Das BMAS hat einen Referentenentwurf zur Änderung des ArbGG vorgelegt. Der Vorschlag greift wesentliche Punkte auf, die BAG-Präsidentin Ingrid Schmidt angesichts der Corona-Pandemie gefordert hatte.
Das Bundesarbeitsministerium (BMAS) hat einen Referentenentwurf zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit während der COVID-19-Epidemie sowie zur Änderung weiterer Gesetze (COVID-19 ArbGG/SGG-AnpassungsG) vorgelegt. Damit sollen die Voraussetzungen geschaffen werden, dass die Gerichte auch bei einem Notbetrieb, in dem sie derzeit arbeiten, den Justizgewährleistungsanpruch für die Bürger erfüllen können. Diesen Wunsch hatte die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts (BAG) Ingrid Schmidt gegenüber dem BMAS vorgebracht.
Konkret soll im Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) ein § 114 eingeführt werden. Nach dessen Absatz 1 sollen abweichend von § 123a Zivilprozessordnung (ZPO) ehrenamtliche Richter, die zu den Verhandlungen am BAG bundesweit, vor Landesarbeitsgerichten immerhin landesweit anreisen müssen, auch von einem anderen Ort aus an der mündlichen Verhandlung, der Beratung und der Abstimmung teilnehmen können – wohlgemerkt können. Die Verhandlung soll in diesen Fällen zeitgleich in Bild und Ton übertragen werden.
Ebenso sollen die Richter die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung per Videoübertragung auch gegenüber Parteien, deren Bevollmächtigten und Beiständen sowie Zeugen und Sachverständigen anordnen können, soweit dies zumutbar ist. Die Betroffenen sollen gegen eine solche Entscheidung binnen einer Woche sofortige Beschwerde einlegen können.
Heiß diskutiert worden war ebenfalls der Vorschlag, die Öffentlichkeit aus den Verhandlungen ausschließen zu können. Auch insoweit sieht der Referentenentwurf klar vor: Die Gerichte können die Öffentlichkeit abweichend von § 52 ArbGG zum Zwecke des Gesundheitsschutzes ausschließen.
Auch auf die öffentliche Entscheidungsverkündung können die Landesarbeitsgerichte verzichten und diese durch Zustellung des Urteils ersetzen. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Parteien der Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt haben, § 128 Abs. 2 ZPO. Eine Ausnahme schafft der Referentenentwurf für das BAG: Das kann nach vorheriger Anhörung auch ohne Zustimmung der Parteien eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung treffen und die Verkündung durch die Zustellung des Urteils ersetzen.
Ebenfalls geregelt: Tarifverhandlungen per Videocall
Vergleichbare Regelungen zur Teilnahme an Verhandlungen per Videokonferenz für ehrenamtliche Richter und sonstige Verfahrensbeteiligte, die Möglichkeit zum Ausschluss der Öffentlichkeit und die Entscheidung per Beschluss auch ohne die Zustimmung der Parteien trifft der Referentenentwurf für die Sozialgerichtsbarkeit in einem neu geschaffenen § 211 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Zudem enthält der Entwurf eine Änderung des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG), wonach für die Zeit der epidemischen Lage gem. § 25a KSchG-E die Klagefrist von drei auf fünf Wochen verlängert wird.
Eine erhebliche Änderung soll schließlich das Tarifvertragsgesetz (TVG) bekommen: Dem § 5 Abs. 2 TVG wird nach dem Entwurf der Satz angefügt: "In begründeten Fällen kann das Bundesministerium für Arbeit und Soziales eine Teilnahme an der Verhandlung mittels Video- oder Telefonkonferenz vorsehen." Schon die Beschlussfähigkeit von Betriebsräten mittels Videokonferenz war unter Arbeitsrechtlern hoch umstritten und zunächst lediglich mit einer Ministerklärung aufgegriffen worden. Die erheblichen Rechtsunsicherheiten hat das BMAS gerade erst mit einem Gesetzentwurf beendet. Nun soll die Möglichkeit, Tarifverträge per Videokonferenz zu verhandeln, ebenfalls geschaffen werden.
Auch die Mindestlohnkommission sowie der Heimarbeitsausschuss sollen per Videokonferenz tagen können.
Der Entwurf sieht vor, dass die Maßnahmen zeitlich befristet sind und das Vorliegen einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Infektionsschutzgesetz (IfSG) zum maßgeblichen Zeitpunkt weiter festgestellt ist. Nicht befristet sein sollen nach der Begründung des Entwurfs die Änderungen des TVG und des Mindestlohngesetzes.
Vorgeschichte: Der echte und der falsche Entwurf
Diesem nun echten Referentenentwurf aus dem BMAS vorausgegangen waren einige Unklarheiten: Ein als "Referentenentwurf" gekennzeichnetes Papier kursierte kürzlich zusammen mit einem weiteren, das als Eckpunktepapier gekennzeichnet war - das Expertenforum Arbeitsrecht (EFAR) hatte zuerst berichtet. Dieses Eckpunktepapier stammte aus der Feder von BAG-Präsidentin Ingrid Schmidt, in das Gespräche mit BAG-Kollegen und Landesarbeitsgerichtspräsidenten eingeflossen sind, wie Schmidt im LTO-Interview erklärte.
Darüber hinaus hatte sich der Präsident eines Landesarbeitsgerichts die Mühe gemacht, Vorschläge für Gesetzesänderungen in als "Referentenentwurf" bezeichneten Papier auszuformulieren. Einige Präsidenten unterstützen diesen Vorschlag, andere nicht. Seinen Weg ins BMAS hatte das Papier jedenfalls gemacht.
Die nun in dem echten Referentenentwurf enthaltenen Änderungen decken sich inhaltlich in weiten Teilen mit den Vorschlägen aus diesen Papieren – wenn sie sich auch in anderen Normen finden, als von den Arbeitsrichtern angedacht. BAG-Präsidentin Schmidt jedenfalls kann zufrieden sein: "Ich habe meinen Vorstoß gemacht und jetzt liegt es am Bundesarbeitsministerium", sagte sie kürzlich im Interview mit LTO.
Das BMAS ließ sich nicht lange bitten, wie man nun sieht. "Die Abstimmungen hierzu laufen sowohl regierungsintern als auch mit Länder und Verbänden", teilte das BMAS auf LTO-Anfrage mit. Der Regierungsentwurf werde wie üblich nach Kabinettbefassung veröffentlicht.
Dazu sagt die BAG-Präsidentin: "Ich begrüße es, dass es der Bundesregierung ein Anliegen ist, die Tätigkeit der Arbeitsgerichte in Zeiten einer bundesweiten, epidemischen Lage zu unterstützen, damit die zunehmende Zahl arbeitsrechtlicher Streitigkeiten weiterhin zeitnah entschieden werden kann."
Nach Vorschlägen der BAG-Präsidentin: . In: Legal Tribune Online, 15.04.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41310 (abgerufen am: 08.11.2024 )
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