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BGH-Senate streiten im Gesellschaftsrecht: Pro­spekt­haf­tung im wei­teren Sinne nicht aus­ge­sch­lossen

22.12.2022

Gebäude in NYC.

Anleger dürften sich freuen. Der II. Zivilsenat erlaubt den Rückgriff auf die Prospekthaftung im weiteren Sinn. Foto: eyetronic - stock.adobe.com

Der II. Zivilsenat hat seine ständige Rechtsprechung zum Konkurrenzverhältnis von spezieller Prospekthaftung und Prospekthaftung im weiteren Sinn bestätigt – und schließt sich nicht dem XI. an. Der Große Senat entscheidet trotzdem nicht.

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Auch im Anwendungsbereich spezieller Prospekthaftungstatbestände kann sich der Anleger auf die Prospekthaftung im weiteren Sinne berufen. Dahinter steckt die gesellschaftsrechtliche Haftung wegen vorvertraglicher Pflichtverletzung aufgrund eines unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden Prospekts als Mittel der schriftlichen Aufklärung gem. §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB. Das hat der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) bestätigt (Beschl. v. 25.10.2022, Az. II ZR 22/22). Damit weichen die Richter von der Auffassung des XI. Zivilsenats ab. Eine Divergenzvorlage an den Großen Senat für Zivilsachen komme allerdings mangels Entscheidungserheblichkeit nicht in Betracht. Es liege nämlich bereits kein Prospektfehler vor, so der BGH.

Der Kläger, ein Anleger, hatte 2010 eine Beteiligung an einer Schifffahrtsgesellschaft in Rechtsform einer GmbH & Co. KG in Höhe von 20.000 Euro gezeichnet. 2015 wurde über das Vermögen der Gesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet und der Anleger erhielt Ausschüttungen in Höhe von 1.400 Euro. Seine Klage auf Schadensersatz gegen zwei Gründungskommanditisten wegen fehlerhaften bzw. unvollständigen Prospekts wies das LG Hamburg mangels Prospektfehlers ab. Auch die Berufung zum OLG Hamburg hatte keinen Erfolg: Die Richter gingen davon aus, die Prospekthaftung im weiteren Sinn sei gesperrt. Diese Rechtsauffassung hat der II. Zivilsenat zwar nun abgelehnt, die Revision aber aus anderen Gründen gem. § 552a ZPO zurückgewiesen. Weder habe die Revision Aussicht auf Erfolg noch lägen die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision vor.

Kein exklusives Auslegungsrecht des XI. Zivilsenats

Der II. Senat setzt sich damit in Widerspruch zum XI. Senat, der noch durch Beschluss vom 14. Juni 2022 (Az. XI ZR 395/21) einen Rückgriff auf die Prospekthaftung im weiteren Sinn abgelehnt hatte. Daran sei der II. Zivilsenat auch nicht durch den Geschäftsverteilungsplan des BGH gehindert. Zwar sei die Zuständigkeit für die Ansprüche aus § 13 VerkProspG und §§ 44 ff. BörsG ausdrücklich dem XI. Zivilsenat zugwiesen, über die Anwendbarkeit der Normen als Vorfrage zum Anspruch aus §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB habe der II. Zivilsenat allerdings selbst zu entscheiden.

Keine Vorlagepflicht an den Großen Senat für Zivilsachen

Die Revision sei auch nicht bereits deshalb zuzulassen, weil die Rechtsauffassung des II. von der des XI. Zivilsenats abweicht. Die Vorlagepflicht an den Großen Senat für Zivilsachen nach § 132 Abs. 2 GVG werde nämlich nur dann ausgelöst, wenn die Auslegungsfrage entscheidungserheblich ist. Das sei der Fall, wenn der Senat bei Befolgung seiner abweichenden Ansicht zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Mit anderen Worten: Die Voraussetzungen der Prospekthaftung im weiteren Sinne, insbesondere also eine Aufklärungspflichtverletzung der Gründungskommanditisten, hätten vorliegen müssen.

Dies hatte der klagende Anleger auch argumentiert. Er sei nicht richtig, jedenfalls aber nicht hinreichend, über das Risiko des Wiederauflebens der Kommanditistenhaftung gem. § 172 Abs. 4 HGB aufgeklärt worden.

Der BGH sah das jedoch anders. Für die Frage der Unrichtigkeit bzw. Unvollständigkeit komme es auf das "Gesamtbild" des Prospekts an, das dem Leser durch sorgfältige und eingehende Lektüre vermittelt wird. Das Haftungsrisiko aus § 172 Abs. 4 HGB müsse dem Anleger "im Kern" vor Augen geführt werden. Das sei durch den Emissionsprospekt hinreichend erfolgt. Somit fehle es an der Entscheidungserheblichkeit der Frage.

Privilegierung durch Ausschlussfrist, verkürzte Verjährung und Haftung nur für grobe Fahrlässigkeit

Obwohl die Frage vorliegend nicht entscheidungserheblich wurde, ist der gegenständliche Streit nicht lediglich von akademischer Bedeutung. Vielmehr ist die Prospekthaftung im weiteren Sinn insbesondere aufgrund der Regelverjährung nach §§ 195, 199 Abs. 1 BGB für den Anleger günstig. Die Ansprüche aus speziellen Prospekthaftungstatbeständen gem. § 46 BörsG a.F. verjähren indes kenntnisunabhängig drei Jahre nach Veröffentlichung des Prospekts. Außerdem greift gem. § 13 Abs. 1 Nr. 1 VerkProspG aF, § 44 Abs. 1 BörsG aF eine Ausschlussfrist von sechs Monaten nach der ersten Veröffentlichung im Inland. Zudem enthält § 45 Abs. 1 BörsG aF eine Haftungsbeschränkung auf Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis - im Rahmen der Prospekthaftung im weiteren Sinn schadet jedoch jede Fahrlässigkeit.

Eine Frage der Auslegung von § 47 Abs. 2 BörsG a.F.

Im Zentrum der Streitfrage steht die Auslegung von § 47 Abs. 2 BörsG a.F.: "Weitergehende Ansprüche […] nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts auf Grund von Verträgen […] bleiben unberührt".

Bereits der Wortlaut schließe ebenfalls das im Vorfeld des Gesellschaftsvertrages begründete vorvertragliche Schuldverhältnis i.S.d. § 311 Abs. 2 BGB ein, auf das die Prospekthaftung im weiteren Sinn gestützt wird, so der II. Zivilsenat. Den Einwand, es handele sich zwar um eine schuldrechtliche Sonderverbindung, aber gerade nicht um einen "Vertrag", lassen die Karlsruher Richter nicht gelten: Historisch habe das Dritte Finanzmarktförderungsgesetz, auf dem § 47 Abs. 2 BörsG a.F. beruht, sämtliche schuldrechtliche Beziehungen erfassen wollen. Dies liege auch deshalb nahe, weil der wortgleiche § 12 Abs. 6 WpÜG sämtliche schuldrechtliche Sonderverbindungen erfasse.

Spezialgesetzliche Prospekthaftungstatbestände nicht leges speciales

Auch systematisch sprächen die besseren Gründe für eine Idealkonkurrenz beider Haftungsregime. Schließlich beruhe die Haftung aus § 13 VerkProspG und §§ 44 ff. BörsG auf bloß typisiertem Vertrauen, während die Prospekthaftung im weiteren Sinn darüber hinaus ein besonderes persönliches Vertrauen voraussetze. Mit der Prospektpflicht sei diese "nur locker" verknüpft. Auch der persönliche Anwendungsbereich unterscheide sich: Nicht jeder Prospektverantwortliche sei zugleich Gründungs- oder Altgesellschafter. Ein Zurücktreten als lex generalis scheide damit aus.

Dass im Fall spezieller Prospekthaftung von Gründungsgesellschaftern stets auch die Voraussetzungen der Prospekthaftung im weiteren Sinn vorlägen und damit die Privilegierung weitgehend leerlaufe, sei systematisch nicht zu beanstanden. Schließlich verbleibe ein eigenständiger Anwendungsbereich für diejenigen Gesellschafter, die zum Zeitpunkt der Werbung der Anleger nicht mehr Gesellschafter sind. Denn diese fielen nicht unter den Anwendungsbereich der Prospekthaftung im weiteren Sinn.

Anleger ansonsten rechtlos gestellt

Die Zivilrichter weisen zudem auf die Konsequenzen für den Anlegerschutz hin: Die kurze Verjährung, Ausschlussfrist und Verschuldensmodifizierung habe für den Anleger nicht zu rechtfertigende Folgen. Denn regelmäßig sei der Prospekt bereits einige Zeit vor Gesellschaftsbeitritt erstellt worden und Aufklärungspflichtverletzungen für den Anleger ohnehin erst im laufenden Geschäftsbetrieb erkennbar. Durch die kurze Ausschlussfrist und Verjährung sei der Anleger damit in vielen Fällen de facto rechtlos gestellt.

Vermeidung von Wertungswidersprüchen

Darüber hinaus entstünden bei der Annahme einer Sperrwirkung der speziellen Prospekthaftungstatbestände Wertungswidersprüche. So würden prospektverantwortliche Gründungsgesellschafter gegenüber sonstigen Altgesellschaftern ohne erkennbaren Grund begünstigt, die nicht dem Anwendungsbereich der Prospekthaftung unterfielen. Die Privilegierung des § 47 Abs. 2 BörsG aF auf diese zu erstrecken, wie es in der Literatur vorgeschlagen werde, sei vom Willen des Gesetzgebers nicht gedeckt.

Darüber hinaus ziehen die Richter die Gesetzgebungshistorie zu Rate. § 13 VerkProspG, § 47 Abs. 2 BörsG aF gingen auf den wortgleichen § 46 BörsG vom 22. Juni 1896 zurück. Aus dessen Gesetzesmaterialien folge, dass der Gesetzgeber nicht in die Haftung aus bürgerlichem Recht habe eingreifen wollen. Zwar sei das Rechtsinstitut der culpa in contrahendo erst später entwickelt worden. Anlässlich der Änderung des § 47 Abs. 2 BörsG aF habe der Gesetzgeber aber klargestellt, auch Ansprüche aus §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB sollten unberührt bleiben.

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BGH-Senate streiten im Gesellschaftsrecht: Prospekthaftung im weiteren Sinne nicht ausgeschlossen . In: Legal Tribune Online, 22.12.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50566/ (abgerufen am: 04.06.2023 )

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