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Kinderrechte und Grundgesetz: Weniger ist mehr

Dr. Birgit Spießhofer

01.06.2011

Kinder

© Ramona Heim - Fotolia.com

Forderungen nach einer expliziten Verankerung der Rechte von Kindern in der Verfassung sind älter als die BRD selbst. Zuletzt appellierte die Hamburger Bürgerschaft an den Senat der Hansestadt, entsprechende Bundesratsinitiativen zu unterstützen oder selbst anzugehen. Tatsächlich würde schon eine kleine sprachliche Ergänzung im Grundgesetz genügen, meint Birgit Spießhofer.

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Bereits der 1948 gegründete Parlamentarische Rat diskutierte einen besonderen Schutz der Kinder durch die staatliche Ordnung. In neuerer Zeit bemüht sich das Aktionsbündnis Kinderrechte bestehend aus Unicef, Deutschem Kinderhilfswerk und Deutschem Kinderschutzbund um die Einfügung eines Artikels 2a in das Grundgesetz (GG), der die wesentlichen Garantien der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen (KRK) aufnimmt.

Die Länderverfassungen sehen größtenteils Kinderschutzreglungen vor, wenn auch in jeweils unterschiedlicher Ausformung. Auch die Charta der Grundrechte der Europäischen Union hat in Art. 24 Abs. 2 den Vorrang des Kindeswohls entsprechend Art. 3 Abs. 1 KRK verankert.

Es zeigt sich: Die aktuelle Forderung der Hamburger Bürgerschaft ist nur Teil einer seit langem auf vielen gesellschaftlichen und politischen Ebenen geführten Diskussion.

Detaillierte Formulierungen garantieren noch keinen besseren Schutz

Während hinsichtlich des Ziels eines verbesserten Schutzes von Kindern weitgehende Einigkeit besteht, gehen die Auffassungen auseinander, was die Verortung im GG, die Reichweite der Gewährleistung und die Detailliertheit der Formulierung betrifft. Weit verbreitet scheint dabei die Annahme zu sein, dass der Kinderschutz umso besser wird, je umfangreicher und detaillierter die Formulierung ist, die Eingang in die Verfassung finden soll.

Dies ist jedoch mitnichten zwingend - im Gegenteil kann eine mit Worten sparsame Ergänzung des Verfassungstextes im Ergebnis effektiver sein. Sie ermöglicht eine interpretative Weiterentwicklung und Anpassung  des Kinderschutzes an neue Gegebenheiten durch die Rechtsprechung, wahrt die Kompetenzverteilung zwischen Verfassungs- und einfachem Gesetzgeber und verhindert, dass die Aufnahme der Kinderrechte in die Verfassung – wie in Österreich - nur als symbolischer Akt oder programmatische Aussage gewertet wird.

Soziale Leistungsrechte im Konzept der Verfassung nicht vorgesehen

Kinder- und Jugendrechte sind bereits durch das derzeit geltende GG weitgehend abgesichert. Selbstverständlich sind sie wie Erwachsene auch Träger der Grundrechte und genießen deren Schutz. Zudem hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seiner Entscheidung vom 1. April 2008 (Az. 1 BvR 1620/04 ) die Position von Kindern nochmals erheblich gestärkt und betont, dass das Kind als Grundrechtsträger Anspruch auf den Schutz des Staates und die Gewährleistung seiner grundrechtlich verbürgten Rechte hat. Dem in Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG garantierten Recht der Eltern auf Pflege und Erziehung ihres Kindes korrespondiere eine entsprechende Pflicht gegenüber dem Kind sowie ein Anspruch des Kindes gegenüber seinen Eltern auf Pflege und Erziehung.

Angesichts dessen stellt sich die Frage, was eine weitergehende explizite Ausformulierung von Kinderrechten in der Verfassung zusätzlich leisten kann und soll.

In vielen Reformvorschlägen sind die in der KRK vorgesehenen Rechte auf Bildung, bestmögliche Entwicklung und Förderung der Persönlichkeit enthalten. In verfassungsrechtlicher Ausgestaltung wären dies soziale Leistungsrechte, die aber nicht in die Konzeption des GG als einer unmittelbar justiziablen Verfassung passen.

Im Übrigen müssten bei der konkreten Einräumung von Leistungsansprüchen auch deren Grenzen definiert und die entsprechenden finanziellen Ressourcen bereitgestellt werden. Dies ist jedoch Aufgabe des einfachen Gesetzgebers, die Verfassung kann dies nicht leisten.

Schließlich ist es wegen des staatsgerichteten Charakters der Grundrechte und der auch ansonsten in der Verfassung nicht vorgesehenen unmittelbaren Drittwirkung von Grundrechten gegenüber Privaten nicht möglich, eine Verpflichtung privater Einrichtungen – wie in den Reformvorschlägen gefordert - verfassungsrechtlich zu verankern. Diesem  legitimen Anliegen kann daher nur durch die Verbesserung einfacher Gesetze Rechnung getragen werden.

Verdeutlichung der staatlichen Schutzpflicht

Anders verhält es sich hingegen bei der in Art. 3 Abs. 1 KRK enthaltenen vorrangigen Berücksichtigung des Kindeswohls bei Maßnahmen von öffentlichen Stellen, die Kinder betreffen. Dies ist ein Belang, der auf verfassungsrechtlicher Ebene durch eine ausdrückliche Regelung gegenüber der gegenwärtigen Rechtslage verstärkt werden kann und auch sollte.

Dabei ist zu beachten, dass sich aus der KRK keine Verpflichtung zu einer derartigen Regelung gerade durch die Verfassung ergibt. Allerdings wäre eine solche ausdrückliche Hervorhebung des Kinderschutzes in der Verfassung eine wichtige Leitlinie für alle Maßnahmen öffentlicher Stellen.

Die KRK fordert im Übrigen keinen absoluten Vorrang des Kindeswohls in dem Sinne, dass sich dies in jedem Einzelfall stets durchsetzen müsste. Dies widerspräche auch dem verfassungsrechtlichen Gebot praktischer Konkordanz, das eine angemessene Berücksichtigung aller verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgüter verlangt. Gleichwohl würde eine derartige Regelung das Gewicht der Kinderbelange im Rahmen der Abwägung deutlich verstärken.

Vor diesem Hintergrund empfiehlt es sich, die im GG bereits angelegte und vom BVerfG betonte staatliche Schutzpflicht zu verstärken. Diese wirkt nicht nur auf das öffentliche Recht ein, sondern strahlt über die staatliche Gesetzgebung und Rechtsprechung auch auf das Zivilrecht aus. Dafür bedürfte es auch nur einer kleinen sprachliche Änderung des Wortlauts von Art. 6 Abs. 1 GG – eine Formulierung, die seinerzeit schon im Parlamentarischen Rat vorgeschlagen wurde: "Ehe, Familie und Kinder stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung."

Die Autorin Dr. Birgit Spießhofer, M.C.J. (New York) ist Rechtsanwältin und Mitglied des Verfassungsrechts- und des Menschenrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins.

 

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Dr. Birgit Spießhofer, Kinderrechte und Grundgesetz: Weniger ist mehr . In: Legal Tribune Online, 01.06.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/3422/ (abgerufen am: 05.03.2021 )

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