Sex nachts am Strand? Vergessen Sie es! Spontan? Ohne vorher drüber zu sprechen? Gar betrunken? Keinesfalls. Alexander Stevens rät, nach "Nein heißt Nein" auch Bierflaschen besser nicht mehr mit dem Taschenmesser zu öffnen.
Niemand scheint sich der Tragweite dessen bewusst zu sein, was der Bundestag Anfang Juli eigentlich beschlossen hat. Statt sich zu fragen, was das neue Sexualstrafrecht bedeutet, ließ Deutschland sich lieber von Spiegel-Online-Kolumnistin Margarete Stokowski erklären, dass das Auto nach deutschem Recht besser geschützt sei als die Vagina, und es jetzt in Deutschland, dem Land der vielen Vergewaltiger, endlich "Nein heißt Nein" heißen müsse.
Man muss fürchten, dass es parteiübergreifend 100 Prozent Zustimmung für ein Gesetz gab, das niemand vorher gelesen, geschweige denn verstanden hat – am wenigsten vermutlich diejenigen, die es beschlossen haben. Wie auch, wenn Politik, Medien und Feministinnen die Novellierung des Sexualstrafrechts als so alternativlos darstellen, als sei, wer diese nicht für nötig hält, ein Befürworter von Vergewaltigung.
Jetzt ist "unmoralischer" Sex also endlich strafbar. Und auch auf andere Dinge werden wir künftig verzichten müssen. Das gilt, um es vorweg zu sagen, für Frauen ebenso wie für Männer.
2/8: Der erste Kuss
Den ersten Kuss, so wie wir ihn kannten, wird es nicht mehr geben. Denn ein überraschender Kuss ist nach dem Wortlaut des neuen Gesetzes nicht nur eine sexuelle Belästigung; er ist sogar eine sexuelle Nötigung. Strafbar macht sich jetzt gemäß § 177 Abs. 2 Nr. 3 Strafgesetzbuch (StGB), wer eine sexuelle Handlung an einer anderen Person vornimmt und dabei ein Überraschungsmoment ausnutzt.
Je nachdem, ob ein Richter einen Kuss als "erhebliche sexuelle Handlung" ansieht, drohen zwischen sechs Monaten und fünf Jahren Gefängnis. Bei einem Zungenkuss verurteilen manche Richter auch wegen Vergewaltigung, weil ein Eindringen in eine Körperöffnung erfolgt, nämlich den Mund. Die Freiheitsstrafe liegt bei zwei bis 15 Jahren.
3/8: Zu Dir oder zu mir?
Sex ist künftig nur noch an sicheren Orten erlaubt. Das sind nicht etwa, wie man meinen könnte, Orte, an denen Sie vor den Augen der Öffentlichkeit sicher sind. Im Gegenteil: Die alles entscheidende Frage nach dem ersten Kennenlernen "Zu Dir oder zu mir?" sparen Sie sich künftig lieber – jedenfalls, wenn Sie alleine leben.
Denn auch ohne dass ein klares "Nein" fallen müsste, droht dem Mann - aber auch der Frau - eine Verurteilung wegen Vergewaltigung, wenn man beim Geschlechtsverkehr eine Lage ausnutzt, in der das Opfer schutzlos ist (§ 177 Abs. 5 Nr. 3 StGB). Eine solche Schutzlosigkeit stellt nach geltender Rechtsprechung bereits die Wohnung des Täters her, wenn er diese allein bewohnt. Das Opfer ist schließlich seinem ungehemmten Einfluss des Täters ausgesetzt, ohne dass es fremde Hilfe erwarten könnte.
Künftig treffen Sie sich zum Sex also besser nur noch an Orten, wo zur Not mit hilfsbereiten Menschen zu rechnen ist, etwa einer WG oder dem Elternhaus. Aber Vorsicht, zu belebt darf der Platz auch wieder nicht sein: Sex in der Öffentlichkeit gilt als Erregung öffentlichen Ärgernisses und war bereits nach altem Recht strafbar.
4/8: Einfach mal im Bett landen oder: der gute alte Flirt
Im realen Leben kommen sexuelle Kontakte selten auf dem direkten Pfad der Kommunikation zustande. Selbst bei gern als Sex-Plattform bezeichneten Internetdiensten wie Tinder oder in sozialen Netzwerken bahnen sich sexuell getriebene Abenteuer zumeist mit einem höflichen "Hey, wie geht's?" an.
Man könnte, was im Vorfeld von Sex geschieht, Subtext nennen, Flirt vielleicht, oder einfach Erotik. Das Wenigste davon passiert - auch wenn die Befürworter der Reform das anders zu sehen scheinen - auf verbalem Wege. Oder wie oft stellen Sie im Schlafzimmer Katalogfragen wie: "Möchtest Du, dass ich jetzt deine Brust streichele und dann deinen Intimbereich und wir dann miteinander in der XY-Stellung Sex haben?" Aus diesem Grund stand auch Gerichten ein gewisser Beurteilungsspielraum bei der Frage zu, ob ein Nein im Einzelfall als Nein gewertet werden soll oder nicht. Bisher – denn jetzt steht doch im Gesetz, dass Nein Nein heißt. Oder?
Keineswegs. Im Gesetz steht nun, dass sich wegen sexueller Nötigung bzw. Vergewaltigung strafbar macht (§ 177 Abs. 1 StGB), wer gegen den erkennbar entgegenstehenden Willen (also auch ohne ein klar ausgesprochenes Nein) sexuelle Handlungen an einer Person vornimmt.
Wann ein solcher entgegenstehender Wille erkennbar ist und wann nicht, definiert das Gesetz allerdings nicht – das ist der richterlichen Auslegung überlassen. Kann ein trauriger Blick jetzt genügen, um als ein deutliches Zeichen eines erkennbar entgegenstehenden Willens zu genügen?
Sicherheitshalber sollten Sie künftig vor jeder sexuellen Handlung – auch innerhalb ein und desselben Geschlechtsaktes – explizit nachfragen, ob die jeweilige Handlung gewollt ist. Am besten alle 10 bis 20 Sekunden. Aber achten Sie bitte auf die Formulierung: Wenn Sie fragen "Möchtest Du, dass ich aufhöre?", würde ein "Nein" nicht "Nein", sondern "Ja" heißen!
5/8: Don't drink and …
Gravierende strafrechtliche Folgen kann es künftig auch haben, wenn der Abend etwas länger wird, es dabei nicht bei einem Glas Wein bleibt- und man in alkoholisiertem Zustand Sex hat. Nach neuer Rechtslage ist es nämlich nicht nur (wie früher) strafbar, wenn der Sexualpartner aufgrund seines körperlichen oder psychischen Zustandes widerstandsunfähig, also völlig weggetreten ist, was in etwa einem Alkoholpegel von 3 Promille entspricht.
Jetzt soll es vielmehr bereits ausreichen, wenn man(n) (oder frau) in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist. Ausnahme: Der "Täter" hat sich der Zustimmung des Opfers "versichert" (§ 177 Abs. 5 Nr. 2 StGB). Und das mit dem versichern sollte man sehr ernst nehmen. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu wörtlich, dass sich der Handelnde grundsätzlich auch dann strafbar macht, wenn der betrunkene Partner zwar im Nachhinein kundtut, dass er die sexuelle Handlung freiwillig an sich hat vornehmen lassen, der Beschuldigte sich hierüber aber nicht vorab versichert hat.
Noch gefährlicher wird es, wenn beide betrunken sind: Mangels verbaler oder anderweitig schlüssiger Kommunikationsfähigkeit dürfte Sex zwischen zwei Betrunkenen künftig gänzlich verboten sein. Sex muss also von nun an wie Autofahren gehandhabt werden: Wenn Sie zu müde oder zu betrunken sind, bitte nicht mehr ins Auto bzw. mit jemanden ins Bett steigen.
6/8: Heldentatan à la McGyver
Die Strafschärfung für das Beisichführen eines gefährlichen Werkezugs soll sich nicht verändern, der Wortlaut von § 177 Abs. 7 n.F. StGB wird dem aktuellen Absatz 3 der Vorschrift entsprechen. Und doch ändert sich einiges. Nach der bisherigen Gesetzeslage mag die Strafschärfung für das bloße Beisichführen eines gefährlichen Werkzeugs noch verständlich gewesen sein.
Derzeit ist schließlich auch noch eine echte Nötigung erforderlich. Der Strafschärfung von einem auf drei Jahre lag die Annahme zugrunde, dass ein Täter, der Gewalt anwendet, auch nicht unbedingt davor zurückschreckt, ein mitgebrachtes gefährliches Werkzeug zu verwenden, jedenfalls aber das Opfer diesen Eindruck haben kann.
Nach der neuen Lage genügt nun aber jegliche Überwindung eines entgegenstehenden Willens. Klassische Nötigungshandlungen oder gar Gewalt sind ja mit der neuen "Nein heißt Nein"-Lösung nicht mehr erforderlich: Eine Vergewaltigung braucht jetzt, ihrem Namen zum Trotz, keine Gewalt mehr.
Wer also in guter alter MacGyver-Manier ein kleines Schweizer Taschenmesser besitzt, das man(n) mal schnell zum Bieraufzumachen oder um sich des integrierten Zahnstochers nach dem Steak zu bedienen einsetzt, setzt sich im Falle einer der oben beschriebenen Handlungsweisen, wie etwa Sex mit einer angetrunkenen Person, der Strafgewalt von drei bis 15 Jahren Gefängnis aus, ohne auch nur irgendeine gewalttätige Handlung vorgenommen zu haben (§ 177 Abs. 5 Nr. 2 StGB).
7/8: Mit den Mädels um die Häuser ziehen
Nur in einem Punkt waren sich unsere Volksvertreter beim neuen Gesetz zur Reform der Reform des Sexualstrafrechts nicht so einig. Auf Drängen der CDU/CSU wurde beim sog. Grapscher-Paragraphen, dem neu beschlossenen § 184j StGB, eine Strafbarkeit nicht nur für denjenigen geschaffen, der eine andere Person sexuell belästigt, sondern auch für etwaige umherstehenden Personen, die sich als zum Täter zugehörige Gruppe darstellen.
Schließlich würden sie das Unrecht der Tat durch die Gruppendynamik erhöhen, auch ohne dass sie selbst an der Belästigung unmittelbar beteiligt wären, weil sie für das Opfer ein erhöhtes Gefahrenpotenzial bergen, so die Begründung, die natürlich auf die Vorfälle in der Silvesternach in Köln abzielt. Schließlich sehe sich das Opfer nicht nur einem Täter ausgesetzt, sondern einer Vielzahl von Personen mit motivierend wirkender Dynamik, die Hemmungen überwindet und auch seine Verteidigungs- oder Fluchtchancen stark einschränkt.
Eine Beteiligung der anderen setzt das vorgesehene Gesetz nicht voraus. So könnten sich, immerhin eine positive Auswirkung der gesetzgeberischen Pläne, die unsäglichen Junggesell(innen)abschiede in Großstädten schnell erledigen. Schließlich würde eine Frau, die dabei ihre Freude über den Verkauf von Ramsch aus einem Bauchladen an genervte Passanten mit einem Klaps auf dessen Po zum Ausdruck bringt, nicht nur sich, sondern auch all ihre lieben umstehenden Freundinnen gleich mit strafbar machen. Da kann man nur raten: Gehen Sie von nun an besser allein aus. Sonst laufen Sie Gefahr, für das unpassende Verhalten anderer ohne jegliches Zutun Ihrerseits gleich mitbestraft zu werden.
8/8: Was bleibt
Man kann sich damit trösten, dass sicherlich nur ein Bruchteil der unzähligen "Vergewaltigungen" und sexuellen "Belästigungen" nach dem Gesetz zur Bekämpfung des omnipräsenten Sexismus zur Anzeige kommen wird. Viele "Opfer" werden vermutlich noch nicht einmal wissen, dass sie Geschädigte – oder auch Täter - einer schweren Straftat geworden sind.
Insgesamt bin ich froh, in einem so sicheren Land zu leben. Und wir wissen alle: Wenn es in Deutschland ein Gesetz gibt, dann wird das auch umgesetzt. Mit Spannung dürfen wir auf das kommende Münchner Oktoberfest blicken. Es bleibt abzuwarten, ob die vom Gesetzgeber liebevoll ausgearbeitete "Nur-Ja-heißt-Ja"–Lösung von allen alkoholisierten Menschen regelkonform umgesetzt werden wird. Der Begriff des "erotischen Abenteuers" bekommt jetzt jedenfalls eine ganz neue Bedeutung.
Dr. Alexander Stevens ist Rechtsanwalt in München mit Tätigkeitsschwerpunkt auf der Verteidigung in Sexualstrafsachen. Er ist außerdem Autor des Buchs "Sex vor Gericht".
Dr. Alexander Stevens, Nie wieder "Zu Dir oder zu mir?": Sechs Dinge, die Sie beim Sex jetzt besser lassen sollten . In: Legal Tribune Online, 19.07.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20035/ (abgerufen am: 11.12.2023 )
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