Der Chef der Polizeigewerkschaft Rainer Wendt muss mit einem Disziplinarverfahren rechnen, das sei bereits nicht mehr zu verhindern. Das Verfahren könnte sogar zum Entzug der Beamtenpension führen, meint Robert Hotstegs.
Die Affäre um den Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) Rainer Wendt hat erste personelle Konsequenzen – und die kommen nicht aus dem öffentlichen Dienst oder der Politik: Es sind die ersten Gewerkschafter, die von Posten an seiner Seite zurücktreten.
Die Öffentlichkeit erfährt derzeit scheibchenweise Details über die Bezahlung und Umtriebigkeit des Bundesvorsitzenden der DPolG. Unter üblichen Vorzeichen wären Gehälter und Einkommen allenfalls moralisch zu bewerten oder Nebentätigkeiten an den Maßstäben der Gewerkschaft zu messen.
Der Fall Wendt ist aber nicht "üblich". Denn bislang sind nur wenige andere Beispiele bekannt geworden, die auch nur annähernd vergleichbar wären. Die vollständige Freistellung eines aktiven Polizeibeamten für Gewerkschaftstätigkeiten und die gleichzeitige Belassung der Besoldung ist einmalig. War dies schon Anlass genug, über beamten- und disziplinarrechtliche Maßnahmen nachzudenken, sind es die zwischenzeitlich bekannt gewordenen Aufsichtsratsmandate allemal.
Verlust der Bezüge bei schuldhaftem Fernbleiben
Das kurzfristigste und möglicherweise auch schon effektive Mittel der ersten Wahl müsste es für den Dienstherrn sein, die finanzielle Seite der Medaille aufzuarbeiten. Denn bleibt es bei der derzeitigen Sachlage, wonach Wendt zwar dem Landesamt für zentrale polizeiliche Dienste zugeordnet war, dort im Stellenplan – die Ironie lässt grüßen – dem Medienreferat zugeordnet war, tatsächlich aber nie Dienst tat, dann könnte der gesetzliche Automatismus greifen, wonach er seine Bezüge bereits für diese Zeit verloren hat.
Die Spezialvorschrift des § 11 Landesbesoldungsgesetzes (LBesG NRW) regelt: "Bleiben Beamtinnen, Beamte, Richterinnen oder Richter ohne Genehmigung schuldhaft dem Dienst fern, so verlieren sie für die Zeit des Fernbleibens ihre Bezüge. Dies gilt auch bei einem Fernbleiben vom Dienst für Teile eines Tages. Der Verlust der Bezüge ist durch die dienstvorgesetzte Stelle festzustellen."
Diese Regelung erweist sich als scharfes Schwert: Der Verlust tritt nämlich als gesetzliche Folge ein. Er ist lediglich noch – klarstellend – festzustellen. Im nächsten Schritt schon würden die Bezüge zurückgefordert.
Wendt müsste zum Dienst antreten
Ein derartiges Verfahren ist - samt vorheriger Anhörung, der Prüfung, ob Wendt sich nicht vielleicht doch auf eine Genehmigung berufen könnte und ggf. dann die Feststellung des Verlustes - innerhalb weniger Wochen durchzuführen. Sollte sich die von ihm beantragte Versetzung in den Ruhestand noch verzögern, dann kann dieser Verlust auch schon für die laufenden Tage und Wochen angekündigt werden*. Jedenfalls seitdem auch der NRW-Innenminister Ralf Jäger, Wendt nennt ihn "mein Minister", sich öffentlich positioniert hat, dürfte kein Zweifel daran bestehen, dass jedenfalls aktuell keine Genehmigung (mehr) vorliegt. Wendt hätte bereits in dieser Woche wieder – von sich aus – Dienst tun müssen.
Das wäre ein schönes Bild geworden, hätte Rainer Wendt plötzlich vor einem ihm unbekannten Dienstgebäude gestanden und dort sein eigenes Büro gesucht. Vermutlich hätte ihm niemand weiterhelfen können, weil man ihn auch im Raum- und Telefonverzeichnis nicht findet, lediglich im Stellenplan. Aber dies wäre wohl die konsequenteste Strategie gewesen, hätte Wendt die Bezüge seiner letzten aktiven Diensttage retten wollen.
Kürzung oder Aberkennung des Ruhegehaltes
Spätestens mit der Versetzung in den Ruhestand ist aber der Anwendungsbereich des Besoldungsgesetzes erschöpft. Es kann dann lediglich als Grundlage dienen, die nicht verjährten Zahlungen zurückzufordern.
Sollte sich in einem ordnungsgemäßen behördlichen Disziplinarverfahren herausstellen, dass sich die Zweifel an der Einhaltung aller Dienstpflichten bewahrheiten, sind zwei Sanktionen zu überdenken: die Kürzung der Ruhestandsbezüge bis zur maximalen Höhe von 20 Prozent auf drei Jahre oder die vollständige Aberkennung des Ruhegehalts.
Letztere Möglichkeit ist nicht vollständig auszuschließen, die Fallhöhe Rainer Wendts und die zumindest derzeit diskutierte Schwere der Verstöße lassen zumindest für den Beobachter das Verfahren geradezu auf die höchste aller Sanktionen gegen Ruhestandsbeamte hinauslaufen.
Mit dem Entzug der Pension gehen auch weitere Einschnitte einher: auch „der Anspruch auf Versorgung einschließlich der Hinterbliebenenversorgung und die Befugnis, die Amtsbezeichnung und die Titel zu führen, die im Zusammenhang mit dem früheren Amt verliehen wurden, [gehen] verloren.“ So regelt es § 12 Abs. 1 LDG NRW.
* Anm. d. Red., 13.3.2017, 18:38: Nach zwischenzeitlich erschienenen Medienberichten soll Rainer Wendts Antrag auf Versetzung in den Ruhestand bereits vor dem 7. März gestellt und bewilligt worden sein.
2/3: Dienstrecht gilt im Ruhestand weiter
Unabhängig von seinem Status als (noch) aktiver und bald im Ruhestand befindlicher Polizeibeamter greift aber jederzeit das Disziplinarrecht. Denn gerade weil Wendt den Status als Polizeibeamter nicht aufgegeben hat und weil er letzte Woche nicht die Entlassung aus dem Beamtenverhältnis als Konsequenz beantragte, sondern lediglich seine Versetzung in den Ruhestand, ist er weiterhin dem Dienstrecht in voller Härte ausgesetzt. Zwar gilt auch hier zunächst eine Unschuldsvermutung, die natürlich auch Gewerkschaftsvorsitzenden zuzusprechen ist.
Gleichwohl verdichten sich die Anzeichen dafür, dass es am Ende auch zu einem gerichtlichen Nachspiel und einer erheblichen Sanktion kommen könnte. Schließlich hatte Wendt "seinem Minister" gegenüber Verpflichtungen einzuhalten. Es scheint, als ob er dies vergessen hat.
Dabei darf zunächst außer Acht gelassen werden, dass schon die gesamte Freistellung und die Beibehaltung der Bezüge formell und materiell auf wackeligste Füße gestellt sein dürfte. Nun wurde bekannt, dass der Mann offenbar bei einem Versicherungskonzern und weiteren Unternehmen für Aufsichtsratstätigkeiten entlohnt wurde. Nun denkt auch die Öffentlichkeit vortrefflich darüber nach, ob er nicht daneben auch für jeden seiner legendären TV-Auftritte zwischen 300 und 1.000 Euro erhalten haben dürfte. Dann erschiene am Horizont die gesamte Drohkulisse des Rechts, das früher einmal "Strafdienstrecht" hieß.
Weitere Einkünfte neben der Besoldung
Das durch den Innenminister offenbar lediglich angeregte Disziplinarverfahren war nicht länger zu verhindern. Das Gesetz sagt in § 17 Abs. 1 S. 1 LDG NRW: "Liegen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vor, die den Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigen, hat die dienstvorgesetzte Stelle ein Disziplinarverfahren einzuleiten und die höhere dienstvorgesetzte Stelle hierüber unverzüglich zu unterrichten."
Schon das Fernbleiben vom Dienst war, egal ob mit oder ohne Billigung des Ministers, geeignet, zureichende Anhaltspunkte für ein Disziplinarvergehen zu liefern. Denn der "faktischen Freistellung" (Jäger) oder dem "speziellen Beschäftigungsverhältnis" (Wendt) könnte geradezu die Rechtswidrigkeit auf die Stirn geschrieben sein. Als ausgebildeter Polizeibeamter musste Wendt wissen, dass es zwar im Beamtenrecht an dem Austausch Arbeitsstunde gegen Stundenlohn fehlt. Dass aber die Alimentation ganz ohne jeden Dienst für das Land NRW gezahlt werden sollte, hätte von vornherein alle Beteiligten stutzig machen müssen.
Hinzu kommen die Fragen nach den weiteren Einkünften neben der Besoldung. War es dem Land stets bekannt, dass und in welcher Höhe die Gewerkschaft Wendt eine Aufwandsentschädigung bzw. ein Gehalt zahlte? Wie lange hat Wendt welche Funktion in welchen Gremien wahrgenommen? Aufsichtsratsmandate sind grundsätzlich anzeigepflichtig, Nebentätigkeiten genehmigungspflichtig.
3/3: Vermeidung des bösen Scheins
Vielleicht wären ihm sogar die Aufsichtsratsmandate genehmigt worden. Eine inhaltliche Prüfung aber wäre die Voraussetzung dafür. Denn der Staat hat kein Interesse daran und darf kein Interesse daran haben, dass seine Beamten von dritter Seite bezahlt werden und in Abhängigkeiten geraten. Gerade wenn dienstliche Interessen und private Interessen nicht immer deckungsgleich sind, ist hier schon der böse Schein zu vermeiden.
Darüber hinaus sehen sich auch in der Rechtsprechung der Verwaltungs- und Disziplinargerichte Polizeibeamte besonderen Anforderungen ausgesetzt: Sie sind es, die Recht und Gesetz durchsetzen sollen. Es ist Grundlage ihres Jobs, dass sie sich dabei selbst mit dem Recht vertraut machen und bestehende Gesetze einhalten. Das bedeutet nicht, dass es Wendt verboten gewesen wäre, Gesetzesänderungen anzuregen oder wider geplante Gesetzesvorhaben zu streiten. Aber er war (dienstlich) verpflichtet, das jeweils geltende Recht einzuhalten.
Nach den bislang im nordrhein-westfälischen Landtag bekannt gegebenen Informationen enthält die Personalakte von Wendt keinen Hinweis darauf, dass er tatsächlich vollständig freigestellt wurde. Erst recht mangelt es wohl an Hinweisen darauf, dass die notwendigen Ministererlaubnisse für die unbefristete Freistellung und die Zahlung der Bezüge vorliegen.
Hessen: Spezialregel für Ehrenamtliche
Der Fall dürfte geeignet sein, die Praxis der faktischen Freistellungen zu überdenken. Und zwar unabhängig davon, ob von allen Möglichkeiten Gebrauch gemacht wird und vielleicht die Aufarbeitung ergibt, dass der Dienstherr tatsächlich aktiv den derzeit diskutierten Rechtsverstoß wollte und Wendt einen Freibrief für Nebentätigkeiten und -einkünfte erstellt hatte.
Auch in Hessen gibt es vier Polizeigewerkschafter, die für ihre Aufgaben ganz oder teilweise vom Polizeidienst befreit wurden, aber weiterhin ihren Beamtensold erhalten. Die Rechtsgrundlage dafür sei das hessische Beamtengesetz, teilte das Innenministerium auf dpa-Anfrage am Mittwoch in Wiesbaden mit. Die Freistellungen seien aufgrund ihrer herausgehobenen Tätigkeiten für die Gewerkschaften erfolgt.
Tatsächlich hat der dortige Landesgesetzgeber mit § 69 Abs. 3 Hessisches Beamtengesetz (HBG) eine entsprechende Spezialvorschrift geschaffen. Danach können ehrenamtliche Politiker und Gewerkschafter weiterhin bezahlt werden.
Eine solche Regelung ist vielen anderen Beamtengesetzen fremd. In NRW hätte sie Wendt auch nicht geholfen, er war nach eigenem Anspruch nicht ehrenamtlich tätig. Ob eine derartige Förderung auch politisch sinnvoll ist, bedarf sicherlich ebenfalls einer Diskussion. Denn sowohl Gewerkschaften wie auch politische Organisationen dürfen kein Interesse daran haben, ihr (ehrenamtliches) Personal in staatlicher finanzieller Abhängigkeit zu beschäftigen. Ernstzunehmende Politik und Gewerkschaftsarbeit muss gerade diesen Sprung schaffen, auch wenn die Durststrecke zwischen einer rein ehrenamtlichen Organisation und einer (teilweise) hauptamtlich besetzen Struktur im Aufbau lang und anstrengend sein kann.
Oft war es die DPolG, die mit Blick auf aktuelle Vorfälle gesetzliche Verschärfungen einforderte. Momentan erscheint dies nicht nötig, aber eine Überprüfung der Verwaltungspraxis allerorten dürfte heilsame Wirkung entfalten können.
Der Autor Robert Hotstegs ist Fachanwalt für Verwaltungsrecht in der Hotstegs Rechtsanwaltsgesellschaft, Düsseldorf. Er ist Mitglied im Dienstgericht für Richter für das Land Nordrhein-Westfalen und Lehrbeauftragter der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW für das Fach Beamtenrecht.
Mit Materialien von dpa
Robert Hotstegs, Der Fall Rainer Wendt: Wo ist bloß mein Büro? . In: Legal Tribune Online, 10.03.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22346/ (abgerufen am: 26.04.2024 )
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