Druckversion
Samstag, 10.06.2023, 08:39 Uhr


Legal Tribune Online
Schriftgröße: abc | abc | abc
https://www.lto.de//recht/hintergruende/h/krieg-in-libyen-viele-moegliche-angeklagte-fuer-den-haag/
Fenster schließen
Artikel drucken
2857

Krieg in Libyen: Viele mögliche Angeklagte für Den Haag

Dr. jur. Denis Basak

24.03.2011

Der Weltsicherheitsrat hat die Militärschläge durch westliche und arabische Staaten abgesegnet. Wochen zuvor war der Internationale Strafgerichtshof mit Ermittlungen auch wegen möglicher Kriegsverbrechen beauftragt worden. Damit könnten außer Gaddafi und seinem Gefolge nun auch die anderen Konfliktparteien ins Visier der Strafverfolger geraten. Ein Kommentar von Denis Basak.

Anzeige

Die Luft- und Raketenangriffe auf Libyen sind international umstritten. Eine Residenz Gaddafis wird beschossen und westliche Politiker wollen zumindest nicht mehr ausschließen, dass auch der Revolutionsführer Libyens selbst zum Ziel der Angriffe gemacht wird.

Bisher nicht diskutiert wird aber der Zusammenhang mit den schon vor den Militärschlägen vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eingeleiteten Ermittlungen des Internationalen Strafgerichtshofs (International Criminal Court – ICC).

Da dieser zur Aufarbeitung der "Situation" in Libyen "seit dem 15. Februar 2011" ermächtigt ist, können neben den Verbrechen gegen die Menschlichkeit Gaddafis eben auch Kriegsverbrechen geahndet werden – auch solche, die von den anderen Konfliktparteien begangen werden.

Mandat des ICC hat sich nicht geändert

Mit seiner Resolution 1970 (2011) vom 26. Februar 2011 hat der Sicherheitsrat sehr schnell auf das brutale Vorgehen der Regierung Libyens gegen die bis zu diesem Zeitpunkt unbewaffneten Demonstranten reagiert und den ICC mit Ermittlungen beauftragt. Zu diesem Zeitpunkt ging es um militärische Angriffe der Regierung gegen Zivilisten und damit um Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach Art. 7 des ICC-Statuts.

In den wenigen Wochen seitdem ist viel passiert: Die Gegner Gaddafis, zu denen zunehmend auch Teile der libyschen Streitkräfte zählen, haben sich bewaffnet, der Konflikt zwischen ihnen und den regierungstreuen (Söldner-) Truppen hat den Charakter eines Bürgerkriegs angenommen – in der Terminologie des humanitären Völkerrechts eines "nicht-internationalen bewaffneten Konflikts". Dabei scheinen die besser ausgerüsteten und skrupellos vorgehenden Truppen des Machthabers nach und nach die Oberhand zu gewinnen.

Hier reagiert der Sicherheitsrat am 17. März 2011 ein weiteres Mal und autorisiert in Resolution 1973 (2011) auch auf Bitten der Arabischen Liga die Einrichtung und militärische Durchsetzung einer Flugverbotszone über Libyen sowie "alle notwendigen Maßnahmen" zum Schutz der Zivilbevölkerung unterhalb der Schwelle einer dauerhaften militärischen Besetzung des Landes. Mit Beginn der Luftschläge wird damit aus dem Bürgerkrieg ein internationaler bewaffneter Konflikt. Dies ändert aber nichts an dem bestehenden Mandat des ICC: Alles, was in Libyen geschieht, aus dem Blickwinkel des Völkerstrafrechts zu untersuchen.

Militärische Intervention unter strafgerichtlicher "Aufsicht" ein Novum

Damit stehen nicht mehr nur Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Frage, sondern auch Kriegsverbrechen nach Art. 8 ICC-Statut, und zwar unabhängig davon welche Partei des Konfliktes diese begangen hat. Potentiell sind damit auch Verfahren gegen alliierte Truppen denkbar, wenn es etwa zu Bombardierungen mit unverhältnismäßigen Kollateralschäden kommt (Art. 8 Abs. 2 (b) (iv) ICC-Statut). Ebenso sind Verfahren denkbar gegen Aufständische, sollten diese unter dem Schutz der Flugverbotszone ihrerseits offensiv vorgehen und dabei etwa Rache durch Angriffe auf zivile Anhänger Gaddafis Kriegsverbrechen nehmen (Art. 8 Abs. 2 (b) (i) ICC-Statut).

Eine militärische Intervention, die von Beginn an "unter der Aufsicht" eines internationalen Strafgerichts steht, gab es bisher noch nicht. Politisch sind Anklagen gerade gegen die alliierten Kräfte zwar höchst unwahrscheinlich, auch wenn der Chefankläger des ICC Moreno-Ocampo immer wieder die Unabhängigkeit des Gerichtshofs betont.

Dennoch scheint die Einbeziehung des ICC Einfluss zu haben: Die politischen Führer der intervenierenden Nationen sind bei der Formulierung ihrer Ziele sehr vorsichtig, sie betonen die Bemühungen zur Schonung der Zivilbevölkerung und vermeiden jeden Anschein eines unbedachten oder unverhältnismäßigen Vorgehens.

Nur wenn Staaten Verbrechen nicht selbst ahnden, wird ICC tätig

Bezüglich möglicher Attacken gegen Gaddafi selbst, die nicht ohne weiteres vom Wortlaut der Resolution 1973 (2011) gedeckt wären, rudern die wesentlichen Staaten wie etwa Großbritannien schon zurück. Ob diese Vorsicht zumindest auch auf dem Blick nach Den Haag beruht, wird sich wohl nie ganz klären lassen. Jedenfalls scheint es eine gewisse Sensibilität hinsichtlich der eigenen Verantwortung für die Einhaltung der Menschenrechte zu geben.

Nun zeigt der Blick auf praktisch jeden bewaffneten Konflikt der Vergangenheit, inklusive humanitärer Interventionen, dass es im Verlauf der Kampfhandlungen fast immer zu Situationen kommt, in denen einzelne Soldaten oder auch ganze Kampfverbände Kriegsverbrechen begehen – so zuletzt ein amerikanisches "Kill Team" in Afghanistan.

Dies muss aber nicht automatisch heißen, dass auch der ICC tätig wird. Dies ist nach Art. 17 ICC-Statut nämlich dann nicht zulässig, wenn ein zuständiger Staat selbst ein rechtsstaatlichen Mindeststandards genügendes Strafverfahren durchführt. So lange also die Entsendestaaten selbst das Nötige tun, um Verbrechen eigener Truppen zu ahnden, greift der ICC nicht ein. Im Libyen-Konflikt kann der ICC aber die Erfüllung dieser Aufgabe durch die beteiligten Staaten von Anfang an überwachen. Ob er dieser Verantwortung gerecht wird, kann nur die Zukunft zeigen.

Dr. Denis Basak ist akademischer Rat am Institut für Kriminalwissenschaften und Rechtsphilosophie der Goethe-Universität in Frankfurt und forscht und lehrt unter anderem zum deutschen und internationalen Straf- und Strafprozessrecht.

 

Mehr auf LTO.de:

UNO-Resolution zu Libyen: Sicherheitsrat autorisiert den Einsatz von Waffengewalt

Revolution in Libyen: Staatliche Souveränität vs. Menschenrechte

Mehr im Internet:

Resolution 1970 (2011) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen  vom 26.2.2011

Resolution 1973 (2011) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 17.3.2011

  • Drucken
  • Senden
  • Zitieren
Zitiervorschlag

Denis Basak, Krieg in Libyen: Viele mögliche Angeklagte für Den Haag . In: Legal Tribune Online, 24.03.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/2857/ (abgerufen am: 10.06.2023 )

Infos zum Zitiervorschlag
  • Mehr zum Thema
    • Europa- und Völkerrecht
    • Strafrecht
    • Kriegsverbrechen
23.03.2023
Generalbundesanwalt

Generalbundesanwalt gibt Überblick zu Ermittlungen:

Nord Stream, Reichs­bürger und die Geister des IS

Die Bundesanwaltschaft ermittelt in einer ganzen Reihe spektakulärer Fälle, auf der Jahrespressekonferenz gab es einen kurzen Ausflug in die griechische Mythologie und den Ausblick auf ein Justiz-Großverfahren historischen Ausmaßes. 

Artikel lesen
09.03.2023
Kriegsverbrechen

BGH hebt Urteil im Strafausspruch weitgehend auf:

IS-Rück­keh­rerin Jen­nifer W. droht höhere Strafe

Die IS-Rückkehrerin Jennifer W. versklavte zwei Jesidinnen und ließ eine von ihnen, ein fünfjähriges Mädchen, in der Hitze sterben. Das OLG München verurteilte sie dafür zu zehn Jahren Haft. Der BGH hat das Urteil im Strafausspruch aufgehoben. 

Artikel lesen
09.06.2023
Abfindung

Keine Einigung im Millionenstreit "Springer vs. Reichelt":

Sch­lechte Karten für Axel Springer

Der Springer-Verlag will zwei Millionen Euro Abfindung von seinem ehemaligen Chefredakteur Reichelt zurückerhalten, weil er vertrauliche Nachrichten weitergegeben habe. Nach einem gerichtlichen Sieg des Verlages sieht es nicht aus.  

Artikel lesen
09.06.2023
Trump (Donald)

Affäre um geheime Regierungsdokumente:

Trump nun auch vor Bun­des­ge­richt ange­klagt

Donald Trump muss sich ein weiteres Mal strafrechtlich verantworten. Er soll geheime Dokumente aus seiner Präsidentschaft später in seinem Privatanwesen gelagert haben. Die Anklage eines Ex-Präsidenten auf Bundesebene ist historisch.

Artikel lesen
08.06.2023
Medien

Schertz Bergmann übernimmt Vertretung:

Till Lin­de­mann geht in den Angriffs­modus über

Mehrere Frauen erheben schwere Vorwürfe gegen Rammstein-Sänger Till Lindemann. Es geht um K.O.-Tropfen, Alkohol und sexuelle Handlungen. Der Sänger kündigt nun mit Schertz Bergmann Rechtsanwälten rechtliche Schritte wegen der Vorwürfe an.

Artikel lesen
07.06.2023
Diskriminierung

Diskriminierungsvorwurf in München:

Jura­fa­kultät der LMU dis­tan­ziert sich von Semina­ran­kün­di­gung

An der LMU sorgt eine Seminarankündigung zum Arbeitsrecht für Aufsehen. Die zu diskutierenden Rechtsfragen darin seien diskriminierend und herablassend formuliert worden. Nun distanziert sich das Professorium von den Passagen seines Kollegen.

Artikel lesen
TopJOBS
Rechts­an­wält*in­nen (m/w/d) im Be­reich Wirt­schafts­straf­recht (Whi­te Col­lar,...

CLIFFORD CHANCE Partnerschaft mbB , Frank­furt am Main

Key Ac­co­unt Ma­na­ger Pu­b­lic (Ho­me Of­fice) (m/w/d)

Wolters Kluwer Deutschland GmbH , 100% Re­mo­te

Ju­rist*in (m/w/d) in Teil­zeit in der Stabs­s­tel­le für Be­tei­li­gungs­steue­rung...

Stadt Köln , Köln

Se­nior Di­gi­tal Pro­duct Ma­na­ger - WKO (m/w/d)

Wolters Kluwer Deutschland GmbH , Hürth

Ju­rist als Di­gi­tal Con­tent Ma­na­ger / Re­dak­teur (m/w/d)

Wolters Kluwer Deutschland GmbH , Hürth

PRAK­TI­KAN­TEN (M/​W/​D) AR­QIS SUM­MER SCHOOL 2023

ARQIS , Düs­sel­dorf

Geld ver­die­nen als Te­le­fon­an­walt / Te­le­fon­an­wäl­tin

DAHAG Rechtsservices AG , 100% Re­mo­te

Chief Pro­duct Ma­na­ger - di­gi­ta­les Pro­dukt­ma­na­ge­ment WKO (m/w/d)

Wolters Kluwer Deutschland GmbH , Hürth

Alle Stellenanzeigen
Veranstaltungen
K2L Innovationstag 2023 - brandaktuelle Vorträge geben Anregungen zum Erfolg der Kanzlei

21.06.2023, Nürnberg

Einführung in das Markenrecht für junge Anwältinnen und Anwälte

20.06.2023

Fachanwaltslehrgang Sozialrecht im Fernstudium/online

19.06.2023

Jahresveranstaltung kölner forum medienrecht: Datenrecht – Nutzung und Nutzen mit Mehrwert?

22.06.2023, Köln

Juristinnen netzwerken ... - After Work live in Frankfurt/Main

21.06.2023, Frankfurt am Main

Alle Veranstaltungen
Copyright © Wolters Kluwer Deutschland GmbH