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Justizministerin antwortet zur Durchsuchung in SPD-Ministerien: Grüne sehen Belege für Jus­tizskandal rund um Bun­des­tags­wahl

von Dr. Markus Sehl

29.06.2022

BMJV

picture alliance / Kay Nietfeld/dpa | Kay Nietfeld

Niedersachsens Justizministerin hat umfangreich zur Vorgeschichte der Durchsuchungen 2021 in BMF und BMJV geantwortet, aber besonders heikle Momente nicht aufgeklärt, findet die Grünen-Fraktion.  

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Mehr als vier Monate Zeit ließ sich Niedersachsens Justizministerin Barbara Havliza (CDU) Zeit, um Nachfragen der Grünen-Fraktion im Landtag zu beantworten. Bei einem Thema, das nicht nur die niedersächsische Justiz, sondern vor allem das politische Berlin interessiert: Wie kam die Staatsanwaltschaft Osnabrück dazu, kurz vor der Bundestagswahl 2021 eine Durchsuchung im Bundesfinanzministerium (BMF) des damaligen Kanzlerkandidaten Olaf Scholz (SPD) und im damals ebenfalls SPD-geführten Bundesjustizministerium (BMJV) vorzunehmen?  

Die Antworten auf 34 Seiten, die LTO vorliegen, lassen sich verkürzt so zusammenfassen: Die Justizministerin und ihr Ministerium hätten von den Durchsuchungen in den SPD-Ministerien eigentlich gar nichts gewusst, die Durchsuchung in Berlin zu beantragen sei juristisch vertretbar gewesen, und nachträglich müssten in Niedersachsens Justiz keine Konsequenzen gezogen werden. Also alles halb so wild, weitermachen.

Das will die Fraktion der Grünen im Landtag so nicht durchgehen lassen, sie hatte der Ministerin den Fragenkatalog nach einer Anhörung im Rechtsausschuss geschickt und ist von den Antworten alles andere als begeistert. "Wir haben es mit einem Justizskandal zu tun, den die politisch verantwortliche Ministerin durch Ausreden und Wegschauen verniedlichen möchte", sagt die Fraktionsvorsitzende Julia Willie Hamburg. "Das Aufklärungsinteresse der niedersächsischen Justizministerin geht leider in jeder Hinsicht gegen Null." Bei den Grünen haben die Antworten der Ministerin offenbar spätestens jetzt erst recht den Ehrgeiz an der Aufklärung geweckt.

Der rechtspolitische Sprecher der Grünen im Bundestag Helge Limburg sagte zu LTO am Mittwoch: "Dieser Vorgang wird zeitnah auch auf Bundesebene thematisiert werden, die Bedeutung dieses Skandals geht über die Landesgrenzen Niedersachsens hinaus."

Was die Staatsanwälte im BMJV und BMF suchten

Kurz vor der Bundestagswahl im September 2021 war eine vierköpfige Gruppe der Osnabrücker Staatsanwaltschaft zu den Durchsuchungen in den beiden SPD-Ministerien nach Berlin gereist. Schnell stand die Frage im Raum, ob die Durchsuchung politisch motiviert war.  

Das Landgericht Osnabrück erklärte die Durchsuchung später für rechtswidrig, sie sei unverhältnismäßig gewesen. Auch eine dazu veröffentlichte Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft erklärte das Verwaltungsgericht Osnabrück unterdessen für teilweise "schlicht falsch", geeignet den Ruf des Ministeriums zu schädigen und damit ebenfalls rechtswidrig. Das Bundesjustizministerium hatte dazu die Staatsanwaltschaft verklagt – ein außerordentlicher Vorgang in der deutschen Justizgeschichte.   

Hintergrund der Durchsuchungen war ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt wegen des Verdachts der Strafvereitelung im Amt. Bei der bundesweit tätigen Antigeldwäscheeinheit FIU waren Geldwäscheverdachtsanzeigen eingegangen, die jedoch nicht an die Ermittlungsbehörden weitergeleitet wurden. Die Staatsanwaltschaft war bei ihren Ermittlungen auf der Suche nach einem bestimmten Schriftstück des BMJV, das auf eine telefonische Anfrage beim BMJV nicht herausgegeben wurde, sowie nach Kommunikation aus den Ministerien.  

Die Vorgeschichte zur Durchsuchung liest sich an zentralen Stellen wie eine Pannen-Geschichte, die Kommunikation zwischen Staatsanwaltschaft, Generalstaatsanwaltschaft und dem niedersächsischen Justizministerium von Barbara Havliza (CDU) wirkt merkwürdig lückenhaft.

Zweifel bei der Generalstaatsanwaltschaft: "Erforderlichkeit prüfen"

Obwohl auch nach den neuen Antworten aus dem Ministerium viele Leerstellen zu den Abläufen bleiben, gibt es in Nebensätze einige interessante neue Details und Hinweise. So hatte die Generalstaatsanwaltschaft, nachdem sie von den Plänen der Osnabrücker Staatsanwaltschaft Mitte August erfahren hatte, auf die Sensibilität hingewiesen und angeregt die Durchsuchung "äußerst gründlich auf die Zulässigkeit und Erforderlichkeit zu prüfen."  

Anfang September, nur wenige Tage vor der Durchsuchung fragte der Generalstaatsanwalt nach, ob die Durchsuchung wirklich noch in der Zeit vor der Wahl stattfinden müsse. Sie müsse, teilte die Staatsanwaltschaft mit. Und zwar wegen des Beschleunigungsgebots und einem drohenden Beweismittelverlust. Zwei Argumente, die sich wie ein roter Faden durch die Rechtfertigung der Maßnahme ziehen – aus Sicht der Staatsanwaltschaft war es also äußerst dringend. Allerdings vergingen zwischen der telefonischen Anfrage der Staatsanwältin im BMJV am 29. Juli, die mit einer Absage endete, und der Durchsuchung am 9. September in Berlin noch rund sechs Wochen.

Am Ende rückte die Durchsuchung zeitlich in die heiße Phase des Wahlkampfes. Der Generalstaatsanwalt habe laut der neuen Antworten darum gebeten, die Maßnahme noch einmal genau zu durchdenken und ihn zu informieren, wenn der Tag der Durchsuchung feststehe. Offenbar hatte man bei der Generalstaatsanwaltschaft auch juristisch kein gutes Gefühl bei der geplanten Durchsuchung. Die Generalstaatsanwaltschaft ist die vorgesetzte Behörde, sie hat die Fach- und Dienstaufsicht über die nachgeordneten Staatsanwaltschaften.  

Und auch bei der Polizei, genauer bei der Zentralen Kriminalinspektion Osnabrück, war man sich offenbar bewusst, dass hier etwas Außergewöhnliches vorbereitet wurde. Die Beamten wollten laut der Antworten nur an den Durchsuchungen als Unterstützer teilnehmen, wenn sie vorab ihrer vorgesetzten Dienststelle über den Vorgang berichten dürfen. Bei den Kriminalbeamten wollte man wohl mit der Verantwortung nicht allein sein. Am Ende sicherten sie ihre Teilnahme zu. An wen berichtet wurde, bleibt in den bislang gelieferten Antworten offen.  

Hat die Staatsanwaltschaft das Ministerium bewusst im Unklaren gelassen?

Die politisch interessante Frage ist: Was wusste die Justizministerin – die immerhin weisungsbefugt gegenüber der Staatsanwaltschaft ist? Am 12. August ging ein Bericht der zuständigen Staatsanwältin beim Ministerium ein, darin heißt es zu den Ermittlungen nur: "Es scheinen Folgemaßnahmen notwendig zu sein. Über die weiteren Entwicklungen werde ich nach spätestens drei Monaten berichten." Sechs Tage zuvor hatte die Staatsanwältin bei Gericht die Durchsuchungsbeschlüsse gegen das Bundesfinanz- und Bundesjustizministerium beantragt – und genau an diesem Tag, dem 6. August auch den Bericht für das Ministerium erstellt. Dass sie beim Schreiben ihres Berichts den wahrscheinlich wichtigsten Durchsuchungsantrag ihres Berufslebens vom selben Tag vergessen haben könnte, scheint kaum denkbar. Wollte oder sollte sie das Ministerium schlicht im Unklaren lassen? Sie fuhr jedenfalls erst einmal in den Urlaub, aus dem sie erst Ende August wieder zurückkehrte.

Offiziell wurde das Justizministerium erst am Tag der Durchsuchung morgens um kurz nach 9 Uhr per Mail über die laufenden Durchsuchungen informiert. Bereits am Vortag schickte am späten Nachmittag die Staatsanwaltschaft den Entwurf für eine entsprechende Pressemitteilung zur Durchsuchung, zu Kenntnis genommen wurde das laut Ministerin in der Pressestelle erst am nächsten Morgen. Zum ersten Mal sei Havliza vier Tage zuvor vom Generalstaatsanwalt am Rande einer Veranstaltung - ein Bischofsjubiläum im Osnabrücker Dom - informiert worden, dass es demnächst zu einer Durchsuchung von Bundesministerien kommen könne. Dabei seien ihr aber weder ein konkretes Datum noch weitere Einzelheiten genannt worden und sie sei davon ausgegangen, dass ihr ein Bericht auf dem Dienstweg zukommen würde.

Die Frage was das Ministerium wusste, ist deshalb wichtig, weil sich dann die Frage gestellt hätte, wie die Justizministerin darauf hätte reagieren sollen – eine heikle Frage. Die Ministerin antwortet nun: "Durch das Niedersächsische Justizministerium wäre es auch bei früherer Kenntnisnahme nicht zu einer Intervention gekommen, da die Staatsanwaltschaften ihre Ermittlungen eigenverantwortlich führen. Rechtsauffassungen, Einschätzungsprärogativen und Ermessensspielräume werden deshalb auch nach den selbstbeschränkenden Weisungsgrund-sätzen des Niedersächsischen Justizministeriums bis zur Grenze ihrer Vertretbarkeit akzeptiert."  

Das wäre aber genau die Frage gewesen: Hätte die geplante Durchsuchung vor dem Hintergrund ihrer politischen Brisanz nicht zumindest auf die Vertretbarkeit hin überprüft werden müssen?  

Und so weist der Fall auf ein grundlegendes Problem der deutschen Justiz hin, nämlich die Frage, wie unabhängig die Staatsanwaltschaft agiert und wer sie kontrolliert oder Konsequenzen zieht, wenn etwas so gründlich schiefgeht wie in diesem Fall.

Stand jetzt bleibt die Verantwortung aber in einem Schwebezustand: Es sind Fehler passiert, unglückliche Zufälle, unvollständige Kommunikation über die bevorstehenden Durchsuchungen - aber alles in allem soll sich das im Rahmen alltäglicher Fehlerketten gehalten haben, so stellt es die Justizministerin dar. Und so sieht sich das Ministerium auch nicht zu weiteren Schritten gezwungen, weder im Haus noch in der Justiz. Aus der Abteilung im Ministerium wurde ein Gespräch mit dem Generalstaatsanwalt geführt, der habe ein Gespräch mit der Staatsanwaltschaft geführt. "Damit ist das im Rahmen der Dienstaufsicht Erforderliche veranlasst worden", antwortete die Ministerin. Dienstliche Erklärungen hat sie zur Beantwortung der Fragen nicht einholen lassen.

Die Grünen im niedersächsischen Landtag wollen sich als nächstes um umfassende Akteneinsicht bemühen.

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Justizministerin antwortet zur Durchsuchung in SPD-Ministerien: . In: Legal Tribune Online, 29.06.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48890 (abgerufen am: 15.11.2025 )

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