) schildert den Fall eines Rentners, der sich wegen versuchten Totschlags vor dem Landgericht Berlin verantworten musste. Ihm war vorgeworfen worden, einen Fahrkartenkontrolleur vor eine einfahrende S-Bahn gestoßen haben zu wollen, was letztlich nicht bestätigt werden konnte – es erging eine Verurteilung wegen Bedrohung und Beleidigung. Der Prozess habe die derzeit aufgeheizte gesellschaftliche Stimmung widergespiegelt.
Recht in der Welt
Polen/EU-Kommission – Verfassungsreform: Die EU-Kommission hat im sogenannten Rechtsstaatlichkeitsverfahren gegen Polen angeordnet, dass das Land innerhalb von drei Monaten seine umstrittene Verfassungsreform überarbeiten muss. Folgt es dem nicht, drohen Sanktionen bis hin zum Verlust der Stimmrechte. Inhaltlich wird von Polen insbesondere gefordert, dass drei vor der Reform gewählte Verfassungsrichter ihre Arbeit aufnehmen können, sowie die Umsetzung von Gerichtsurteilen, die Teile der Reformgesetze als verfassungswidrig aufhoben. Dies berichtet lto.de.
Türkei – Putsch und Rechtsstaat: Nach dem gescheiterten Militärputsch geht der türkische Präsident Erdogan weiterhin in verschiedenen Bereichen hart gegen vermeintliche Kritiker vot, wie spiegel.de (Hasnain Kazim) zusammenfasst. Insbesondere der Erlass von Haftbefehlen gegen 47 Journalisten und die Schließung von diversen Medienanstalten wird derzeit als Angriff auf die Pressefreiheit scharf kritisiert, berichtet zeit.de. Kurt Kister (SZ) bezeichnet die aktuelle Türkei als "Verhaftungsstaat", worauf die EU reagieren müsse. Vor dem Hintergrund, dass auch die Wiedereinführung der Todesstrafe in der Türkei im Gespräch ist, stellt das Hbl (Hans Christian Müller/Jean-Philippe Ili/André Schorn) grafisch dar, in welchen Ländern die Todesstrafe aktuell vollstreckt wird.
USA – keine Anklage gegen Polizisten: Nach dem Tod des Schwarzen Freddie Gray im Polizeigewahrsam hat die Staatsanwaltschaft die Anklage gegen alle beschuldigten Polizisten fallengelassen, meldet spiegel.de.
Italien – Verfassungsreform: Unter dem Titel "Vote Yes for a Safe Italy" or "Vote No to Defend the Constitution": Italian Constitutional Politics between Majoritarianism and Civil Resistance" befasst sich Soziologieprofessor Paul Blokker auf verfassungsblog.de in englischer Sprache mit den seit 2013 vorangetriebenen Verfassungsreformen in Italien.
USA – Solarworld: Ein US-Gericht hat den Bonner Photovoltaikkonzern Solarworld verurteilt, an einen ehemaligen Lieferanten wegen nicht erfüllter Abnahmeverträge umgerechnet mehr als 720 Millionen Euro Schadenersatz zu zahlen, berichtet lto.de. Das Hbl (Franz Hubik) interviewt Konzern-Chef Frank Asbeck, der das Urteil als "absurd" bezeichnet.
Sonstiges
Tiertötung: Anlässlich der aktuellen obergerichtlichen Rechtsprechung, die die Zulässigkeit des Tötens von Eintagsküken bestätigt, schreibt die wissenschaftliche Mitarbeiterin Tatjana Visak auf juwiss.de zu tierethischen Fragestellungen der derzeitigen Lebensmittelproduktion: Schadet der Tod dem Küken? Aufgrund welcher theoretischen Grundlagen kann das Übel eines Todes bewertet werden?
K.O.-Tropfen: Der SWR RadioReport Recht (Gigi Deppe) beschäftigt sich mit Fällen, in denen Betroffenen K.O.-Tropfen verabreicht wurden, oft mit dem Ziel sexueller Übergriffe, und wie Anwälte und Ermittlungsbehörden damit umgehen.
Drohnen: Die Zeit (Eva Wolfangel) schreibt, dass die rechtlichen Regelungen zu unbemannten Drohnen aktuell sehr unübersichtlich sind. Gegen einen Gesetzentwurf, der strengere Vorschriften einführen soll, wehren sich derzeit Hobby-Nutzer – es gebe jedoch auch Missbrauch der Fluggeräte, etwa durch Drogenschmuggel in Gefängnisse.
Das Letzte zum Schluss
Schlechtes Timing: Ein 16-Jähriger brach in eine Wohnung ein und stahl der schlafenden Besitzerin ihr Handy. Völlig erschöpft von diesem Akt schlief er dann aber direkt im nächsten Hauseingang ein. Zu seinem Pech wurde die Bestohlene wach, suchte ihr Telefon und fand es auch, als dessen Wecker in der Hosentasche des Diebes klingelte. Es folgte eine in die Geschichte passende Verfolgung, an deren Ende der Täter festgenommen wurde, berichtet justillion (Andreas Stephan).
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/lil
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 28. Juli 2016: Licht ins Darknet? / NPD-Zentrale bleibt belastet / Polen hat Rechtsstaatsdefizit . In: Legal Tribune Online, 28.07.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20107/ (abgerufen am: 04.05.2024 )
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