Heiko Maas fordert ein Unternehmensstrafrecht. Außerdem in der Presseschau: Es beginnt der Prozess gegen ein islamistisches Rekrutierungsnetzwerk und der UN-Beauftragte für Meinungsfreiheit will sich prozessual zum Fall Deniz Yücel äußern.
Thema des Tages
Maas fordert Unternehmensstrafrecht: In einem Gastbeitrag in der Samstags-Welt spricht sich Bundesjustizminister Heiko Maas dafür aus, Unternehmen bei Fehlverhalten stärker in die Verantwortung zu nehmen. Wenn Betrug am Kunden, Korruption oder Umweltdelikte nicht das Werk einzelner seien, sondern das Unrecht System habe, sollte auch das Unternehmen insgesamt belangt werden, statt nur einzelne Personen, die bloß Rädchen in einem großen Getriebe seien, meint der Minister unter Bezugnahme auf den VW-Skandal.
Rechtspolitik
Änderung des Landesverratsparagrafen: Die Montags-taz (Christian Rath) erinnert an die Pläne von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD), der den Landesverratstatbestand überprüfen wollte. Hintergrund waren die Verfahren gegen zwei Blogger von "netzpolitik.org", die über vorgesehene Massendatenauswertungen durch das Bundesamt für Verfassungsschutz berichtet hatten. Zwar kann seit einer Gesetzesänderung die Veröffentlichung geheimer Papiere durch Journalisten nicht mehr als "Verletzung von Dienstgeheimnissen" geahndet werden, eine Strafverfolgung wegen Landesverrates droht Journalisten aber weiterhin. Ein Ansatz der Reformüberlegungen war, eine Strafverfolgung von der Ermächtigung der Bundesregierung abhängig zu machen.
Christian Rath warnt in seinem Artikel vor einer solchen Lösung. Beim Schutz der Presse vor übermäßiger Strafverfolgung gerade auf die politische Gnade der Exekutive zu setzen, klinge nicht sehr vertrauenerweckend. Nötig sei vielmehr eine gesetzliche Klarstellung, dass Vorgänge von öffentlichem Interesse in der Demokratie generell keine Staatsgeheimnisse sein könnten.
Wahlrecht bei Betreuung: lto.de (Annelie Kaufmann) widmet sich dem Ausschluss vom Wahlrecht, das für Menschen gilt, für die eine Betreuung in allen Angelegenheiten angeordnet wurde. Laut einer Studie des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales betrifft das 84.000 Personen. Beim Bundesverfassungsgericht sind Wahlprüfungsbeschwerden anhängig, die nach der Bundestagswahl von 2013 von acht Betroffenen mit Unterstützung der Bundesvereinigung Lebenshilfe sowie des Bundesverbands Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie eingereicht wurden. Die Verbände hoffen auf eine Entscheidung noch in diesem Jahr, so dass genügend Zeit für eine Rechtsänderung zur Bundestagswahl 2021 bleibt.
EU – Parteienfinanzierung: Die EU-Kommission will laut einer Meldung von lto.de die Parteienfinanzierung auf europäischer Ebene ändern, um Missbrauchsmöglichkeiten besser als bisher auszuschließen. Dabei soll u.a. der Anteil der nach Stimmenanteil vergebenen Finanzmittel deutlich steigen – von derzeit 85 auf künftig 95 Prozent.
EU – Handelsabkommen: Gemischte Freihandelsverträge, solche also, die sowohl in den Kompetenzbereich der EU als auch den der Mitgliedstaaten fallen, sollen künftig nicht mehr gemeinsam von der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten als jeweils eigenständige Vertragsparteien geschlossen werden. Vielmehr sollen laut der Rede des Kommissionspräsidenten Juncker zur Lage der Union solche Verträge je nach Zuständigkeit getrennt werden – in einen Teil, der ausschließlich von der EU geschlossen werden kann und in einen Rumpfvertrag, bei dem neben der Union auch die Mitgliedstaaten zustimmen müssen. Der Wissenschaftliche Mitarbeiter Michael Zornow befasst sich auf verfassungsblog.de mit dem Paradigmenwechsel, der mit einer solchen Änderung seiner Ansicht nach verbunden wäre. Der Autor befürchtet eine Schieflage der bestehenden Kompetenzordnung und fordert Bundesverfassungsgericht, Bundesregierung und die Länder auf, eine Kurskorrektur anzustoßen.
Justiz
Anstieg gerichtlicher Asylverfahren: Wie die Montags-SZ (Jan Bielicki) berichtet, ist die Zahl der Asylklagen in der ersten Hälfte dieses Jahres dramatisch angestiegen. Mitte Juli seien bei den Verwaltungsgerichten mehr als 283.000 Asylverfahren anhängig gewesen.
OLG Celle – Verfahren gegen Abu Walaa: Vor dem Oberlandesgericht Celle beginnt in wenigen Tagen das Verfahren gegen Abu Walaa und vier mutmaßliche Komplizen. Der Generalbundesanwalt ist sich sicher, dass es sich bei Walaa um den Kopf eines Rekrutierungsnetzwerks handelt, das junge Männer radikalisierte und dem "Islamischen Staat" (IS) als Kämpfer zuführte. Die Ermittler halten ihn sogar für den "Deutschland-Repräsentanten" des "Islamischen Staates", für einen Prediger des Dschihad und Paten des Terrors. Der Spiegel (Jörg Diehl/Martin Knobbe u.a.) gibt einen ausführlichen Überblick über die Ermittlungsergebnisse.
LG Freiburg – Verfahren gegen Hussein K.: Die FAS (Rüdiger Soldt) berichtet über den Prozess gegen Hussein K., dem vorgeworfen wird, vor einem knappen Jahr eine junge Frau erwürgt, vergewaltigt und getötet zu haben.
EuGH – Scheidung nach Scharia-Recht: Auf lto.de befasst sich Karin Susanne Delerue mit den Schlussanträgen von Generalanwalt Henrik Saugmandsgaard Øe im Verfahren Sahyouni/Mamisch. Der Generalanwalt ist der Auffassung, dass die Rom-III-Verordnung auf Privatscheidungen nicht anwendbar sei, eine solche Scheidung aber jedenfalls die Frau diskriminiere.
Jost Müller-Neuhof (Tsp) meint, dass der Gerichtshof dem Generalanwalt nicht folgen sollte. Denn sonst müssten europäische Gerichte, statt auf den Einzelfall zu achten, wie es bisher möglich war, Talaq-Scheidungen künftig unterschiedslos ignorieren. Die Stärke des europäischen Rechts sei es doch, dass es integriere, statt zu spalten; dass es Respekt vor anderen Kulturen zeige, Interessen ausgleiche und den Einzelfall achte. Europa vertrete seine Werte, nach innen, nach außen – aber setze sie nicht absolut, so Müller-Neuhof.
StA Dessau-Roßlau – Anzeige wegen Wählerbestechung: Wie lto.de berichtet, hat der Kreiswahlleiter des Wahlkreises Dessau-Wittenberg einen FDP-Kandidaten wegen Wählerbestechung angezeigt. Jörg Schnurre hatte Flyer an Erstwähler verteilt, auf denen er jedem zwei Euro versprach, wenn er in den Bundestag gewählt wird. Nach heftiger Kritik hatte der 37-Jährige die Aktion abgebrochen und nach eigenen Angaben eine Selbstanzeige bei der Staatsanwaltschaft gestellt.
BVerfG – Parteienfinanzierung: Die NPD hat beim Bundesverfassungsgericht einen Antrag auf Fortsetzung der finanziellen Förderung gestellt. Das meldet der Spiegel (Dietmar Hipp, Sven Röbel). Der Antrag richtet sich gegen die im Juni vom Bundestag beschlossene Änderung des Grundgesetzes, nach der verfassungsfeindlichen Parteien die Unterstützung entzogen werden kann.
ArbG Köln zu Befristungen bei Foodora: Wie der Spiegel (Ann-Kathrin Nezik) meldet, hat eine Mitarbeiterin der Lieferkette Foodora erfolgreich vor dem Arbeitsgericht Köln auf Entfristung ihres Arbeitsvertrags geklagt. In einem weiteren Verfahren einigten sich die Arbeitnehmerin und das Unternehmen außergerichtlich auf eine Entfristung. Foodora stehe, so heißt es im Artikel, seit längerem wegen der Arbeitsbedingungen der Auslieferer in der Kritik.
LG Köln – Prozess gegen Milli-Görüs-Funktionäre: Heute beginnt vor dem Landgericht Köln der Prozess gegen drei ehemalige Verantwortliche und zwei Mitarbeiter der Islamischen Gemeinschaft Milli Görus wegen Steuerhinterziehung und Betruges. Die Montags-FAZ (Alexander Haneke) erläutert die Anklagevorwürfe.
OLG Celle zur Werbung durch Influenzer: Anhand der Entscheidung des Oberlandesgerichtes Celle zur Kennzeichnungspflicht eines werblichen Beitrages auf Instagram erläutert Rechtsanwalt Martin Gerecke auf lto.de den rechtlichen Rahmen für Werbung durch sogenannte Influenzer in sozialen Medien. Die Kennzeichnung im Influencer-Marketing müsse danach stets deutlich und so erfolgen, dass der kommerzielle Zweck des Posts auf den ersten Blick erkennbar sei. Mit Hashtags wie "#ad", "#spon" oder "#sponsoredby", die am Ende des Beitrags unter mehreren Hashtags versteckt würden, sei diese Anforderung nicht mehr erfüllt.
Recht in der Welt
EuGH zur Umverteilung von Flüchtlingen: Rechtsprofessor Martin Nettesheim kritisiert auf verfassungsblog.de die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes zur Flüchtlingsquote. Der Autor meint, dass der EuGH in dem Bemühen, der Politik effizientes und sicherlich auch weithin gefälliges Handeln zu ermöglichen, schwere Legitimationsprobleme hinnehme. Mit der Überlagerung der im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren erlassenen Dublin-Regelungen durch ein anderes System – jenem der "solidarischen" und gleichen Verteilung – hätten die Bemühungen der EU, sich zu einem Verband zu entwickeln, der von der Herrschaft des parlamentarisch gebilligten Rechts getragen werde, einen schweren Rückschritt erlitten.
Spanien – Unabhängigkeitsabstimmung in Katalonien: Rechtsprofessor José Luis Martí zeichnet auf verfassungsblog.de den bisherigen Weg hin zu einer Abstimmung über die katalanische Unabhängigkeit nach. Angesichts der immensen Bedeutung der Abstimmung meint der Autor, dass hier eine deutlich breitere gesellschaftliche Mehrheit erforderlich gewesen wäre. Die nächsten Wochen könnten einen einmaligen Umbruch in der Verfassungsgeschichte bringen, die Welt und insbesondere die europäischen Staaten sollten daher genau hinschauen, was hier passiere.
EGMR – Deniz Yücel: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat einem Bericht der Samstags-Welt (Danie-Dylan Böhmer) zufolge den Antrag des UN-Beauftragten für die Meinungsfreiheit David Kaye angenommen, eine Stellungnahme im Verfahren um die Beschwerde des in der Türkei inhaftierten Journalisten Deniz Yücel abzugeben. Zuvor hatten bereits der Menschenrechtskommissar des Europarates Nils Muižnieks sowie mehrere internationale Menschenrechtsorganisationen und auch die Bundesregierung angekündigt, Stellung zu nehmen.
Tunesien – Reform im Eherecht: In Tunesien trat vor wenigen Tagen eine Rechtsänderung in Kraft, die es Frauen künftig erlaubt, ihren Ehepartner ohne rechtliche Einschränkung frei zu wählen. Nach einem entsprechenden Bericht der Montags-FAZ (Christian Rößler) war es muslimischen Frauen bisher verboten, nichtmuslimische Männer aus dem Ausland zu heiraten. Bereits Ende Juli hatte dem Beitrag zufolge Tunesien ein Gesetz verabschiedet, das Frauen umfassend vor jeglicher Art von Gewalt schützt.
Juristische Ausbildung
Justizunrecht als Pflichtfach: Die Montags-SZ (Ronen Steinke) berichtet von einer Arbeitsgruppe, die seit einigen Monaten darüber berät, ob das Fach "Deutsches Justizunrecht des 20. Jahrhunderts" künftig zum abprüfbaren Pflichtkanon in der Juristenausbildung gehören soll. Nicht alle Teilnehmer sprachen sich dafür aus, teilweise wurde angesichts des ohnehin bereits umfangreichen Lehr- und Lernstoffes Skepsis geäußert.
Sonstiges
Legal Tech: Constantin Baron van Lijnden meint auf lto.de, dass der technische Fortschritt das Potential habe, die Rechtsberatungsbranche fundamental zu verändern. Legal Tech sei nicht erst in den letzten Jahren entstanden, bereits vor dreißig Jahren gab es Ansätze, von denen der Autor einige beispielhaft erläutert. Angesichts der Zahl der in der Vergangenheit gescheiterten Legal-Tech-Anwendungen warnt er allerdings vor allzu hoch gesteckten Erwartungen.
Whistleblowing: In der FAS beschreibt Rechtsanwalt Norbert Pflüger den arbeitsrechtlichen Rahmen des Whistleblowings. Entschließe sich ein Arbeitnehmer, seinen Arbeitgeber wegen rechtswidrigen Verhaltens anzuzeigen, bewege er sich in einer rechtlichen Unsicherheitszone, was seine eigene arbeitsrechtliche Position betrifft, denn grundsätzlich lasse das deutsche Arbeitsrecht eine Kündigung von Whistleblowern zu.
AGB beim Onlinehandel: Die Montags-FAZ (Marcus Jung) befasst sich mit den Tücken des Kleingedruckten beim Onlinehandel. Kunden würden häufig bedenkenlos den Allgemeinen Geschäftsbedingungen zustimmen, ohne sie auch nur ansatzweise gelesen zu haben. Und wenn Verbraucher dann doch einmal am Computerbildschirm überhaupt zum Lesen kämen, scheiterten viele an den komplizierten, überbordenden Formulierungen.
Legal Tech – "Abfindungsheld": Professor Markus Stoffels (community.beck.de) stellt eine neue Legal-Tech-Plattform unter dem Namen "abfindungsheld.de" vor. Das Angebot richtet sich an Arbeitnehmer, denen gekündigt worden ist. Das Portal bietet betroffenen Arbeitnehmer eine Sofortabfindung von bis zu 25.000 Euro innerhalb von 24 Stunden an. Auf der Internetseite von "abfindungsheld.de" sollen gekündigte Arbeitnehmer schnell und kostenlos testen, ob ihnen eine Abfindung zustehe und wie hoch diese voraussichtlich ausfalle.
Das Letzte zum Schluss
Der Keks des Anstoßes: Wer darf sich mit dem Namen des Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz schmücken? Der Keks aus den Bahlsener Werkhallen oder die Souvenirs der gleichnamigen Universität in Hannover? Der Streit ist jetzt beim Landgericht Hamburg angekommen, berichtet lto.de. Stein des Anstoßes ist dem Artikel zufolge vor allem, dass der Souvenirladen der Universität nicht nur Shirts und Hefte mit dem aufgedruckten Hochschul-Logo vertreibt, sondern auch "Leibniz Sekt" oder "Leibniz Tee". Die Bahlsen-Gruppe sieht hier eine Verwechslungsgefahr mit ihrer Marke Leibniz, die sie schon 1897 hatte schützen lassen.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/pf
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 16. bis 18. September 2017: Maas für Unternehmensstrafrecht / Prozessauftakt Abu Walaa / UN-Beauftragter zu Deniz Yücel . In: Legal Tribune Online, 18.09.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24565/ (abgerufen am: 06.05.2024 )
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