Viele Kanzleien sitzen auf einer Goldader, von deren Existenz sie meist nichts ahnen: Den Daten auf ihren Servern. Nico Kuhlmann erklärt, wie dieser Schatz gehoben werden kann.
Jeden Tag werden mehr Daten erzeugt und gespeichert, als in der Menschheitsgeschichte bis zum Beginn des Computerzeitalters existierten. Darüber hinaus verdoppeln sich mittlerweile die weltweit von Unternehmen gespeicherten Daten zirka alle 14 Monate. Die reine Menge an Daten ist aber nur ein beeindruckender Aspekt. Ein anderer sind deren Nutzungsmöglichkeiten.
Mehrere Unternehmen, deren Geschäftsmodelle ursprünglich einen anderen Kern hatten, haben festgestellt, dass der tatsächliche Wert ihrer Tätigkeit in ihren Daten liegt. Während viele Mandanten und annähernd der gesamte Rest der Welt die Bedeutung von Daten diskutieren, behandeln die meisten Juristen den Computer aber immer noch als wartungsintensivere Schreibmaschine.
Es besteht aber ein enormer Unterschied in der Nutzbarkeit von Informationen, die lediglich auf Papier geschrieben sind und solchen, welche digitalisiert und strukturiert in Form von Daten vorliegen.
Alle Wege führen nach Rom – allerdings unterschiedlich schnell
Herkömmliche Navigationssysteme liefern lediglich statische Straßenkarten und können den abstrakt besten Weg berechnen. Die Information, die ein Fahrer aber eigentlich haben will, ist der beste Weg im konkreten Moment unter Berücksichtigung aller dynamischen Faktoren, inklusive des aktuellen Feierabendverkehrs und eventuell erst kürzlich entstandener Baustellen und sonstiger Sperrungen.
Moderne Navigationshilfen, die die Möglichkeiten der Digitalisierung ausschöpfen, können genau diese Leistung anbieten. Durch die erfasste Position und Geschwindigkeit der einzelnen Nutzer kann eingeschätzt werden, wo der Verkehr gerade fließt und wo nicht. Mit diesen Daten und einem ausgeklügelten Algorithmus kann dann präzise die in diesem Moment schnellste Route berechnet und bereitgestellt werden.
Ausdrucken, abheften, vergessen
Die Arbeitsweise in vielen Kanzleien hat sich seit Beginn der digitalen Revolution bisher aber nicht wesentlich verändert. Verträge, Klagen, Schriftsätze und andere rechtliche Dokumente werden in einem ersten Schritt aufwendig erstellt und ihrem primären Zweck zugeführt. In einem zweiten Schritt werden die Originale oder die Belegexemplare dann ausgedruckt, abgeheftet und vergessen.
Die in diesen Dokumenten enthaltenen Daten sind aber kein Abfall, sondern eine verwertbare Ressource. Diese Denkweise ist allerdings leider in vielen Branchen noch fremd. An erster Stelle muss deshalb die Erkenntnis stehen, dass es sich bei den nicht personenbezogenen Daten auf den Kanzleiservern um digitales Gold handelt, durch dessen Abbau sich Anwälte einen Wettbewerbsvorteil verschaffen und neue Verdienstmöglichkeiten erschließen können.
Langfristige Betreuung anstatt einmaliger Erstellung
Eine naheliegende Erweiterung des traditionellen Geschäftsmodells von Kanzleien ist es, Verträge und andere Rechtsdokumente nicht nur zu erstellen, sondern über den gesamten Geltungszeitraum proaktiv zu betreuen.
In Verträgen werden beispielsweise regelmäßig Standardklauseln verwendet. Wohl jeder Mietvertrag enthält eine Bestimmung zu Schönheitsrenovierungen beim Auszug und in fast allen Arbeitsverträgen wird die Vergütung von Überstunden geregelt. Problematisch wird es, wenn die Rechtsprechung bestimmte Klauseln für unwirksam erklärt.
Im schlimmsten Fall kriegt der Mandant dies erst mit, wenn ihm die entsprechende Klausel vor Gericht um die Ohren fliegt. Besser läuft es hingegen, wenn der aufmerksame Anwalt seinen Mandanten abstrakt auf die Rechtsänderung aufmerksam macht. Wenn der Mandant dann einen Überprüfungsauftrag erteilt, werden alle eventuell betroffenen Verträge aus dem Archiv geholt und aufwändig durchsucht, um herauszufinden, bei welchen Handlungsbedarf besteht. Das kostet viel Zeit und damit Geld.
2/2 Programme, die Verträge auswerten und überwachen
Wenn die Verträge, die auf den Kanzleiservern gespeichert sind, entsprechend aufbereitet und strukturiert worden wären, könnte ein Anwalt mit einem Knopfdruck herausfinden, in welchen Verträgen diese Klauseln verwendet wurden. Der Anwalt könnte dann dem Mandanten zeitnah und preiswert über die notwendigen Änderungen berichten und anschließend die betroffene Klausel in allen Verträgen automatisch ersetzen.
Ein solches "Rechtsradar", welches automatisch die zu überarbeitenden Klauseln erkennt, würde eine zeitgemäße Arbeitsweise darstellen und könnte die Mandantenbeziehung verfestigen. Unternehmen wie Smartlaw, das wie LTO zu Wolters Kluwer gehört, bieten ihren Kunden einen solchen Service bereits an, einige weitere Unternehmen entwickeln intern ähnliche Lösungen.
Datenbasierte Dokumenten(vor-)überprüfung
Neben der Erstellung und Betreuung der eigenen Verträge gehört die Überprüfung fremder Verträge und sonstiger rechtlicher Dokumente zu den Kernaufgaben eines Anwalts. Bevor dieser aber einzelne Klauseln rechtlich bewerten kann, muss das Dokument erst einmal darauf überprüft werden, ob wichtige Regelungen vollständig fehlen oder welche Bestimmungen eventuell ungewöhnlich sind.
Diese Erstüberprüfung kann bei umfangreichen Dokumenten viel Zeit in Anspruch nehmen. Eine schnellere Vorgehensweise wäre, das zu überprüfende Dokument mit allen Verträgen zu vergleichen, die die Kanzlei bereits abgespeichert hat. Nicht nur großen Wirtschaftskanzleien sondern auch spezialisierten Boutiquen würde dafür eine enorme Anzahl ähnlicher Verträge bereits zur Verfügung stehen.
Ein entsprechendes Programm könnte die Verträge dann auslesen und gegenüberstellen. Sobald eine standardmäßig enthaltene Klausel fehlt oder eine vorhandene Bestimmung normalerweise nicht enthalten ist, würde diese Regelung markiert werden. Der Anwalt müsste dann nur noch die gekennzeichneten Klauseln durchsehen und hat für seine primäre Aufgabe, die rechtliche Einschätzung und die anschließende Beratung, mehr Zeit zur Verfügung.
Das Unternehmen LawGeex bietet eine solche Dienstleistung in den USA bereits für Rechtsabteilungen und selbstständige Unternehmer an. Zusätzlich zur statistischen Verbreitung der einzelnen Klauseln enthalten die automatisch generierten Überprüfungsberichte auch Beschreibungen der Vertragsbestimmungen in einfacher, nicht-juristischer Sprache.
Über das traditionelle Geschäftsmodell hinausdenken
In der gleichen Weise wie die Dampfkraft und anschließend fossile Brennstoffe die industrielle Revolution angetrieben haben, sind die Daten die Ressource der gegenwärtig stattfindenden digitalen Revolution.
Der entsprechende Goldrausch in Bezug auf die Daten hat unbemerkt von den meisten deutschen Juristen bereits begonnen. Die Betreiber juristischer Datenbanken weltweit haben den Wert ihrer Daten schon erkannt und experimentieren mit verschiedenen Verwertungsmöglichkeiten, die über die bloße Recherche weit hinausgehen. Auch für Kanzleien wird die Nutzbarmachung ihrer Daten ein relevanter Bestandteil des modernen Geschäftsmodells werden.
Es ist nun die Aufgabe der jungen Generation von Juristen über das traditionelle Geschäftsmodell von Kanzleien hinaus zu denken, die einzelnen Goldadern zu identifizieren und den darin enthaltenen Wert zu Tage zu fördern. In diesem Sinne: Frohes Schürfen!
Der Autor Nico Kuhlmann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Hogan Lovells International LLP in Hamburg und Blogger für den Legal-Tech-Blog.de.
Nico Kuhlmann, Geschäftsmodell 4.0: Digitales Gold . In: Legal Tribune Online, 07.02.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22015/ (abgerufen am: 26.04.2024 )
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