Von den Sanktionen wegen des Ukraine-Krieges bleiben auch russische Sportler und Verbände nicht verschont. Sie werden von Wettbewerben ausgeschlossen, weil es der jeweilige Dachverband so will. Ob das rechtens ist, erläutert Martin Stopper.
Am 28. Februar beschlossen die Fußballverbände FIFA und UEFA als Konsequenz des russischen Angriffs auf die Ukraine, alle russischen Mannschaften von europäischen Klubwettbewerben sowie der anstehenden WM auszuschließen. Ein hiergegen gerichteter Eilantrag des russischen Fußballverbandes scheiterte vergangenen Dienstag vor dem internationalen Sportgerichtshof CAS. Eine Begründung des Gerichts liegt noch nicht vor. Was aber berechtigt die internationalen Sportverbände, derart drakonische Maßnahmen zu verhängen?
(Privat-) wirtschaftliche Sanktionen bedeuten im zivilrechtlichen Sinne einen radikalen Vertragsbruch aus gerechtfertigtem Grund: das Festhalten an der Vertragsbeziehung ist mindestens für die sanktionierende Partei nicht mehr zumutbar, die Geschäftsgrundlage ist entzogen.
Der Begriff des Wegfalls der Geschäftsgrundlage geht tatsächlich auf die Verhältnisse im Zusammenhang mit den Folgen des ersten Weltkriegs zurück. (Staats-)wirtschaftliche Sanktionen werden direkt auf die Verletzung des Völkerrechts einer Partei bezogen – es geht um staatliches Wirtschaftshandeln, die handelnden Parteien unterliegen dem Völkerrecht. Zudem können Staaten oder Staatengemeinschaften wie die EU der Privatwirtschaft Ausfuhrverbote erteilen.
Sportverbände als "hybrides Gebilde"
Auch die internationalen Sportverbände sanktionieren russische und weißrussische Sportler:innen und/oder ihre Nationalverbände in den verschiedensten Ausprägungen. In diesem Sinne wollen Sportverbände nicht nur "privat" handeln, aber dabei grundsätzlich nicht zu "staatlich"“ wahrgenommen werden, um sich eine politische Neutralität zu bewahren.
Mit dieser politischen wie rechtlichen Identifikation verstehen sich die Sportverbände als hybrides Gebilde. Sie wollen unpolitische Staatsferne und damit ihre Unabhängigkeit demonstrieren und in dieser Rolle aber auch nicht auf eine privatautonom dem Zivilrecht unterliegende Partei "reduziert" werden: Verbände fordern nämlich eine besondere Verbandsautonomie ein, die ihnen zum Beispiel in Deutschland durch das Grundgesetz in Artikel 9 zugesprochen wird und ihnen so Handlungs- und Gestaltungsspielräume gibt, die eine zurückgenommene zivilrechtlichen Inhaltskontrolle genießen sollen.
Die Verbandsautonomie und die selbst auferlegte Staatsferne machen es den Sportverbänden nun nicht gerade leicht, im Zusammenhang mit dem Angriffskrieg auf die Ukraine – der nicht nur einen Verstoß gegen das völkerrechtliche Gewaltverbot darstellt, sondern auch international postulierte Menschenrechte verletzt – die Sanktionen gegen ihre Mitgliedverbände aus Russland und Weißrussland zu verhängen, die so mancher Funktionär für angemessen hält: nämlich einen unumkehrbaren Verbandsausschluss, der über jeden Zweifel einer verbandspolitischen Entschlossenheit erhaben ist.
Sanktionen ohne Rechtsverletzung
Der Ausschluss russischer und weißrussischer Athlet:innen erfolgte im Unterschied zu den Maßnahmen gegen die nationalen Verbände weniger mit Sanktionscharakter, sondern zielte darauf ab, die Integrität der sportlichen Wettbewerbe zu schützen und die Sicherheit der Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu gewährleisten – und die sah man in Bezug auf diese Athlet:innen nicht mehr gegeben.
Die Sanktionsmöglichkeiten gegen Mitgliedsverbände sind vielfältig. Man kann die nationalen Verbände von Veranstaltungen wie olympischen Spielen oder Weltmeisterschaften ausschließen oder deren Mitgliedschaft für einen bestimmten Zeitraum aussetzen oder sie sogar beenden. Dennoch müssen solche Strafmaßnahmen auch eine Rechtsgrundlage aufweisen, die sich die Verbände verbandsautonom gegeben haben. Der Nationalverband muss sich also ein Fehlverhalten anlasten lassen, das tatbestandlich gegen eine Verbotsnorm verstößt. Erst dann ist festzulegen, welche Sanktion dieses verbotswidrige Verhalten nach sich zieht.
Die Olympische Charta bestimmt in Artikel 1.1 unter anderem, dass es Ziel der olympischen Bewegung ist, eine friedliche und bessere Welt zu erbauen. Solche und ähnliche Appelle, die kulturelle, sportlich und humanitäre Werte zu schützen, finden sich in vielen Verfassungen der internationalen Sportverbände. Die Appelle an die Mitglieder, verpflichtend Teil einer humanitären Bewegung zu sein, ist derzeit meistens der praktische Anknüpfungspunkt, um russische und weißrussische Verbände zu sanktionieren.
Mit dieser Methode werden nunmehr Sanktionen gegen Verbände ausgesprochen, die in der Regel selbst gar nicht an der Rechtsverletzung mitgewirkt haben. Es gab Überlegungen, den Verbänden ein pflichtwidriges Unterlassen vorzuwerfen, wenn sie die völkerrechtswidrigen Handlungen ihrer Staatsorgane nicht ausdrücklich missbilligen. Doch kann man eine solche Pflicht als übergeordneter Verband einverlangen, wenn sich denn das Mitglied und ihre Repräsentanten in repressiven Staaten wie Russland und Weißrussland damit möglicherweise selbst in Gefahr für Leib und Leben begeben? Auf diesem Grat möchte man nicht wandern.
Sportverbände "haften" für das Verhalten ihrer Regierung
Durch aktives Tun haben sich die nationalen Sportverbände also eigentlich nicht sanktionierbar gemacht. Ihnen selbst ist somit auch kein völkerrechtswidriges Verhalten vorzuwerfen. Aber das Verhalten der Staaten, die sie repräsentieren, muss ihnen zugerechnet werden können. Das muss der Anknüpfungspunkt sein. Nach den Statuten von IOC und der ihm angeschlossenen internationalen Sportfachverbände repräsentieren die nationalen Verbände ihr Land. Der Staat, den sie vertreten, muss nach den Statuten ein von der internationalen Staatengemeinschaft anerkannter und unabhängiger Staat sein. Und in jedem Land wird nur ein Verband als Mitgliedsverband anerkannt – das ist das Einplatzprinzip, das die internationalen Verbände erhalten wollen.
Die Nationalverbände können in Fragen der Einhaltung des Völkerrechts und des Schutzes international anerkannter Menschenrechte nicht autonom sein. Sie sind nicht nur Repräsentanten ihrer selbst oder ihres Sports – sie sind auch Repräsentanten ihres Landes und müssen für seine Taten verantwortlich gemacht werden können, wenn sie die rechtlich verankerten Grundwerte des menschlichen Zusammenlebens betreffen.
Diese Verbindung zwischen Politik und Sport kann man nicht trennen. Sie ist das Fundament für einen nationalen Sportverband und nur auf ihm kann er seine verfassungsgemäße Gestaltungsautonomie ausüben. Diese Selbstverständlichkeit muss jetzt Einzug in die internationalen Regelwerke des Sports finden.
Dr. habil. Martin Stopper ist Partner der auf Sportrecht spezialisierten Rechtsanwaltskanzlei Lentze Stopper. Dieser Artikel resultiert aus den Erkenntnissen, die er durch die Beratung internationaler Sportverbände zu diesen Themen seit Beginn des Kriegs in der Ukraine gewonnen hat.
Sanktionen wegen des Angriffskriegs gegen die Ukraine: . In: Legal Tribune Online, 17.03.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47858 (abgerufen am: 02.11.2024 )
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