Wenn der Staat Medikamente zwangsweise verabreicht, gelten strenge Anforderungen - auch bei einer öffentlich-rechtlichen Unterbringung. Mit einer am Mittwoch veröffentlichten Entscheidung sorgt das BVerfG nun für Handlungsbedarf.
Sollen im Rahmen einer öffentlich-rechtlichen Unterbringung zwangsweise Medikamente verabreicht werden, gelten dafür ebenso strenge Anforderungen wie im Maßregelvollzug. Dies hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in einem am Mittwoch veröffentlichten Beschluss entschieden und damit gleich mehrere Länderregelungen als verfassungswidrig bezeichnet (Beschl. v. 19.07.2017, Az. 2 BvR 2003/14).
Die Beschwerdeführerin litt an halluzinatorischer Schizophrenie, weshalb sie in die geschlossene Abteilung eines Klinikums eingewiesen und auf richterliche Anordnung dort untergebracht worden war. Der Grund: Selbstschädigungsgefahr. Dort wurden ihr gegen ihren Willen - u. a. auch gewaltsam - Medikamente verabreicht.
Dies geschah auf Grundlage von § 23 des Psychischkrankengesetzes Mecklenburg-Vorpommern (PsychKG M-V), einer Norm, die seit dem 1. Juli letzten Jahres nicht mehr in Kraft ist. Zunächst wandte sich die Frau mit einer Beschwerde erfolglos gegen ihre Unterbringung, später dann gegen die Zwangsmedikation auf Grundlage eines Beschlusses des zuständigen Amtsgerichts. Dieses hatte im Hinblick auf Entscheidungen des Bundesgerichtshofs und des BVerfG bereits verfassungsrechtliche Bedenken geäußert. Diese bestätigten die Karlsruher Richter nun zur Gänze.
BVerfG überträgt Grundsätze aus Maßregelvollzug
Die frühere Regelung im PsychKG M-V sei verfassungswidrig gewesen, entschied der Zweite Senat und fand deutliche Worte für die unzureichende Grundlage, auf der Patienten gegen ihren Willen Medikamente verabreicht worden waren.
Jede zwangsweise Medikation stelle einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit und das diesbezügliche Selbstbestimmungsrecht des Patienten dar, auch wenn sie der Heilung diene. Somit bedürfe sie, wie jeder andere Eingriff auch, einer gesetzlichen Grundlage, die ihre Voraussetzungen regele. § 23 PsychKG M-V reichte in den Augen der Karlsruher Richter aber als Grundlage nicht aus.
Zu den Anforderungen an die gesetzliche Grundlage nahm das Gericht Bezug auf seine Rechtsprechung zur Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug. Für den Umfang des Grundrechtsschutzes dürfe es keinen Unterschied machen, auf welcher Rechtsgrundlage sich der Betroffene in der Unterbringung befinde, befanden die Richter. Sie müssten in allen Fällen gleich geschützt werden.
2/2: Zwangsbehandlung als letztes Mittel
Die Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug hatten die Karlsruher Richter im Jahr 2013 nur für ausnahmsweise zulässig erklärt, sofern dem Untergebrachten die Einsichtsfähigkeit fehle, um selbst über eine Behandlung zu bestimmen, eine unabhängige Kontrolle stattfinde und verfahrensrechtliche Vorkehrungen getroffen würden, um die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen zu gewährleisten.
In seiner aktuellen Entscheidung stellt der Zweite Senat weitere Überlegungen an, wie ein effektiver Grundrechtsschutz des Patienten aussehen müsse: Zum einen müssten ihm die Maßnahmen mit ausreichendem Vorlauf bekannt gegeben werden, damit er rechtlich dagegen vorgehen kann, bevor sie vorgenommen werden. Zum anderen sei es "zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit (...) unabdingbar, dass die Anordnung und Überwachung einer medikamentösen Zwangsbehandlung durch einen Arzt erfolgt".
Dies alles enthalte die alte Norm des PsychKG nicht oder nicht in ausreichendem Maße, stellte das BVerfG fest. Darüber hinaus kritisierten die Richter auch die Formulierung des Gesetzes und mahnten an, dass es vorgeben müsse, dass Zweck, Erforderlichkeit und Angemessenheit einer Zwangsbehandlung hinreichend konkret umschrieben werden.
Ähnliche Normen in anderen Bundesländern noch gültig
Wie das umzusetzen ist, liefert der Senat gleich mit: Eine weniger intensiv eingreifende Behandlung müsse aussichtslos sowie der Versuch unternommen worden sein, den Patienten zu seiner Zustimmung zu bewegen. Schließlich müsse der zu erwartende Nutzen den Schaden, der durch die Maßnahme angerichtet werden könne, übersteigen.
§ 23 PsychKG M-V ist nicht mehr in Kraft, doch die Ausführungen des BVerfG sind deshalb nicht weniger aktuell: In drei anderen Bundesländern gelten nach wie vor ähnliche Vorschriften, wie der Senat selbst bemerkte. Ein deutlicher Wink, dass diese Normen nun vom Gesetzgeber überarbeitet werden müssen.
Der Bremer Rechtsanwalt Prof. Dr. Helmut Pollähne sieht zudem weitere Auswirkungen des Beschlusses: "Das könnte auch auf anderen Feldern, wie beispielsweise im Justizvollzug, relevant werden. Das wird nicht die letzte Entscheidung zu diesem Thema gewesen sein".
Überraschend kam die Entscheidung für ihn aber nicht: "Es war zu erwarten, dass das BVerfG die Rechtsprechung zum Maßregelvollzug nach und nach übertragen würde." In der Praxis werde leider oft zu leicht über den Willen des Patienten hinweggegangen, so Pollähne. Dabei müsse "die konsentierte Behandlung immer das Ziel sein".
Maximilian Amos, BVerfG zu Zwangsbehandlungen in Unterbringung: Gegen den Willen, gegen das Gesetz . In: Legal Tribune Online, 16.08.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23973/ (abgerufen am: 28.09.2023 )
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