Durch gezielte Förderung innovativer Geschäftsideen können Kanzleien mit geringem Aufwand die digitale Transformation der Rechtsbranche beeinflussen und neue Einnahmequellen erschließen, erklären Patrick Häde und Nico Kuhlmann.
Deutsche Medienunternehmen tun es seit langem, deutsche Autohersteller, Unternehmensberatungen und Banken sowieso und sogar die deutsche Pharmaindustrie ist auf diese Weise aktiv. Auch die internationalen Technologie-Konzerne und sogar der Papst lassen sich diese Chance nicht entgehen - nur deutsche Kanzleien sind noch nicht auf die Idee gekommen, eng mit Startups zusammenzuarbeiten.
Dabei sind sich alle einig, dass die Digitalisierung in der einen oder anderen Weise zu Veränderungen auf dem Rechtsmarkt führen wird. Aber nur sehr wenige scheinen momentan die enormen Chancen zu sehen, die damit verbunden sind. Eine naheliegende Möglichkeit, den Fortschritt mitzugestalten, besteht darin, eine eigene Gründergarage zu eröffnen und dadurch die Dynamik eines Startups mit der Expertise einer etablierten Kanzlei zu verbinden.
Durch eine solche Zusammenarbeit wird auf der einen Seite das Startup dabei unterstützt, schneller erfolgreich zu werden, indem es Zugang zu Fachwissen, einem Netzwerk und natürlich Kapital erhält. Die Kanzleien auf der anderen Seite, die meistens nicht einmal eine interne Forschungs- und Entwicklungsabteilung haben, bekommen direkten Zugang zu innovativen Geschäftsideen, digitalen Denkweisen und neuen Einnahmequellen. Beide Seiten können also voneinander profitieren.
Brüten und Beschleunigen
Eine Starthilfe für Startups kann dabei sowohl in einem "Incubator" als auch im Rahmen eines "Accelerators" erfolgen.
Bei einem Inkubator handelt es sich um eine Art Brutkasten für innovative Geschäftsideen. Solche Inkubatoren werden von privaten Unternehmen, aber auch häufig von öffentlichen Einrichtungen, betrieben. Besonders Universitäten versuchen beispielsweise, durch Inkubatoren den Studierenden einen geschützten Raum für die Entfaltung kreativer Konzepte zu geben. Im Vordergrund stehen dabei neben dem Mentoring meist die Unterstützung bei der Kapitalsuche und die Vernetzung der Jungunternehmer mit Kontakten in der Wirtschaft und Politik.
Die Dauer der Förderung ist oft nicht begrenzt, sondern langfristig angelegt. Eine Beteiligung an den Unternehmen erfolgt in der Regel nicht. In Frankreich haben bereits die Anwaltskammern aus Paris und Marseilles eigene Legal Tech Incubators gegründet, um die Veränderungen im Rechtsmarkt zu beeinflussen.
Demgegenüber ist das Ziel bei einem Accelerator, innerhalb von kurzer Zeit ein funktionierendes Produkt auf den Markt zu bringen. Die Gründer müssen zusätzlich zur Erfüllung der oft sehr anspruchsvollen Teilnahmebedingungen teilweise auch Anteile am Unternehmen an die Betreiber abgeben. Dafür werden die Teams aber mit Büroräumen versorgt, intensiv betreut und der Wachstumsprozess stark vorangetrieben. Der Höhepunkt bei einem Accelerator ist dann grundsätzlich nach wenigen Monaten die Präsentation des Produkts oder der Dienstleistung vor potenziellen Investoren.
2/2: Kanzleien im Ausland haben schon lange begonnen
Das Potenzial von Inkubatoren und Acceleratoren haben Kanzleien in anderen Ländern längst erkannt. Die Kanzlei Dentons betreibt bereits seit 2015 den kanzleieigenen Legal Tech Accelerator NextLaw Labs mit Sitz in Kalifornien und fördert mittlerweile zehn verschiedene Unternehmen. Auch Allen & Overy ist auf den Zug aufgesprungen und hat kürzlich ein Programm namens "Fuse" gestartet, in dessen Rahmen bis zu 60 Personen im Londoner Büro der Kanzlei zusammen mit den Anwälten und den Mandanten an neuen Lösungen arbeiten sollen.
Aber nicht nur große und internationale Wirtschaftskanzleien versuchen auf diesem Weg am Puls der Zeit zu bleiben. Auch mittelständische Kanzleien haben diese Möglichkeit für sich entdeckt. Die im australischen Melbourne ansässige Kanzlei Mills Oakley hat zum Beispiel einen eigenen Legal Tech Accelerator gegründet und mit einer halben Million Australischer Dollar ausgestattet. Das Ziel ist, nach einer dreizehnwöchigen Förderphase mit den besten Teams ein Joint Venture zu gründen.
In England hat die Kanzlei Mishcon de Reya ebenfalls einen eigenen Accelerator namens "MDR LAB" gegründet und bereits die ersten sechs Startups für einen Zeitraum von zwölf Wochen aufgenommen.
Die Vorteile: Die investierenden Kanzleien können aktiv mitgestalten, welche Produkte auf den Markt kommen sollen. Zudem können diese frühzeitig nach den eigenen Bedürfnissen maßgeschneidert werden. Darüber hinaus bietet eine Beteiligung am Unternehmen die Möglichkeit, eine weitere Einnahmequelle zu erschließen, und auch die Vereinbarung von Erstzugriffsrechten auf die neuen Produkte ist denkbar.
Demgegenüber haben die Jungunternehmen neben der finanziellen Unterstützung einen unmittelbaren Zugang zu erfahrenen Juristen und bekommen dadurch ein besseres Verständnis dafür, wo konkreter Verbesserungsbedarf besteht. Zusätzlich stehen die Anwälte in der Entwicklungsphase als Produkttester zur Verfügung. Und je nach Projekt kann unter bestimmten Umständen auch Zugriff auf die Daten der Kanzlei-Server gewährt werden, um beispielsweise einem selbstlernenden Algorithmus entsprechendes Trainingsmaterial zur Verfügung zu stellen.
Digitale Affinität als Zukunftsmotor und Abgrenzungskriterium
Eine Gründergarage in einer Kanzlei bewirkt somit, dass unterschiedliche Akteure mit verschiedenen beruflichen Hintergründen gemeinsam an Projekten und Produkten arbeiten und dabei gegenseitig voneinander lernen. Juristen können so selbst an den Entwicklungen und Technologien der Zukunft mitwirken. Für Informatiker und Startup-Unternehmer eröffnen sich ein Arbeitsumfeld, in dem die Produkte optimiert werden können, und ein noch junger Markt, auf dem mit neuen Technologien viel bewirkt und letztlich auch verdient werden kann.
Wichtig ist dabei die richtige Entfernung zwischen Kanzlei und Startup: Das Jungunternehmen muss weit genug weg sein, um innovativ und agil arbeiten zu können, aber auch nah genug dran, um passende Lösungen für die Rechtsbranche zu entwickeln. Ideal sind kleine Teams, die in einem abgegrenzten Bereich innerhalb desselben Gebäudes, in dem sich auch die Juristen befinden, ungestört arbeiten können.
Diejenigen Kanzleien, die durch Acceleratoren Experimentierfreudigkeit und Affinität gegenüber dem digitalen Wandel beweisen, können dies dabei in Zukunft sowohl gegenüber Mandanten als auch für potentielle Bewerber als entscheidendes Kriterium bei der Auswahl der passenden Kanzlei ausspielen.
Der Autor Patrick Häde ist Student an der Bucerius Law School in Hamburg und hat dort 2016 den Kurs "Coding4Lawyers" initiiert. Zudem ist er mit dem Softwaredienstleister und Projektinkubator wunderfactory als IT-Unternehmer aktiv.
Der Autor Nico Kuhlmann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Hogan Lovells International LLP in Hamburg, Gründer des Hamburg Legal Tech Meetups und Blogger für den Legal-Tech-Blog.de.
Nico Kuhlmann, Legal Tech Accelerators: Selbst der Papst beschleunigt . In: Legal Tribune Online, 07.08.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23821/ (abgerufen am: 26.04.2024 )
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