Bundesinnenminister Friedrich hat mit der Forderung nach dem Ende der Anonymität im Internet eine netzpolitische Debatte ausgelöst. Mit "offenem Visier" treten ihm nun mehrere Kommentatoren entgegen. Außerdem in der Presseschau: Kein Geld für Gäfgen, europarechtswidrige Sprachtests, anwaltlicher Betrug, Timoschenko in Untersuchungshaft und vieles andere.
Anonymität im Netz: Als "Lehre" aus den Anschläge in Norwegen fragt Bundesinnenminister Friedrich (CSU) im Interview mit dem Spiegel, warum "anonyme Blogger ihre wahre Identität nicht offenbaren" müssen und fordert, auch im Internet solle man "mit offenem Visier" für seine Meinung einstehen; "die Grundsätze unserer Rechtsordnung" müssten "auch im Netz gelten". Eine Zusammenfassung des Interviews findet sich auch auf spiegel.de. Die FR (Karl Doemens) berichtet von Kritik seitens der Grünen und der SPD. Dass Radikalisierung auf Anonymität beruhe, sei eine gewagte These; zudem sei eine Identifikationspflicht nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Die FTD (Timo Pache) erwartet Kritik auch vom Koalitionspartner FDP.
Lawblog-Blogger Udo Vetter tritt Friedrich auf dem ZDF-Blog Hyperland entgegen und hebt die wichtige Funktion von Anonymität für die Verbreitung gesellschaftskritischer Informationen hervor. Weiterhin verweist er auf die bereits bestehende Impressumspflicht für Blogger und darauf, dass eine allgemeine "Klarnamenpflicht" eine massive Überwachung des Internets erforderte – und gegenüber Kriminellen ohnehin nichts nütze, sondern nur "wieder ein Teil unserer verbliebenen Freiheit" zerstöre.
Stefan Plöchinger (sueddeutsche.de) pflichtet dem bei, bezweifelt den Nutzen der Forderung für die Sicherheitsdienste und verweist auf den Zusammenhang mit der Meinungsfreiheit.
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Stuttgart 21: Die Montags-FAZ (Rüdiger Soldt) beschäftigt sich mit der Verfassungsmäßigkeit der geplanten Volksabstimmung über einen Ausstieg aus dem Bahnhofsprojekt Stuttgart 21. Laut Verfassungs- und Zivilrechtlern sehe das Ausstiegsgesetz der Landesregierung die Abstimmung über ein Kündigungsrecht vor, das es gar nicht gebe. Insbesondere stellten weitere Kostensteigerungen noch keinen "Wegfall der Geschäftsgrundlage" dar. Außerdem werde möglicherweise ins Haushaltsrecht des Parlaments eingegriffen, weil Volksabstimmungen über haushaltsrechtliche Fragen von der Landesverfassung ausgeschlossen seien.
Cannabis-Legalisierung: Andreas Paul (lto.de) nimmt die samstägliche "Hanf-Parade" in Berlin zum Anlass, eine Freigabe von Cannabis zu fordern. Letztlich handele es sich um eine "verhältnismäßig harmlose Form der Selbstschädigung"; ein staatliches Verbot sei eine "Bevormundung freier Bürger".
Neues Widerrufsrecht: Die Montags-SZ (Andreas Jalsovec) stellt das seit vergangener Woche geltende neue Widerrufsrecht für den Handel im Internet vor. Händler hätten bei Rückgabe keinen Anspruch auf Wertersatz, wenn die Kunden die Ware nur auf ihre "Eigenschaften und Funktionsweise" testen.
Weitere Themen – Justiz
Gäfgen-Prozess: Wie die Samstags-SZ (mawi) berichtet, erhält der verurteilte Mörder Magnus Gäfgen das ihm zugesprochene Schmerzensgeld wegen der Folter-Androhung nicht ausbezahlt. Es werde mit den Prozesskosten-Schulden aus seinem Strafprozess verrechnet.
Reinhard Müller fragt in der Samstags-FAZ danach, ob der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte "schuld" daran sei, dass das Schmerzensgeld überhaupt zugesprochen wurde. Er spekuliert, dass das Landgericht ohne die deutlichen Worte des Gerichtshofs in einem vorangegangenen Urteil wohl von einer Entschädigung in Geld abgesehen hätte.
In einem Interview mit der Samstags-taz (Christian Rath) bezeichnet Gäfgens Anwalt das Urteil hingegen als "wichtiges präventives Signal". Während Gisela Friedrichsen das Urteil im Spiegel als "unmenschlich" bewertet, verteidigt es Ulrich Gutmair in der Samstags-taz – es werde "der Sache, so gut es eben geht, gerecht".
Sprachtests: Die EU-Kommission hält verpflichtende Sprachtests für nachziehende Ehegatten für europarechtswidrig, so die Montags-taz (Christian Rath). Solche Regelungen verstießen gegen die EU-Richtlinie zur Familienzusammenführung. Davon seien entgegen der Ansicht der Bundesregierung auch die in Deutschland für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vorgesehenen Sprachtests betroffen.
In einem Kommentar bewertet Christian Rath (Montags-taz) die Tests als "unnütze Schikane" – sie seien lästig, brächten wenig und signalisierten insbesondere türkischen Einwanderern, sie seien "Einwanderer zweiter Klasse". So wirke man kräftig an der Schaffung "sogenannter Integrationsprobleme" mit.
Operation gegen Spenden: Die Verurteilung des Essener "Star-Chirurgen" Christoph Broelsch ist rechtskräftig, meldet die Samstags-FAZ und lto.de. Er sei mit einer Revision beim Bundesgerichtshof gescheitert und rechtskräftig wegen Steuerhinterziehung, Bestechlichkeit, Nötigung und Betrug verurteilt worden. Der Arzt habe für Behandlungen "freiwillige Spenden" an die Uniklinik Essen gefordert.
Heimkinder: Wie die Samstags-SZ (Matthias Drobinski) berichtet, hat das Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde ehemaliger Heimkinder gegen den vom Bundestag beschlossenen Entschädigungsfonds zur Entscheidung angenommen. Sie wollten ihr Leiden als Menschenrechtsverletzung anerkannt wissen und forderten Entschädigungen.
Zwist am BGH: Die Samstags-SZ (Wolfgang Janisch) porträtiert den Strafrechtler Thomas Fischer. Der Richter am Bundesgerichtshof habe sich um einen Senatsvorsitz beworben; dies werde vom amtierenden Präsidenten Klaus Tolksdorf jedoch blockiert. Fischer werde teils überzogene Schärfe bei Beratungen vorgeworfen. Die "fachliche Ausnahmeerscheinung" ziehe nun wohl vor das Verwaltungsgericht.
Betrug durch Anwälte: Wie die Montags-FAZ (Joachim Jahn) berichtet, hat das Oberlandesgericht Düsseldorf Anwaltskanzleien systematische Gebührenmanipulation in Wettbewerbsfällen vorgeworfen. Der verhandelnde Senat vermutet eine "beinahe regelmäßige Praxis" von Parteivertretern, sich auf zu niedrige Streitwerte zu einigen, um Gerichtskosten zu sparen. Dies eröffne den Kanzleien dann größeren Spielraum bei den Verhandlungen über ihre eigenen Honorare.
Gleichbehandlung: Die FAS (Melanie Amann) präsentiert zum fünfjährigen Jubiläum des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes einen bunten Überblick zu einschlägigen Gerichtsentscheidungen.
Unterhaltsrecht: Britta Sandberg greift im Spiegel nochmals das Urteil des Bundesgerichtshofs zum Unterhaltsrecht auf. Das Urteil sei Teil einer "stillen Revolution", die das Lebensmodell genau der Männer in Frage stelle, die sich über das Urteil zunächst freuen könnten. Allerdings erfordere diese Revolution die Kooperation künftiger Väter sowie Anstrengungen in Politik und Unternehmen für eine bessere Vereinbarkeit von Kindern und Beruf.
Dagegen fordert die die bayerische Justizministerin Beate Merk (CSU) laut der Welt das genaue Gegenteil – nämlich eine Abänderung des Unterhaltsrechts. Alles andere sei Gesellschaftspolitik "auf dem Rücken des einzelnen Kindes".
Weitere Themen – Recht in der Welt
Timoschenko-Prozess: Die ehemalige ukrainische Regierungschefin Julia Timoschenko sitzt seit Freitag in Untersuchungshaft, das berichtet unter anderem die Samstags-SZ (Thomas Urban). Der Richter habe die Haft mit der mehrmaligen Störung des Prozesses durch die wegen Amtsmissbrauchs Angeklagte begründet. Grundlage des Prozesses sei ein Gesetz aus Sowjet-Zeiten, das "schlechtes Regieren" unter Strafe stelle. Konkret werde Timoschenko vorgeworfen, Gelder im Haushalt umgeleitet und einen nachteiligen Gasvertrag mit Russland geschlossen zu haben.
Wie die Montags-FAZ (Konrad Schuller) berichtet, erwägt die EU eine scharfe Reaktion auf die Festnahme. Sie steht in Verhandlungen über ein Freihandels- und Assoziationsabkommen mit der Ukraine. In der Montags-SZ (Thomas Urban) wird von scharfer Kritik verschiedener westlicher Staaten berichtet. Staatsminister Hoyer (FDP) wird mit dem Verdacht "politisch motivierter Justiz" zitiert.
In einem Kommentar bezeichnet Konrad Schuller in der Montags-FAZ die Festnahme als "durch nichts zu rechtfertigen", auch wenn Timoschenko keine "Musterangeklagte" sei. Thomas Urban bezeichnet den Prozess in der Montags-SZ als "grotesk" – es handele sich um "einen klaren Fall von Willkürjustiz". Ein Porträt der "Kämpferin" Timoschenko liefert die FAS (Konrad Schuller).
Ungarn: Max Steinbeis (verfassungsblog.de) kritisiert die Pläne, rückwirkend ein strafrechtliches Verbot der exzessiven Staatsverschuldung zu schaffen, um ehemalige Ministerpräsidenten vor Gericht stellen zu können. Angesichts solcher Vorhaben sei es Zeit, "die Handschuhe auszuziehen".
lto/thd
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Die juristische Presseschau vom 6. bis 8. August 2011: . In: Legal Tribune Online, 08.08.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/3959 (abgerufen am: 11.12.2024 )
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