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70 Jahre BVerfG: Kein Staatsakt, keine Torten

von Dr. Christian Rath

08.07.2021

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe

U. J. Alexander - stock.adobe.com

Das Bundesverfassungsgericht will zum Jubiläum im September zu den Bürgern kommen - diesmal allerdings vor allem digital. Christian Rath berichtet über die Karlsruher Pläne.

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In diesem Jahr feiert das Bundesverfassungsericht (BVerfG) seinen 70. Geburtstag. Es wurde am 28. September 1951 mit einem Festakt feierlich eröffnet. Kanzler war damals Konrad Adenauer, als Bundespräsident amtierte Theodor Heuss. Seitdem wird alle zehn Jahre besonders geferiert.

Beim bisher letzten runden Geburtstag vor zehn Jahren probierte das BVerfG etwas Neues: Nachdem die Reden und Grußworte von Kanzlerin Angela Merkel, Bundespräsident Christian Wulff und Ministerpräsident Winfried Kretschmann gehalten waren, führte das Regiekollektiv "Rimini Protokoll" ein furios berührendes Bürgertheater auf. Dabei kamen hundert repräsentativ ausgewählte Karlsruher auf die Bühne, Alte und Kinder, Arbeiter und Künstler, Badener und Ausländer. Unter dem Titel "100 Prozent Karlsruhe" formierten sie sich zu einigen Dutzend politischen und privaten Fragestellungen immer wieder neu. Fast alle waren für Windkraft und kaum jemand fühlte sich mit der Vorratsdatenspeicherung sicherer (da hatte sogar die Todesstrafe mehr Befürworter). Einige Dutzend befanden sich schon einmal in Lebensgefahr und zwei waren bereits im Gefängnis. Die politische und juristische Klasse dieses Landes begegnete bei dieser Aufführung der ganzen Vielfalt der Bevölkerung.

Beim nun anstehenden 70. Geburtstag wollte das Gericht wieder der Bevölkerung begegnen. Diesmal aber nicht nur in Karlsruhe, sondern in der ganzen Republik. Die 16 Richter:innen sollten mit 16 Torten auf 16 Marktplätzen, verstreut über das weite Land, mit den Bürgern:innen feiern, ins Gespräch kommen und diskutieren. Die originelle Idee wurde jedoch aufgegeben, als im Frühjahr 2021 die dritte Welle der Pandemie anschwoll und seitdem alle Gewissheiten zum weiteren Verlauf verschwunden sind.

Keine leichte Situation für den Festausschuss des Gerichts, dem neben sieben Mitarbeiter:innen vor allem die vier Verfassungsrichter:innen Doris König, Susanne Baer, Sibylle Kessal-Wulf und Josef Christ angehören. Das Leitmotiv - das Gericht kommt zu  den Bürgern - sollte bleiben, aber vor allem digital realisiert werden.

Karlsruhe findet eine Partnerin

Intensiv wird diesmal mit der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) kooperiert. Das Verfassungsgericht nutzt deren eingeführte Formate und wertet sie damit zugleich auf. Es dürfte eine Win-Win-Situation vorliegen.

So diskutieren fünf Verfassungsrichter:innen online im Rahmen des bpb-Forums über grundrechtliche Fragen. Die ersten beiden Veranstaltungen haben bereits stattgefunden: "Wie schützen Sie die Menschenwürde, Frau Prof. Dr. Baer?" (2. Juni) und "Ab wann ist es Diskriminierung, Frau Prof. Dr. Langenfeld?" (14. Juni). Weitere drei Diskussionen sollen folgen: "Gibt es Grenzen des Sagbaren (im Netz), Frau Prof. Dr. Härtel?" (28. Juli, 18 Uhr), "Wem gewähren wir Asyl in Deutschland, Herr Dr. Maidowski?" (4. August, 18 Uhr) und "Wie steht es um den Grundrechtsschutz in Europa, Herr Prof. Dr. Harbarth?" (22. September, 18 Uhr).

Im Rahmen des bpb-Formats "Die Politikstunde" wird Verfassungsrichterin Astrid Wallrabenstein über die Arbeitsweise des BVerfG informieren (Termin noch offen). Schulklassen und junge Studierende können sich dann über die sozialen Netzwerke mit Fragen am "Unterricht" beteiligen.

Statt einen eigenen Schülerwettbewerb aus dem Boden zu stampfen, ergänzt das BVerfG den gut eingeführten bpb-Schülerwettbewerb mit einer eigenen Aufgabe. Die Schüler sollen sich in Projekten mit dem denkbar weiten Zusatzthema 07 beschäftigen: "Das Grundgesetz schützen - Ein Fall für das Bundesverfassungsgericht?". Als Preis lockt eine dreitägige Klassenfahrt nach Karlsruhe, inklusive Besuch im BVerfG und Diskussion mit Verfassungsrichter:innen.

Rollwägen in Eventcubes

Zu den Bürger:innen geht das BVerfG auch im Rahmen des Fests zur deutschen Einheit in Halle. Dort wird sich das Gericht mit zwei Eventcubes beteiligen. Ein Eventcube ist ein quaderförmiger Container mit einer Glasfassade. Einer der beiden Container wurde von Kunststudierenden gestaltet und zeigt symbolisch anhand von Akten auf Rollwägen, wie viel Input in eine Karlsruher Entscheidung fließt.

Das Bürgerfest in Halle findet vom 19. September bis zum 3. Oktober statt. Die beiden Cubes sollen deshalb zugleich als Beitrag zum BVerfG-Geburtstag gewertet werden. Sie waren allerdings schon 2020 beim Einheitsfest in Potsdam im Einsatz.

Die Richterinnen und Richter haben damals offensichtlich Gefallen an den Cubes gefunden und wollen im September deshalb einen weiteren auf den Karlsruher Marktplatz stellen. So sollen auch die Menschen in Karlsruhe etwas vom Geburtstag ihres Gerichts mitbekommen. Quasi als Ersatz für den Festakt wird Gerichtspräsident Stephan Harbarth am 28. September auf dem Karlsruher Marktplatz ein Corona-konformes Grußwort an das Volk richten.

Zugleich soll am Gerichtsgebäude ein LED-Laufband angebracht werden, das in Dauerschleife die wichtigsten Urteile des BVerfG auflistet. Dies dürfte vor allem in den Abendstunden die Flanierenden im Karlsruher Schlossgarten erbauen. Doch was sind die wichtigsten Urteile? Dies heikle Frage hat nicht der Festausschuss entschieden, vielmehr wurden hieran - ganz basisdemokratisch - alle Richter:innen beteiligt.

Instagram ja, Facebook nein

Als Hinwendung zu den Bürger:innen kann auch der Entschluss des BVerfG gewertet werden, erstmals einen Instagram-Account einzurichten. Außerdem sollen die BVerfG-Kanäle auf Twitter und Youtube stärker genutzt werden. Nur Facebook soll tabu bleiben.

Bis zum Jubiläum soll eine Serie von Video-Clips produziert werden, die auch in den sozialen Netzwerken präsentiert werden kann. So soll zu jedem der sieben Jahrzehnte mit einem Zeitzeugen über das BVerfG und sein jeweiliges Verfahren gesprochen werden. Die Clips werden dabei in verschiedenen Längen angefertigt: Zwanzig Minuten für die Homepage des Gerichts, vier Minuten für Youtube und nur eine Minute für die Schnellblicker auf Instagram.

Ein zusätzlicher Kurzfilm soll die unsichtbare Arbeit des Gerichts besser verständlich machen. Die Richter:innen wollen erläutern, dass auch bei einer begründungslos abgelehnten Verfassungsbeschwerde viel Aufwand betrieben und gründlich geprüft wurde. All diese Medien sollen zwar bis zum Jubiläum fertiggestellt sein, sie werden vom Gericht aber langfristig eingesetzt. Insofern ist der Geburtstag nur der Anlass für die Produktionen.

Der Festausschuss des BVerfG hat sich also viele Bausteine für das Jubiläum überlegt. Eine medienträchtige Aktion wie das Tortenprojekt ist aber nicht dabei. Vielleicht kann diese Idee dann beim 75. oder beim 80. Geburtstag umgesetzt werden.

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70 Jahre BVerfG: Kein Staatsakt, keine Torten . In: Legal Tribune Online, 08.07.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45416/ (abgerufen am: 29.09.2023 )

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