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BVerfG verhandelt über Fixierung in psychiatrischer Unterbringung: Gibt es Frei­heits­ent­zie­hung in der Frei­heits­ent­zie­hung?

30.01.2018

Fixierung eines Patienten

© xy - stock.adobe.com

Das BVerfG verhandelte am Dienstag über die Verfassungsbeschwerden zweier Männer, die innerhalb einer psychiatrischen Unterbringung fixiert worden waren. Dabei steht der Umgang mit psychisch kranken Patienten generell in Frage.

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Nicht einmal seinen Kopf konnte der Mann noch bewegen, dessen Verfassungsbeschwerde nun am Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zur Entscheidung liegt (Az. 2 BvR 502/16). Mittels einer Sieben-Punkt-Fixierung, also der Fesselung an das Krankenbett an beiden Armen, beiden Beinen sowie um Bauch, Brust und Stirn war er während eines zwölfstündigen Psychiatrieaufenthalts rund acht Stunden lang ruhig gestellt worden. Hierfür verlangte er Schmerzensgeld vom Freistaat Bayern, dessen Bayerisches Unterbringungsgesetz (BayUnterbrG) keine spezifische Ermächtigungsgrundlage für Fixierungen enthält. 

Der zweite Beschwerdeführer, um dessen Fall es am Dienstag in Karlsruhe ebenfalls ging, wurde seinerzeit mit einer Fünf-Punkt-Fixierung versehen, Grundlage war wie im ersten Fall eine ärztliche Anordnung - nicht etwa die eines Richters (Az. 2 BvR 309/15). Er wendet sich unmittelbar gegen die Anordnung der Fixierung und die Rechtsgrundlage im baden-württembergischen Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (PsychKHG BW).

In dieser Behandlung sehen die beiden Männer und ihre Vertreter eine Verletzung ihres Grundrechts auf Freiheit der Person aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 und 3 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 und 2 Grundgesetz (GG). Die Fixierung unterliege als freiheitsentziehende Maßnahme einem Richtervorbehalt, argumentieren sie. Der Anforderung, dass nur ein Richter über einen Freiheitsentzug entscheiden dürfe, genügten die für die Anordnung der Fixierung jeweils herangezogenen Rechtsgrundlagen nicht. Schließlich seien besondere Anforderungen an die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage und die Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu stellen.

Voßkuhle: Fixierung nur in besonderen Fällen

Zwar verfügt jedes Land über eigene Rechtsgrundlagen für die Unterbringung von psychisch kranken Personen, was die Situation etwas unübersichtlich macht. Dennoch geht es im Kern um die gleiche Frage: Braucht es für die Fixierung innerhalb der Psychiatrie eine richterliche Anordnung?

Gerichtspräsident Prof. Dr. Andreas Voßkuhle bekräftigte zu Beginn der Verhandlung noch einmal die überragende Rolle der grundrechtlichen Freiheitsgarantie und verwies auf die Schwere des Eingriffs, den eine Fixierung darstelle. Diese Art der Freiheitsentziehung sei nur in besonderen Fällen gerechtfertigt. Richterin Doris König nannte die Zahl von 17.600 Fixierungen binnen eines Jahres allein in Baden-Württemberg. Diese Maßnahme sei 2016 bei 5.300 Patienten angewendet worden.

Im Einzelfall kann eine Fixierung nötig sein. Darüber stritten sich die Experten, die am Dienstag bei der Verhandlung in Karlsruhe auftraten, nicht. So beschrieb der Ärztliche Direktor des Isar-Amper-Klinikums in München, Peter Brieger, den typischen Fall eines Patienten, der bereits fixiert von der Polizei in eine Klinik gebracht wird - weil er etwa Drogen wie Christal Meth genommen hat.

Arzt: Mehr Personal könnte gefährliche Situationen verhindern

"Die sind aggressiv und entfesselt", berichtete Brieger. Das habe es so vor zehn Jahren noch nicht gegeben. Solche Patienten müssten fixiert werden. "Wenn ich eine Notsituation habe, habe ich keine Zeit zu warten", betonte Brieger. Wo solle mitten in der Nacht ein Richter herkommen? Grundsätzlich setzten Pfleger und Ärzte aber immer zuerst auf Deeskalation. Eine Fixierung an sieben Körperstellen, wie sie im Fall des Betroffenen aus Bayern angewendet worden war, sei zudem äußerst selten.

In Ländern wie Großbritannien, den Niederlanden und der Schweiz würden aggressive Patienten allerdings eher isoliert als fixiert, setzte dem Tilmann Steinert von den Südwürttembergischen Zentren für Psychiatrie entgegen und berichtete von Untersuchungen, nach denen Patienten die Fixierung als demütigend empfunden hätten. Gleichwohl könne eine Isolierung ebenfalls als belastend empfunden werden.

In den Kliniken des Landkreises Heidenheim würden Fixierungen soweit wie möglich vermieden, betonte Chefarzt Martin Zinkler. Im vergangenen Jahr habe es dort bei 1.250 Behandlungen 37 Fälle gegeben. Mit 12 zusätzlichen Pflegestellen könnten seiner Überzeugung nach alle Fälle vermieden werden, sagt Zinkler.

Gibt es Freiheitsentzug im Freiheitsentzug?

Um gefährliche Situationen und Fixierungen zu verhindern, seien vor allem ausreichend Personal und Platz notwendig, zeigte sich auch der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde, Arno Deister, überzeugt. Die Fachgesellschaft hält eine richterliche Genehmigung für besondere Sicherungsmaßnahmen für grundsätzlich notwendig. Ausnahmen müssten aber zur Abwendung akuter Gefahren für den Untergebrachten selbst, für andere Patienten oder das Personal in den Kliniken möglich sein.

Matthias Seibt vom Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener lehnt Fixierungen als einschüchternde Gewaltausübung ab. Unbedingt notwendig sei, sollte es dennoch dazu kommen, eine Sitzwache, um die Vitalfunktionen zu überwachen. Die zwangsweise Verabreichung von Medikamenten sei als Folter abzulehnen.

Baden-Württembergs Sozialminister Manne Lucha (Grüne) erklärte in seinem Statement, im Mittelpunkt des Landesgesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten stehe das Wohl der Patienten. Nach Auffassung der Landesregierung werde der Richtervorbehalt erfüllt. Zudem warf er eine  Rechtsfrage auf, der das BVerfG bereits in seiner Verhandlungsgliederung einen eigenen Unterpunkt gewidmet hatte: Sicherungsmaßnahmen innerhalb der geschlossenen Unterbringung seien nicht mehr als Freiheitsentziehung zu werten, so Lucha. Kann es also eine Freiheitsentziehung innerhalb der Freiheitsentziehung geben? Diese Frage wird der 2. Senat vorweg zu beantworten haben, bevor über die Notwendigkeit eine richterlichen Anordnung befunden wird.

mam/LTO-Redaktion

Mit Materialien von dpa

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BVerfG verhandelt über Fixierung in psychiatrischer Unterbringung: Gibt es Freiheitsentziehung in der Freiheitsentziehung? . In: Legal Tribune Online, 30.01.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/26787/ (abgerufen am: 03.10.2023 )

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