Druckversion
Freitag, 13.06.2025, 20:05 Uhr


Legal Tribune Online
Schriftgröße: abc | abc | abc
https://www.lto.de//recht/justiz/j/vgh-bayern-eugh-beugehaft-soeder-fahrverbote-diesel
Fenster schließen
Artikel drucken
30587

EuGH könnte Bayerns Verweigerung gegenüber Fahrverboten prüfen: CSU-Minis­ter­prä­si­dent Söder droht Beu­ge­haft

von Hasso Suliak

27.08.2018

Markus Söder (CSU) hier 2012 im Bayerischen Landtag

Michael Lucan, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0; Zuschnitt und Skalierung durch LTO

Beharrlich weigert sich Bayern, Fahrverbote in München vorzubereiten – entgegen richterlicher Entscheidungen. Doch jetzt wird es der Justiz zu bunt: Sie will Erzwingungshaft gegen Amtsträger der Landesregierung vom EuGH prüfen lassen.

Anzeige

Das Kräftemessen zwischen Gerichten und Behörden setzt sich in Bayern fort. Zuletzt hatte der Fall Sami A. in NRW kürzlich bereits eine entsprechende Debatte ausgelöst. Im Freistaat allerdings weigert sich die Staatsregierung bereits seit Jahren, härtere Maßnahmen für bessere Luft in der Landeshauptstadt München durchzusetzen – obwohl sie hierzu gerichtlich angehalten ist. Bayerns Ministerpräsident Söder hatte seinerzeit sogar öffentlich verkündet, eine für seine Regierung nachteilige Gerichtsentscheidung nicht zu befolgen.

Da mehrere festgesetzte Zwangsgelder die Landesregierung bisher nicht dazu bewegen konnten, die eigene Bevölkerung hinreichend vor Schadstoffemissionen durch Diesel-Fahrzeuge zu schützen, droht höchsten Repräsentanten der bayerischen Staatsregierung nunmehr auch die Beugehaft. 

Einem Schreiben des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (VGH) vom 17. August 2018 zufolge, das LTO vorliegt, kommen für die "Erzwingungshaft" und den damit laut VGH "zu beseitigenden Rechts- und Verfassungsbruch" als sog. Organwalter nicht nur die Verantwortlichen der Regierung von Oberbayern, sondern auch der zuständige Umweltminister Marcel Huber (CSU) als auch CSU-Ministerpräsident Markus Söder in Betracht. Ob es letztlich zu derart drastischen Maßnahmen kommt, wird wohl der Europäische Gerichtshof (EuGH) klären. Der VGH jedenfalls erwägt, den EuGH diesbezüglich anzurufen. Europarechtler halten die Anfrage des VGH für "spektakulär" und eine Entscheidung des EuGH "pro Beugehaft" für gar nicht so unrealistisch.

Deutsche Umwelthilfe vs. Freistaat Bayern 

Die mögliche Entscheidung des VGH, den EuGH anzurufen, erfolgt im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens, das seitens der Deutschen Umwelthilfe (DUH) mit dem Ziel einer Beugehaft für Söder und Co. betrieben wird. Da es nach Auffassung des VGH im deutschen Recht möglicherweise an den nötigen rechtlichen Voraussetzungen zur Verhängung von Zwangshaft gegenüber Mandatsträgern fehle, soll der EuGH die Frage beantworten, ob sich diese eventuell aus dem Europarecht ergeben. 

Die DUH führt seit Jahren einen Rechtsstreit gegen den Freistaat Bayern. Die Umweltorganisation verlangt von der bayerischen Staatsregierung Maßnahmen für saubere Luft in München zu ergreifen und die entsprechenden Gerichtsurteile, die die Landesregierung hierzu verpflichten, umzusetzen. Bereits 2012 entschied das Verwaltungsgericht (VG) München, dass Maßnahmen zur schnellstmöglichen Einhaltung der Grenzwerte für Feinstaub und Stickstoffdioxid ergriffen werden müssen. 2016 wurde der Staatsregierung dann ein Zwangsgeld für den Fall angedroht, dass dies nicht bis Juni 2017 geschehe. Auf die hiergegen gerichtete Beschwerde des Freistaats beim VGH, entschied dieser per Beschluss, dass die  Staatsregierung Diesel-Fahrverbote vorbereiten und im Luftreinhalteplan zu veröffentlichen hat (v. 27.02.2017, Az. 22 C 16.1427). 

Zuletzt musste dann das  Bayerische Verwaltungsgericht (VG) München den Freistaat Bayern zu einem Zwangsgeld von 4.000 Euro verurteilen, weil er die Umsetzung des VGH-Urteils missachtete (Urt. v. 29.01.2018, Az. 22 C 16.1427 u.a.). Der Freistaat sei zur Vorlage eines Luftreinhalteplans samt Konzept für Dieselfahrverbote verpflichtet, um gegen die Überschreitung von Stickoxid-Grenzwerte vorzugehen. 

Gegen diesen Beschluss legte Bayern daraufhin Beschwerde ein. Doch auch hier scheiterte der Freistaat. Die Beschwerde wurde vom VGH per Beschluss am 14. August 2018 (Az.: 22 C 18.583 und 22 C 18.667) zurückgewiesen.  

Europarechtler: Bayern sollte Verfahren vor EuGH ernst nehmen 

Ob der VGH den EuGH in puncto Beugehaft anrufen wird, steht noch nicht sicher fest, wird aber erwartet. Zunächst wurden den Prozessbeteiligten eine Frist bis zum 28. September zur Stellungnahme gesetzt. Wie der Prozessvertreter der DUH, Rechtsanwalt Prof. Dr. Remo Klinger, gegenüber LTO ankündigte, werde die Umweltorganisation auf ein beschleunigtes Verfahren vor dem EuGH insistieren. Dann, so Klinger, würde eine Entscheidung nicht erst in eineinhalb Jahren sondern sogar schon in drei Monaten erfolgen. 

Klinger ist davon überzeugt, dass der EuGH im Sinne der DUH entscheiden wird: "Die Haft wird kommen, es sei denn die Staatsregierung lenkt unverzüglich ein." Der EuGH habe bereits im Jahr 2014 bestätigt , dass Gerichte jede erdenkliche Maßnahme ergreifen müssen, um das EU-Luftreinhalterecht durchzusetzen, so der Anwalt. 

Zuspruch bekommt die DUH von renommierten Rechtsanwälten. So hält der Europarechtler und Mitherausgeber der Neuen Juristischen Wochenschrift (NJW), Dr. Ulrich Karpenstein von der Anwaltskanzlei Redeker Sellner Dahs, eine Beugehaft für Söder und Co. für realistisch: "Bis vor drei, vier Jahren hätte der EuGH auf die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten verwiesen und sich an eine so heikle Materie wie die Beugehaft für gewählte Regierungschefs inhaltlich nicht herangewagt. Nach den Entwicklungen in Polen, Rumänien und Ungarn ist das anders", so Karpenstein im Gespräch mit LTO. 

Laut dem Anwalt ließen die EuGH-Richter derzeit wenig unversucht, um eine unabhängige und durchsetzungsfähige Dritte Gewalt in diesen und in anderen Staaten zu unterstützen. Karpenstein ist davon überzeugt: "Würde der EuGH hier den VGH stützen, setzt er zugleich ein massives Signal für die Rechtsstaatlichkeit in den auf der "roten Liste" stehenden anderen Mitgliedstaaten." Insofern könne die bayerische Landesregierung das kommende EuGH-Verfahren "gar nicht ernst genug nehmen - sofern sie es überhaupt dazu kommen lassen möchte". Dass der VGH ernsthaft und mit nachvollziehbaren Gründen eine Beugehaft für Ministerpräsident Söder prüfen lassen möchte, sei "spektakulär".

Bayern: "Keine Rechtsgrundlage im deutschen Recht"

Unterdessen gibt sich die bayerische Staatsregierung betont gelassen: "Wir sehen die Entscheidung des Gerichts mit großer Gelassenheit. Die Drohung mit Zwangshaft für Beamte und Politiker hat im deutschen Recht keine Rechtsgrundlage und ist daher unverständlich und absurd. Man muss sich schon sehr darüber wundern, wie das Gericht hier die Grenzen des Rechtsstaats im Übermaß auslotet," ließ Staatskanzleiminister Dr. Florian Herrmann LTO wissen. 

Allerdings: Sollte der VGH nunmehr dem EuGH den Fall vorlegen, wird es weniger um deutsches als um europäisches Recht gehen: Der VGH erwähnt in seinem Schreiben, zu dem auch der Freistaat Stellung beziehen soll, explizit Art. 47 Abs.1 der EU-Grundrechtecharta, in dem das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf verankert ist. Außerdem erwägt der VGH vom EuGH zu wissen, ob das EU-Gebot der effektiven Umsetzung des Unionsrechts durch die Mitgliedstaaten so auszulegen ist, "dass ein deutsches Gericht gegen Amtsträger eines deutschen Bundeslandes Erzwingungshaft anordnen darf oder ggf. sogar anordnen muss". 

Nach einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Februar 2018 sind Fahrverbote grundsätzlich zulässig (Urt. v. 28.02.2018, Az. 7 C 26.16 u. 7 C 30.17).  Einer bundesweiten Rechtsgrundlage, so das BVerwG, bedürfe es dafür nicht. Deutschland hat wegen der Luftverschmutzung in Städten bereits Ärger mit der EU. Die EU-Kommission hatte seinerzeit die bisherigen Anstrengungen für bessere Luft als nicht ausreichend kritisiert und die schnellstmögliche Einhaltung der Grenzwerte gefordert - andernfalls droht eine Klage gegen Deutschland beim EuGH. 

  • Drucken
  • Senden
  • Zitieren
Zitiervorschlag

EuGH könnte Bayerns Verweigerung gegenüber Fahrverboten prüfen: . In: Legal Tribune Online, 27.08.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/30587 (abgerufen am: 13.06.2025 )

Infos zum Zitiervorschlag
  • Mehr zum Thema
    • Verwaltungsrecht
    • Fahrverbot
    • Justiz
  • Gerichte
    • Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Bundesministerin der Justiz Stefanie Hubig (SPD) während einer Pressekonferenz anlässlich der Justizministerkonferenz. 13.06.2025
Asyl

Justizministerin Hubig zu Zurückweisungen an der Grenze:

"Dobrindt muss Begrün­dung sch­nell nach­lie­fern"

Zurückweisungen an der Grenze waren rechtswidrig, so das VG Berlin. Dazu müsse sich Innenminister Dobrindt endlich verhalten, findet Ministerkollegin Hubig. Dass man die Zurückweisungen noch irgendwie rechtfertigen kann, bezweifelt sie.

Artikel lesen
Eingang zum Justizzentrum in Gera 12.06.2025
Volksverhetzung

Vorwurf der Volksverhetzung gegen Vize des VG Gera:

Anklage gegen den Richter Bengt Fuchs erhoben

Die Staatsanwaltschaft Gera hat Anklage gegen den Vizepräsidenten des örtlichen Verwaltungsgerichts, Bengt Fuchs, erhoben. Ein Kommentar von ihm auf Facebook soll den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllen, so der Vorwurf.

Artikel lesen
Gebäude der "Staatsanwaltschaft Hamburg" 11.06.2025
Fachkräfte

Überlastete Justiz:

Offene Ermitt­lungs­ver­fahren in Ham­burg auf Rekord­hoch

Die Zahl offener Ermittlungsverfahren bei der Hamburger Staatsanwaltschaft hat mit 56.957 Fällen ein neues Rekordniveau erreicht – ein Alarmsignal, das aus Sicht des Hamburgischen Richtervereins nicht länger ignoriert werden darf.

Artikel lesen
V.l.n.r.: Stefanie Hubig (SPD), Bundesministerin der Justiz, Constanze Geiert (CDU), Justizministerin von Sachsen, Georg Eisenreich (CSU), Justizminister von Bayern, und Anna Gallina (Bündnis 90/Die Grünen), Senatorin für Justiz und Verbraucherschutz in H 06.06.2025
Politik

Frühjahrs-Justizministerkonferenz 2025 in Sachsen:

Das haben die Jus­tiz­mi­nister besch­lossen

Ein neuer Pakt für den Rechtsstaat, Mietrechtsänderungen für Opfer häuslicher Gewalt und die erleichtere Rückführung von NS-Raubkunst. Das und mehr hat die JuMiKo in Sachsen beschlossen. Zudem gab es eine Erklärung zu aktuellen Ereignissen.

Artikel lesen
Aktenberge in einem Büro 04.06.2025
Fachkräfte

Richterbund zum Pakt für den Rechtsstaat:

"Die Jus­tiz­mi­nister müssen jetzt lie­fern"

Der Deutsche Richterbund warnt vor dem Justizkollaps: Es fehlen Tausende Fachkräfte, Verfahren stocken, die Digitalisierung hinkt, die Gehaltsschere zur Wirtschaft öffnet sich weiter. Welche Lösungen wird die Justizministerkonferenz anbieten?

Artikel lesen
Einsatzfahrzeuge an Tatort in Berlin-Marzahn 04.06.2025
Mord

Wenn Männer Frauen töten:

Ein Mord­merkmal, um Femi­zide zu erfassen?

Der Femizid ist bisher kein Rechtsbegriff – aber angesichts der erschreckend häufigen Tötungsdelikte von Männern an Frauen wird nun diskutiert, ein weiteres Mordmerkmal zu schaffen. Wie könnte das aussehen?

Artikel lesen
logo lto karriere
TopJOBS
Logo von RechtDialog Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Rechts­an­wäl­te (m/w/d) als An­ge­s­tell­te oder in frei­er Mit­ar­beit

RechtDialog Rechtsanwaltsgesellschaft mbH , 100% Re­mo­te

Logo von Hengeler Mueller
Rechts­an­wäl­te (m/w/d) im Be­reich Health­ca­re/Li­fe Sci­en­ce

Hengeler Mueller , Ber­lin

Logo von Hengeler Mueller
Rechts­an­wäl­te (m/w/d) im Be­reich Öf­f­ent­li­ches Wirt­schafts­recht/...

Hengeler Mueller , Düs­sel­dorf

Logo von Deutsche Rentenversicherung Bund
Voll­ju­rist*in (m/w/div)

Deutsche Rentenversicherung Bund , Ge­ra

Logo von Stadt Wilhelmshaven
Voll­ju­rist*in (m/w/d) für die Lei­tung des Recht­sam­tes

Stadt Wilhelmshaven , Wil­helms­ha­ven

Logo von Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg
Staats­an­wäl­tin (Rich­te­rin auf Pro­be) / Staats­an­walt (Rich­ter auf Pro­be)...

Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg , Frank­furt (Oder)

Logo von Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg
Staats­an­wäl­tin (Rich­te­rin auf Pro­be) / Staats­an­walt (Rich­ter auf Pro­be)...

Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg , Pots­dam

Logo von Landtag Brandenburg
Par­la­ments­rä­tin/Par­la­ments­rat (B 2) als Re­fe­rent/in (m/w/d)

Landtag Brandenburg , Pots­dam

Mehr Stellenanzeigen
logo lto events
Logo von Hagen Law School in der iuria GmbH
Fortbildung Sportrecht im Selbststudium/ online

13.06.2025

Betriebsverfassungsrechtliches Kolloquium II

16.06.2025, Bonn

Bankrechtstag 2025 in Frankfurt am Main – Hybrides Format: Teilnahme vor Ort und Online –

27.06.2025, Frankfurt am Main

Green Legal Lab 2025

29.08.2025, Berlin

DRK-Sommerschule im Humanitären Völkerrecht

25.08.2025, Strausberg

Mehr Events
Copyright © Wolters Kluwer Deutschland GmbH