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BVerfG zu europäischem Corona-Aufbaufonds: Deut­sch­lands Betei­li­gung an EU-Schulden ver­fas­sungs­kon­form

06.12.2022

Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe

Die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages sei durch die Beteiligung Deutschlands nicht beeinträchtigt, so das BVerfG. Foto: picture alliance/dpa | Uli Deck

Deutschland darf sich an dem milliardenschweren Corona-Aufbaufonds der EU beteiligen. Das BVerfG wies zwei Verfassungsbeschwerden gegen das Gesetz zurück, mit dem der Bundestag der deutschen Beteiligung zustimmte. Ein Sondervotum überrascht.

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Mit mehreren Hundert Milliarden Euro aus gemeinsamen Schulden will die EU nach der Pandemie die Mitgliedstaaten unterstützen. Kritiker haben in Deutschland das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eingeschaltet. Die Richterinnen und Richter sind nun zu einem Urteil gekommen.

Deutschland darf sich nach einem Urteil des BVerfG (Az. Urt. v. 6. 12.2022, BvR 547/21) am milliardenschweren Corona-Aufbaufonds der EU beteiligen. Der Zweite Senat des höchsten deutschen Gerichts wies am Dienstag in Karlsruhe zwei Verfassungsbeschwerden gegen das Eigenmittelbeschluss-Ratifizierungsgesetz (ERatG) zurück, mit dem der Bundestag im vergangenen Jahr einer deutschen Beteiligung zugestimmt hatte.

Das ERatG verletze die Beschwerdeführer nicht in ihrem Recht auf demokratische Selbstbestimmung, weil der Eigenmittelbeschluss 2020 jedenfalls keine offensichtliche Überschreitung des geltenden Integrationsprogramms der Europäischen Union darstelle, so das BVerfG. Auch sei die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages durch die Beteiligung nicht beeinträchtigt. Die Entscheidung erging mit 6:1 Stimmen.

Sondervotum von Richter Müller

Der frühere CDU-Ministerpräsident des Saarlandes, BVR Peter Müller, gab ein Sondervotum ab. In diesem kritisierte er die Senatsmehrheit deutlich: "Den Vorhang zu und alle Fragen offen scheint mir keine geeignete Maxime zum effektiven Schutz des grundrechtsgleichen Rechts auf Demokratie aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG zu sein.", so Müller.

Die Senatsmehrheit lasse in ihrer Entscheidung nahezu alle relevanten unionsrechtlichen Fragen unbeantwortet, verweigere den Dialog der europäischen Verfassungsgerichte, nehme eine Verletzung der Integrationsverantwortung in Kauf und deute einen Rückzug des Senats aus der materiellen Ultra-vires-Kontrolle an. Daher, so Müller, habe er sich "zu seinem Bedauern" außerstande gesehen, die Entscheidung des Senats mitzutragen.

750 Milliarden Euro Schulden

Das Aufbauprogramm mit dem Namen "Next Generation EU" soll den EU-Staaten helfen, nach der Pandemie wieder auf die Beine zu kommen. Dafür macht die EU-Kommission erstmals im großen Stil Schulden. Es geht um ein Volumen von 750 Milliarden Euro zu Preisen von 2018. Berücksichtigt man die Inflation, sind das inzwischen mehr als 800 Milliarden Euro. Einen Teil des Geldes bekommen die Länder als Zuschüsse, die nicht zurückgezahlt werden müssen, den Rest als Darlehen. Ende 2058 sollen die Schulden spätestens beglichen sein.

Die größten Summen gehen an besonders hart getroffene Länder wie Italien und Spanien. Deutschland rechnete mit Zuschüssen von fast 26 Milliarden Euro netto. Das Geld soll etwa in Wasserstoff-Forschung, klimafreundliche Mobilität und ein digitaleres Bildungssystem fließen. Wiederum ist Deutschland laut Bundesrechnungshof mit voraussichtlich rund 65 Milliarden Euro größter Nettozahler. Die Behörde hatte von einer "Zäsur für die europäische Finanzarchitektur" gesprochen und vor Risiken für den Bundeshaushalt gewarnt.

Kläger besorgt um Finanzbelastung Deutschlands

Die Kläger, darunter ein Bündnis um AfD-Gründer Bernd Lucke, argumentierten ähnlich: Sie befürchten, dass am Ende womöglich Deutschland die Rechnung allein begleichen muss, sollten Staaten ihren Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommen. Es drohe über Jahrzehnte ein unkalkulierbarer Schuldensog. Außerdem habe das Programm keine Grundlage in den europäischen Verträgen.

Die Bundesregierung hatte die gemeinsame Schuldenaufnahme für den Wiederaufbaufonds in der mündlichen Verhandlung vor einigen Monaten verteidigt. Ein entschlossenes gemeinsames Handeln der Mitgliedstaaten sei in der damaligen Situation – im vom Lockdown geprägten Frühjahr 2020 – notwendig gewesen.

Die Verfassungsrichterinnen und -richter hatten im April 2021 die deutsche Beteiligung im Eilverfahren ermöglicht. Denn ein Stopp hätte wirtschaftlich und politisch viel Schaden angerichtet. Allerdings räumten sie ein, dass die Möglichkeit eines Verfassungsverstoßes durchaus im Raum stand. Das wurde nun im Hauptverfahren geprüft.


ku/LTO-Redaktion

Mit Material der dpa

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BVerfG zu europäischem Corona-Aufbaufonds: . In: Legal Tribune Online, 06.12.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50381 (abgerufen am: 09.11.2025 )

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