Druckversion
Freitag, 14.11.2025, 19:27 Uhr


Legal Tribune Online
Schriftgröße: abc | abc | abc
https://www.lto.de//recht/nachrichten/n/bverfg-1bvq4215-1bvr22916-keine-einstweilige-anordnung-gegen-vorratsdatenspeicherung-gesetz
Fenster schließen
Artikel drucken
20021

BVerfG lehnt Eilanträge gegen VDS ab: Ent­schei­dung erst in der Haupt­sache

15.07.2016

Datenspeicherung (Symbolbild)

© sonjanovak - Fotolia.com

Das BVerfG hat die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen das Vorratsdatenspeicherungsgesetz abgelehnt, viele Fragen könnten erst im Hauptsacheverfahren geklärt werden. Eine Aussetzung im Eilverfahren sei nicht geboten.

Anzeige

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat mit am Freitag veröffentlichten Beschlüssen zwei Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen das Gesetz zur Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten (Vorratsdatenspeicherung) vom 10. Dezember 2015 abgelehnt (Beschl. v. 08.06.2016, Az. 1 BvQ 42/15 und 1 BvR 229/16).

Mit der Datenspeicherung allein sei noch kein derart schwerwiegender Nachteil verbunden, dass es die Außerkraftsetzung eines Gesetzes erfordere, so die Verfassungsrichter. Darüber hinaus habe der Gesetzgeber den Abruf von Telekommunikations-Verkehrsdaten von qualifizierten Voraussetzungen abhängig gemacht, die das Gewicht der durch den Vollzug der Vorschrift drohenden Nachteile im Vergleich mit den Nachteilen für das öffentliche Interesse an einer effektiven Strafverfolgung weniger gewichtig erscheinen ließen.

Mit ihren Eilanträgen begehrten die Beschwerdeführer die eingeführte Vorratsspeicherung von Telekommunikations-Verkehrsdaten zu Zwecken der öffentlichen Sicherheit außer Kraft zu setzen. Die von ihnen angegriffenen Regelungen finden sich in den neu geschaffenen §§ 113a bis 113g Telekommunikationsgesetz (TKG), in dem neu gefassten § 100g der Strafprozessordnung (StPO) und den neu geschaffenen §§ 101a und 101b StPO.

Technische Datentrennung darf nachgebessert werden

Zwar könne die umfassende und anlasslose Bevorratung sensibler Daten über praktisch jedermann einen erheblichen Einschüchterungseffekt bewirken, weil das Gefühl entstehe, ständig überwacht zu werden, so das BVerfG. Der in der Speicherung für Einzelne liegende Nachteil für ihre Freiheit und Privatheit verdichte und konkretisiere sich jedoch erst durch einen Abruf der Daten zu einer möglicherweise irreparablen Beeinträchtigung. Dies gelte auch für die Speicherung der Daten von Berufsgeheimnisträgern, befand die 3. Kammer des ersten Senats.

Ein die Aussetzung der Speicherpflicht erfordernder besonders schwerer Nachteil ergebe sich auch nicht daraus, dass bei Kurznachtrichten Verkehrsdaten und Kommunikationsinhalte möglicherweise nicht getrennt werden könnten. Eigentlich sollten mit dem Gesetz nach dem klaren Wortlaut des § 113b Abs. 5 TKG nur die Standortdaten von etwa SMS gespeichert werden, nicht aber deren Inhalt. Offenbar ist diese Art der Datentrennung aber technisch gar nicht möglich.Trotzdem rechtfertige das nicht, sich über die Maßgabe des Gesetzes hinwegzusetzen, so das Gericht. Vielmehr seien dann zunächst die technischen Bedingungen zu schaffen, um die Speicherpflicht erfüllen zu können.

Hauptsacheverfahren abzuwarten ist hinnehmbar

Im Verkehrsdatenabruf nach § 100g Abs. 1 und 2 StPO liege zwar ein schwerwiegender und nicht mehr rückgängig zu machender Eingriff in das Grundrecht aus Art. 10 Abs. 1 GG. Der Gesetzgeber habe aber mit § 100g Abs. 2 StPO den Abruf von Telekommunikations-Verkehrsdaten im Sinne des § 113b TKG von qualifizierten Voraussetzungen abhängig gemacht, weswegen die dem Einzelnen und der Allgemeinheit durch den Vollzug der Vorschrift drohenden Nachteile für die Übergangszeit bis zur Entscheidung über die Hauptsache hinnehmbar seien. Ebenso erscheine diese Beeinträchtigung im Vergleich mit den Nachteilen für das öffentliche Interesse an einer effektiven Strafverfolgung weniger gewichtig, heißt es in der Mitteilung des Gerichts.

Das BVerfG hatte bereits in seiner Entscheidung über den Antrag auf einstweilige Anordnung gegen das Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung von 2007 wegen des öffentlichen Gewichts einer wirksamen Verfolgung schwerer Straftaten solche Abrufersuchen zugelassen, die der Verfolgung von Katalogtaten im Sinne des § 100a Abs. 2 StPO dienten. Bedingung dafür war, dass darüber hinaus auch die Voraussetzungen des § 100a Abs. 1 StPO vorlagen. Diese Voraussetzungen ergeben sich nunmehr unmittelbar aus § 100g Abs. 2 Satz 1 StPO. Angesichts dieser Einschränkungen hat das öffentliche Strafverfolgungsinteresse nach Auffassung der Verfassungsrichter grundsätzlich derartiges Gewicht, dass die Aussetzung der Vorschrift durch eine einstweilige Anordnung trotz der entgegenstehenden gewichtigen Nachteile nicht geboten sei.

Das gleiche gelte auch für die das zu beachtende Verfahren regelnden §§ 101a, 101b StPO. Ob und gegebenenfalls in welcher Weise die Europäische Grundrechtecharta oder sonstiges Unionsrecht für die Beurteilung der angegriffenen Vorschriften Bedeutung entfaltet, sei im Hauptsacheverfahren zu entscheiden. Dass Unionsrecht dazu verpflichten könnte, die angegriffenen Vorschriften schon im Eilverfahren im Wege der einstweiligen Anordnung außer Kraft zu setzen, sei weder substantiiert vorgetragen noch ersichtlich.

acr/LTO-Redaktion

  • Drucken
  • Senden
  • Zitieren
Zitiervorschlag

BVerfG lehnt Eilanträge gegen VDS ab: . In: Legal Tribune Online, 15.07.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20021 (abgerufen am: 16.11.2025 )

Infos zum Zitiervorschlag
  • Mehr zum Thema
    • Strafrecht
    • Öffentliches Recht
    • Anti-Terror-Gesetze
    • GPS-Überwachung
    • Mobilfunk
    • Überwachung
    • Vorratsdatenspeicherung
  • Gerichte
    • Bundesverfassungsgericht (BVerfG)
Grenzzaun zwischen Gefängnis und Militärgericht Ofer bei Ramallah im von Israel besetzten Westjordenland, 2008 15.11.2025
Israel

Neuer Gesetzentwurf in Israel:

Todes­strafe zur Ver­tei­di­gung des kol­lek­tiven Schick­sals

Ein neues Gesetz will "Terror gegen Israel" mit der Todesstrafe belegen, um die "Wiederbelebung des jüdischen Volkes in seinem Land" zu schützen. Itamar Mann warnt vor den Folgen – für Palästinenser wie für die israelische Gesellschaft.

Artikel lesen
Relatives of Palestinian prisoners walk through a fence to Israel's Ofer military court, near Ramallah. 14.11.2025
Englische Texte

Israel's Dangerous New Bill:

Death Pen­alty as a Defense of Col­lec­tive Des­tiny

A new bill seeks to introduce a mandatory death penalty for killings with the intent to "harm the State of Israel and the revival of the Jewish people in its land." Itamar Mann flags a troubling shift in the country's penal doctrine.

Artikel lesen
Itamar Ben-Gvir, Israels Minister für nationale Sicherheit, in der Knesset am 13. Oktober 2025 11.11.2025
Israel

Terrorismus gegen Israelis:

Gesetz zu Todes­strafe nimmt erste Hürde in der Knesset

Wer in Israel tötet, um dem Staat und "der Wiedergeburt des jüdischen Volkes" zu schaden, soll künftig mit dem Tod bestraft werden können. Das sieht ein umstrittener Gesetzentwurf vor, der in erster Lesung eine große Mehrheit bekam.

Artikel lesen
Icons verschiedener Messenger-Dienste 03.11.2025
Überwachung

Kompromiss auf EU-Ebene:

Umfas­sende Chat­kon­trolle vom Tisch

Die EU-Kommission wollte Nachrichten bei WhatsApp & Co. automatisch prüfen lassen, um gegen Kinderpornografie vorzugehen. Nach Kritik aus Deutschland und anderen Ländern wird es erstmal keine anlasslose Chatkontrolle geben.

Artikel lesen
Stefanie Hubig 09.10.2025
Anti-Terror-Gesetze

Bundesregierung geht über EU-Vorgaben hinaus:

"Das Anti­ter­r­or­ge­setz führt das Straf­recht an seine rechts­staat­li­chen Grenzen"

Die Bundesregierung hat Verschärfungen im StGB auf den Weg gebracht, damit Deutschland besser auf Bedrohungen durch Terrorismus und ausländische Spionage eingestellt ist. Bei Strafrechtlern sorgen einige Regelungen nun für massive Kritik.

Artikel lesen
Stefanie Hubig 08.10.2025
Überwachung

EU-Botschafter beraten am Abend:

Deut­sch­land spricht sich gegen Chat­kon­trolle aus

Justizministerin Hubig stellt klar: Deutschland wird bei der geplanten EU-Chatkontrolle nicht mitziehen. Was bedeutet das für WhatsApp & Co.? Und wie geht es jetzt in Brüssel weiter?

Artikel lesen
ads lto paragraph
lto karriere logo
ads career people

Wir haben die Top-Jobs für Jurist:innen

Jetzt registrieren
logo lto karriere
TopJOBS
Logo von Airbus Bank
Se­nior Spe­zia­list AML (m/w/d) in Teil­zeit

Airbus Bank , Mün­chen

Logo von REDEKER SELLNER DAHS
Re­fe­ren­da­rin/​Re­fe­ren­dar (m/​w/​d) Straf­recht

REDEKER SELLNER DAHS , Bonn

Logo von Baker McKenzie Rechtsanwaltsgesellschaft mbH von Rechtsanwälten und Steuerberatern
Re­fe­ren­da­re | Frank­furt

Baker McKenzie Rechtsanwaltsgesellschaft mbH von Rechtsanwälten und Steuerberatern , Frank­furt am Main

Logo von Deutscher Landkreistag
Voll­ju­rist/in (m/w/d)

Deutscher Landkreistag , Ber­lin

Logo von Baker McKenzie Rechtsanwaltsgesellschaft mbH von Rechtsanwälten und Steuerberatern
Re­fe­ren­da­re | Ber­lin

Baker McKenzie Rechtsanwaltsgesellschaft mbH von Rechtsanwälten und Steuerberatern , Ber­lin

Logo von AntweilerLiebschwagerNieberding PartG mbB
zwei Rechts­an­wäl­tin­nen / Rechts­an­wäl­te Öf­f­ent­li­ches Wirt­schafts­recht /...

AntweilerLiebschwagerNieberding PartG mbB , Düs­sel­dorf

Logo von Wolters Kluwer
Ju­rist als Pro­dukt­ma­na­ger Print & On­li­ne (m/w/d)

Wolters Kluwer , Hürth

Logo von LAFP NRW (Polizei)
Füh­rungs­kraft (m/w/d) in der Lauf­bahn­grup­pe 2.2

LAFP NRW (Polizei) , Düs­sel­dorf

Mehr Stellenanzeigen
logo lto events
§ 15 FAO - Krisenprävention, Insolvenzreifeprüfung und Haftungsszenarien

17.11.2025, Hamburg

Logo von AnwaltVerein Stuttgart e.V. | AnwaltService Stuttgart GmbH
Baden-Württembergischer Mietrechtstag 2025

18.11.2025

Digitale Kamingespräche: Wie arbeitet man eigentlich im DFG-Fachkollegium Privatrecht?

19.11.2025

Miet- und Bauprozessrecht I - Erstinstanzliches Verfahren

18.11.2025

Aktuelle Entwicklungen bei der Besteuerung von Personengesellschaften – MoPeG-Folgeänderungen

18.11.2025

Mehr Events
Copyright © Wolters Kluwer Deutschland GmbH