Seit Harald Ranges Angriff auf Heiko Maas‘ "Eingriff in die Unabhängigkeit der Justiz" diskutiert Deutschland wieder über die Abschaffung des ministeriellen Weisungsrechts gegenüber Staatsanwälten. Und dann? - fragt sich George Andoor.
Der Skandal um die Netzpolitik.org-Ermittlungen des am Dienstag in den einstweiligen Ruhestand versetzten Generalbundesanwalts (GBA) weitet sich immer mehr aus. Hochrangige Juristen und Politiker fordern nicht nur personelle Konsequenzen, sondern auch Gesetzesänderungen. Im Fokus steht dabei die Diskussion um die Abschaffung des ministeriellen Weisungsrechts.
Hintergrund ist Harald Ranges Vorwurf an den Justizminister Heiko Maas, dieser habe sein externes Weisungsrecht nach § 147 Nr. 1 GVG missbraucht, um aus politischen Gründen Beweismittel zu unterdrücken und die Ermittlungen gegen die Betreiber des Blogs wegen Landesverrats zu unterbinden. Maas hingegen erklärte, eine Weisung habe es nie gegeben.
Sofort nach Bekanntwerden der Vorwürfe nutzte der Deutsche Richterbund die Gelegenheit, um seine seit einigen Jahren mehrfach geäußerte und bereits in einem Gesetzentwurf formulierte Forderung zu erneuern, das Weisungsrecht der Justizminister gegenüber den Staatsanwälten des Bundes und der Länder abzuschaffen. Dies fand viel Anklang unter den Rechtspolitikern und wurde auch in den Zeitungen breit diskutiert.
Nun kann man durchaus darüber streiten, ob es überhaupt sinnvoll ist, dass es sich bei dem obersten Staatsanwalt des Bundes um einen politischen Beamten handelt, dessen Amt von dem Vertrauen des Fachministers abhängig ist. So haben sämtliche Länder diesen Status für ihre Generalstaatsanwälte abgeschafft, diese sind mittlerweile Laufbahnbeamte, die nicht ohne Begründung einstweilen ihres Amtes enthoben werden können.
Daraus jedoch die Konsequenz zu ziehen, das ministerielle Weisungsrecht gegenüber der Staatsanwaltschaft ganz abzuschaffen und den Staatsanwälten die gleiche Unabhängigkeit einzuräumen wie den Richtern, wäre kurzsichtig.
Geschichte des Weisungsrechts
Das ministerielle Weisungsrecht bis in das Jahr 1846 zurück. Damals wagte Preußen ein bemerkenswertes Experiment. Mit dem Gesetz betreffend das Verfahren in den bei dem Kammergericht und dem Kriminalgericht zu Berlin zu führenden Untersuchungen vom 17. Juli 1846 wurde nämlich in Berlin das aus dem Kirchenrecht entwickelte Inquisitionsverfahren zugunsten eines reformierten Strafverfahrens außer Kraft gesetzt.
Die Gerichte sollten die Beweise nun in einem mündlichen, öffentlichen Verfahren unmittelbar erheben und frei würdigen. Gesetzliche Beweisregeln, wie sie noch das Inquisitionsverfahren kannte, wurden ebenso abgeschafft wie das Bestätigungsrecht des Justizministers. Auch die klassische Inquisition durch den überaus mächtigen Untersuchungsrichter wurde beseitigt und die Aufgabe der Ermittlung der Strafsache einer neuen Behörde übertragen: der Staatsanwaltschaft. Die gerichtliche Untersuchung setzt von nun an die Anklage durch die Staatsanwaltschaft voraus.
Das neu eingeführte Strafverfahren sah zudem vor, dass die Staatsanwälte in ihrer Amtsführung der Aufsicht des Justizministers unterworfen waren und den Anweisungen desselben Folge zu leisten hatten. Damit wollte man gerade sicherstellen, dass die Justizverwaltung, trotz der sachlichen Unabhängigkeit der Gerichte, Einfluss auf das Strafverfahren nehmen konnte.
2/2: Notwendiges Instrument parlamentarischer Kontrolle
Das ministerielle Weisungsrecht gegenüber Staatsanwälten ist aber keineswegs nur noch ein historisches Überbleibsel. Es dient heute auch nicht mehr dem Zweck, den Einfluss der Exekutive auf das Strafverfahren zu sichern.
Es handelt sich vielmehr um ein notwendiges Instrument der parlamentarischen Kontrolle der Exekutive – dieser gehört, das wurde in der aktuellen Diskussion gern vergessen, auch die Staatsanwaltschaft an.
Die parlamentarische, dem grundgesetzlichen Demokratieprinzip erwachsende Überwachungspflicht setzt zwingend eine ununterbrochene Verantwortungs- und Kontrollkette von jedem einzelnen Beamten bis zum Parlament voraus. Im Falle der Bundesanwaltschaft reicht sie von dem einzelnen Bundesanwalt über den GBA und den Justizminister bis zur Bundeskanzlerin.
Soll dem Justizminister die politische Verantwortung für die Handlungen der Bundesanwälte auferlegt werden, ist dies nur möglich, wenn dieser auch ein Weisungsrecht gegenüber den Beamten der Bundesanwaltschaft hat.
Jedenfalls in Fällen, in denen eine Staatsanwaltschaft zu rechtswidrigen Ermittlungsmaßnahmen greift oder es aus sachfremden Erwägungen unterlässt, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten, wäre sonst zu besorgen, dass niemand die politische Verantwortung für diese exekutiven Handlungen übernimmt. Die Tatbestände der Strafvereitlung im Amt (§ 258a StGB) bzw. Verfolgung Unschuldiger (§ 344 StGB) bieten hierfür zwar eine gewisse rechtliche Handhabe, nichtsdestoweniger muss in einem demokratischen Rechtsstaat stets sichergestellt sein, dass auch die politische Verantwortung für derartige Exzesse eindeutig bestimmbar ist. Nicht zuletzt der im Fall Mollath eingesetzte Untersuchungsausschuss des Bayerischen Landtages weist auf diese Notwendigkeit hin.
Staatsanwälte dem Parlament unterstellen?
Richter wiederum unterliegen nur deshalb keiner ministeriellen Weisung und mithin keiner parlamentarischen Kontrolle, weil sie die "Dritte Gewalt" im Staat darstellen. Es entspricht der Natur der Judikative, dass sie unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen ist. Exekutive Weisungsrechte gegenüber der Judikative wären in keiner Weise mit dem Grundsatz der Gewaltentrennung zu vereinbaren.
Doch selbst wenn man die Staatsanwaltschaft durch eine Verfassungsänderung der Judikative zuordnen würde, bestünde weiterhin ein Kontrolldefizit. Denn das gerichtliche Verfahren ist grundsätzlich öffentlich und mündlich. Dadurch ist eine unmittelbare Kontrolle der rechtsprechenden Gewalt durch das Volk gewährleistet. Das staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren dagegen ist ein im Großen und Ganzen geheimes Verfahren, das unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet.
Die Abschaffung des ministeriellen Weisungsrechts gegenüber Staatsanwälten hätte insofern zur Folge, dass sie als Behörde in ihrer Tätigkeit von jeglicher Kontrolle und Verantwortlichkeit freigestellt würde.
Denkbar wäre zwar, allein an einem ministeriellen Weisungsrecht gegenüber dem Generalbundesanwalt als Behördenleiter, bzw. in den Ländern gegenüber Generalstaatsanwälten festzuhalten. Doch würde ein solcher Schritt nicht den von einer Abschaffung des Weisungsrechts erwünschten Erfolg bringen. Solange die Staatsanwaltschaft weiterhin eine hierarchische Behörde darstellt, hätte dies nur zur Folge, dass die ministerielle Weisung – wie schon heute üblich – den Umweg über den Behördenleiter nimmt.
Insofern könnte eine Abschaffung des ministeriellen Weisungsrechts allenfalls erwogen werden, wenn der Generalbundesanwalt bzw. die Generalstaatsanwälte unmittelbar dem Parlament gegenüber verantwortlich wären. Dass eine solche Vermischung von Politik und Verwaltung eine Verbesserung gegenüber der gegenwärtigen Situation darstellen würde, darf man allerdings bezweifeln.
Der Autor Dipl.-Jur. George Andoor, Mag. iur., LL.Cert. ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Internationales Strafrecht bei Professor Dr. Frank Peter Schuster an der Universität Würzburg. Er promoviert derzeit zum Strafprozess- und Gerichtsverfassungsgesetz.
Dipl.-Jur. George Andoor, Mag. iur., LL.Cert., Abhängige Staatsanwälte: Und das ist auch gut so . In: Legal Tribune Online, 08.08.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16547/ (abgerufen am: 28.03.2024 )
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