Beharrlich weigert sich Bayern, Fahrverbote in München vorzubereiten – entgegen richterlicher Entscheidungen. Doch jetzt wird es der Justiz zu bunt: Sie will Erzwingungshaft gegen Amtsträger der Landesregierung vom EuGH prüfen lassen.
Das Kräftemessen zwischen Gerichten und Behörden setzt sich in Bayern fort. Zuletzt hatte der Fall Sami A. in NRW kürzlich bereits eine entsprechende Debatte ausgelöst. Im Freistaat allerdings weigert sich die Staatsregierung bereits seit Jahren, härtere Maßnahmen für bessere Luft in der Landeshauptstadt München durchzusetzen – obwohl sie hierzu gerichtlich angehalten ist. Bayerns Ministerpräsident Söder hatte seinerzeit sogar öffentlich verkündet, eine für seine Regierung nachteilige Gerichtsentscheidung nicht zu befolgen.
Da mehrere festgesetzte Zwangsgelder die Landesregierung bisher nicht dazu bewegen konnten, die eigene Bevölkerung hinreichend vor Schadstoffemissionen durch Diesel-Fahrzeuge zu schützen, droht höchsten Repräsentanten der bayerischen Staatsregierung nunmehr auch die Beugehaft.
Einem Schreiben des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (VGH) vom 17. August 2018 zufolge, das LTO vorliegt, kommen für die "Erzwingungshaft" und den damit laut VGH "zu beseitigenden Rechts- und Verfassungsbruch" als sog. Organwalter nicht nur die Verantwortlichen der Regierung von Oberbayern, sondern auch der zuständige Umweltminister Marcel Huber (CSU) als auch CSU-Ministerpräsident Markus Söder in Betracht. Ob es letztlich zu derart drastischen Maßnahmen kommt, wird wohl der Europäische Gerichtshof (EuGH) klären. Der VGH jedenfalls erwägt, den EuGH diesbezüglich anzurufen. Europarechtler halten die Anfrage des VGH für "spektakulär" und eine Entscheidung des EuGH "pro Beugehaft" für gar nicht so unrealistisch.
Deutsche Umwelthilfe vs. Freistaat Bayern
Die mögliche Entscheidung des VGH, den EuGH anzurufen, erfolgt im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens, das seitens der Deutschen Umwelthilfe (DUH) mit dem Ziel einer Beugehaft für Söder und Co. betrieben wird. Da es nach Auffassung des VGH im deutschen Recht möglicherweise an den nötigen rechtlichen Voraussetzungen zur Verhängung von Zwangshaft gegenüber Mandatsträgern fehle, soll der EuGH die Frage beantworten, ob sich diese eventuell aus dem Europarecht ergeben.
Die DUH führt seit Jahren einen Rechtsstreit gegen den Freistaat Bayern. Die Umweltorganisation verlangt von der bayerischen Staatsregierung Maßnahmen für saubere Luft in München zu ergreifen und die entsprechenden Gerichtsurteile, die die Landesregierung hierzu verpflichten, umzusetzen. Bereits 2012 entschied das Verwaltungsgericht (VG) München, dass Maßnahmen zur schnellstmöglichen Einhaltung der Grenzwerte für Feinstaub und Stickstoffdioxid ergriffen werden müssen. 2016 wurde der Staatsregierung dann ein Zwangsgeld für den Fall angedroht, dass dies nicht bis Juni 2017 geschehe. Auf die hiergegen gerichtete Beschwerde des Freistaats beim VGH, entschied dieser per Beschluss, dass die Staatsregierung Diesel-Fahrverbote vorbereiten und im Luftreinhalteplan zu veröffentlichen hat (v. 27.02.2017, Az. 22 C 16.1427).
Zuletzt musste dann das Bayerische Verwaltungsgericht (VG) München den Freistaat Bayern zu einem Zwangsgeld von 4.000 Euro verurteilen, weil er die Umsetzung des VGH-Urteils missachtete (Urt. v. 29.01.2018, Az. 22 C 16.1427 u.a.). Der Freistaat sei zur Vorlage eines Luftreinhalteplans samt Konzept für Dieselfahrverbote verpflichtet, um gegen die Überschreitung von Stickoxid-Grenzwerte vorzugehen.
Gegen diesen Beschluss legte Bayern daraufhin Beschwerde ein. Doch auch hier scheiterte der Freistaat. Die Beschwerde wurde vom VGH per Beschluss am 14. August 2018 (Az.: 22 C 18.583 und 22 C 18.667) zurückgewiesen.
Europarechtler: Bayern sollte Verfahren vor EuGH ernst nehmen
Ob der VGH den EuGH in puncto Beugehaft anrufen wird, steht noch nicht sicher fest, wird aber erwartet. Zunächst wurden den Prozessbeteiligten eine Frist bis zum 28. September zur Stellungnahme gesetzt. Wie der Prozessvertreter der DUH, Rechtsanwalt Prof. Dr. Remo Klinger, gegenüber LTO ankündigte, werde die Umweltorganisation auf ein beschleunigtes Verfahren vor dem EuGH insistieren. Dann, so Klinger, würde eine Entscheidung nicht erst in eineinhalb Jahren sondern sogar schon in drei Monaten erfolgen.
Klinger ist davon überzeugt, dass der EuGH im Sinne der DUH entscheiden wird: "Die Haft wird kommen, es sei denn die Staatsregierung lenkt unverzüglich ein." Der EuGH habe bereits im Jahr 2014 bestätigt , dass Gerichte jede erdenkliche Maßnahme ergreifen müssen, um das EU-Luftreinhalterecht durchzusetzen, so der Anwalt.
Zuspruch bekommt die DUH von renommierten Rechtsanwälten. So hält der Europarechtler und Mitherausgeber der Neuen Juristischen Wochenschrift (NJW), Dr. Ulrich Karpenstein von der Anwaltskanzlei Redeker Sellner Dahs, eine Beugehaft für Söder und Co. für realistisch: "Bis vor drei, vier Jahren hätte der EuGH auf die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten verwiesen und sich an eine so heikle Materie wie die Beugehaft für gewählte Regierungschefs inhaltlich nicht herangewagt. Nach den Entwicklungen in Polen, Rumänien und Ungarn ist das anders", so Karpenstein im Gespräch mit LTO.
Laut dem Anwalt ließen die EuGH-Richter derzeit wenig unversucht, um eine unabhängige und durchsetzungsfähige Dritte Gewalt in diesen und in anderen Staaten zu unterstützen. Karpenstein ist davon überzeugt: "Würde der EuGH hier den VGH stützen, setzt er zugleich ein massives Signal für die Rechtsstaatlichkeit in den auf der "roten Liste" stehenden anderen Mitgliedstaaten." Insofern könne die bayerische Landesregierung das kommende EuGH-Verfahren "gar nicht ernst genug nehmen - sofern sie es überhaupt dazu kommen lassen möchte". Dass der VGH ernsthaft und mit nachvollziehbaren Gründen eine Beugehaft für Ministerpräsident Söder prüfen lassen möchte, sei "spektakulär".
Bayern: "Keine Rechtsgrundlage im deutschen Recht"
Unterdessen gibt sich die bayerische Staatsregierung betont gelassen: "Wir sehen die Entscheidung des Gerichts mit großer Gelassenheit. Die Drohung mit Zwangshaft für Beamte und Politiker hat im deutschen Recht keine Rechtsgrundlage und ist daher unverständlich und absurd. Man muss sich schon sehr darüber wundern, wie das Gericht hier die Grenzen des Rechtsstaats im Übermaß auslotet," ließ Staatskanzleiminister Dr. Florian Herrmann LTO wissen.
Allerdings: Sollte der VGH nunmehr dem EuGH den Fall vorlegen, wird es weniger um deutsches als um europäisches Recht gehen: Der VGH erwähnt in seinem Schreiben, zu dem auch der Freistaat Stellung beziehen soll, explizit Art. 47 Abs.1 der EU-Grundrechtecharta, in dem das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf verankert ist. Außerdem erwägt der VGH vom EuGH zu wissen, ob das EU-Gebot der effektiven Umsetzung des Unionsrechts durch die Mitgliedstaaten so auszulegen ist, "dass ein deutsches Gericht gegen Amtsträger eines deutschen Bundeslandes Erzwingungshaft anordnen darf oder ggf. sogar anordnen muss".
Nach einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Februar 2018 sind Fahrverbote grundsätzlich zulässig (Urt. v. 28.02.2018, Az. 7 C 26.16 u. 7 C 30.17). Einer bundesweiten Rechtsgrundlage, so das BVerwG, bedürfe es dafür nicht. Deutschland hat wegen der Luftverschmutzung in Städten bereits Ärger mit der EU. Die EU-Kommission hatte seinerzeit die bisherigen Anstrengungen für bessere Luft als nicht ausreichend kritisiert und die schnellstmögliche Einhaltung der Grenzwerte gefordert - andernfalls droht eine Klage gegen Deutschland beim EuGH.
EuGH könnte Bayerns Verweigerung gegenüber Fahrverboten prüfen: . In: Legal Tribune Online, 27.08.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/30587 (abgerufen am: 13.12.2024 )
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