Dass der Staat eine Liste indizierter Medien führt, mag noch angehen. Dass jedoch diese Liste selbst geheim ist, geht nun wirklich zu weit – findet zumindest der Berliner Rechtsanwalt Marko Dörre, und zog deswegen vor Gericht. Bisher erfolglos, die Namen und Adressen der betroffenen Webseiten dürfen weiter nicht veröffentlicht werden. Und die großen Suchmaschinenbetreiber spielen bei der staatlichen Zensur mit.
"Eine Zensur findet nicht statt", heißt es im Grundgesetz. Treffender formuliert wäre womöglich: "Eine Zensur findet nicht mit Ihrem Wissen statt". Denn zensiert wird durchaus, wenn auch bekanntlich erst im Wege einer Nachzensur, dann allerdings mit dem vollen Instrumentarium des Jugendschutzgesetzes (JuSchG): Werbeverbot, Verbot der Ausstellung im Einzelhandel, unter Umständen sogar ein absolutes Verbreitungsverbot. Das ist durchaus zulässig, schließlich heißt es in Abs. 2 des eingangs zitierten Art. 5 Grundgesetz (GG): "Diese Rechte finden ihre Schranken in den […] gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend […]"
Was dem einen oder anderen jedoch Magenschmerzen bereitet, ist die Tatsache, dass die Liste der von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) indizierten Werke teilweise geheim geführt wird. Öffentlich einsehbar sind lediglich die Abschnitte A und B, in denen jugendgefährdende Trägermedien (das heißt CDs, DVDs, Blu-Rays, Bücher usw.) aufgezählt sind. Die Teile C und D, die sich ganz überwiegend auf Telemedien, also Webseiten beziehen, bleiben der Allgemeinheit jedoch verborgen.
Liste soll nicht als Wegweiser zu jugendgefährdenden Inhalten missbraucht werden
"Wie immer beim Thema Jugendschutz hat der Gesetzgeber auch hier eine Abwägung treffen müssen", erklärt Marc Liesching, Professor für Medienrecht und Medientheorie an der HTWK Leipzig und kürzlich auf Seiten der BPjM in einem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht (VG) Köln um die Herausgabe von Teilen C und D der Liste jugendgefährdender Medien tätig. "Bei einer Veröffentlichung der Liste bestünde die Gefahr, dass Jugendliche sie als Wegweiser zu exakt den Inhalten verwenden würden, vor denen sie eigentlich geschützt werden sollen."
Zwar, so räumt Liesching ein, sind die in den Teilen A und B der Liste geführten Titel öffentlich verfügbar. Doch hätten Jugendliche auf die Inhalte faktisch keinen Zugriff, da diese erst an volljährige Personen abgegeben werden dürfen. "Bei Webseiten besteht diese Kontrollmöglichkeit nicht, zumal, wenn sie im Ausland stehen, was auf einen Großteil der indizierten Angebote zutrifft. Umso wichtiger ist es, dass die gesammelte Adressliste nicht bekannt wird", kommentiert der erfahrene Medienrechtler.
Dagegen gibt es indes auch Einwände - einige davon trägt Rechtsanwalt Marko Dörre, Kläger in dem Verfahren vor dem VG Köln und Betreiber des Blogs pornoanwalt.de, vor: "Zunächst einmal finde ich es im Grundsatz bedenklich, wenn der Staat Inhalte indiziert, und dem Bürger nicht einmal mitteilt, um welche Inhalte es sich dabei handelt", so der Berliner Anwalt, der selbst als Jugendschutzbeauftragter tätig ist. "Außerdem bringt das Ganze auch praktische Probleme mit sich."
Auch bei fahrlässiger Verlinkung droht Bußgeld
Die sehen laut Dörre folgendermaßen aus: Gemäß § 24 Abs. 1 Nr. 3 Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) begeht eine Ordnungswidrigkeit, wer indizierte Inhalte "verbreitet oder zugänglich macht". Darunter fällt bereits das Setzen eines Links auf die betreffende Seite, zum Beispiel von einem privaten Blog aus. "Bei eindeutig pornographischen Inhalten kann man sich zwar auch so denken, dass eine Verlinkung nicht erlaubt ist", erklärt der Berliner. "Aber es gibt auch Seiten, die wegen sogenannter Unsittlichkeit indiziert werden. Wann das nun im Einzelnen vorliegt, ist Wertungsfrage, und ohne Einsicht in die Liste kaum zu beantworten."
Zwar besteht die Möglichkeit, bei der BPjM eine Anfrage hinsichtlich des Prüfstatus' einzelner Webseiten zu stellen. Das ist aber mühsam und nicht jedem bekannt. "Außerdem ist das für Betreiber von Internetforen ausgesprochen unpraktisch", erklärt Dörre. "Wenn diese Zugriff auf die Liste hätten, könnten sie einen Filter entwickeln, welcher die Posts ihrer User automatisch nach Links auf indizierte Webseiten scannt und diese entfernt. So hingegen müssen sie jeden Post manuell durchgehen und gegebenenfalls jeweils eine Anfrage an die BPjM schicken. Der Aufwand steigt, und ein Bußgeld, welches bis zu 500.000 Euro betragen kann, schwebt drohend im Raum."
Er ist daher der Meinung, dass ein Anspruch auf Herausgabe der Listenteile C und D nach dem IFG (Informationsfreiheitsgesetz) bestehen müsste. Auf das abweisende erstinstanzliche Urteil des VG Köln hat er Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. BPjM-Vertreter Liesching hingegen hält die Lage für eindeutig: "Es ist gesetzlich klar angeordnet, dass diese Listenteile 'nicht öffentlich' bleiben sollen, daran muss die BPjM sich halten. Wenn diese Liste öffentlich würde und Jugendliche sie als eine Art 'best of' der Abgründe des Internets sähen, würde der Gesetzeszweck in sein Gegenteil verkehrt. Zudem enthält Teil D nicht bloß jugendgefährdende Inhalte, sondern auch solche, die strafrechtlich relevant sind - zum Beispiel Kinderpornographie. Eine Veröffentlichung hielte ich auch vor diesem Hintergrund, ungeachtet der klaren Rechtslage, für sehr problematisch."
Was die Suchmaschinen nicht listen, existiert für die meisten Nutzer nicht
Problematisch kann man mit gutem Grund aber auch die derzeitige Situation finden. Die Heimlichkeit, welche das Indizierugsvefahren umgibt, wird nämlich zusätzlich durch das Vorgehen der großen Suchmaschinen verschärft. Deren deutsche Ableger Google.de, Ask.de, Bing.de, Yahoo.de und Suchen.de haben sich im Verhaltenssubkodex der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter e.V. (FSM) verpflichtet, die von der BPjM indizierten Telemedien - derzeit sind dies gut 3.000 Webseiten - nicht in ihren Suchergebnissen aufzuführen.
Wer also etwa auf Google.de nach "Youporn" sucht, der findet zwar eine ganze Reihe flankierender Links, aber keinen, der auf die eigentliche Startseite des bekannten Streamingdienstes führt. Das mag für einen Anbieter mit entsprechend hohem Bekanntheitsgrad noch zu verschmerzen sein. Für Angebote wie zum Beispiel "Sklavenzentrale" (hier bewusst ohne Topleveldomain angegeben) bedeutet die mangelnde Auffindbarkeit in Suchmaschinen dagegen einen realen Einschnitt in die Besucherzahlen. Der - auch volljährige - Bürger kriegt dadurch nicht einmal mit, was ihm entgeht: "Die Suchmaschinenanbieter dienen als Gatekeeper zum Internet", führt Dörre aus, "wer dort nicht gelistet wird, der existiert für die meisten Nutzer einfach nicht."
Zwar haben sich Google & Co aus freien Stücken zur Achtung der BPjM-Liste verpflichtet. Branchenkenner vermuten hinter dem vorauseilenden Gehorsam jedoch auch sanften Druck der Politik: Lieber gleich den Forderungen des Jugendschutzes entsprechen, bevor in Berlin über eine gesetzliche Regelung der Haftung für Suchmaschinenbetreiber nachgedacht wird. Und diese Forderungen sind beträchtlich: Laut Marko Dörre lag Deutschland im zweiten Halbjahr 2011 weltweit auf Platz 3 und europaweit auf Platz 1 der behördlichen Löschungswünsche.
Constantin Baron van Lijnden, Youporn & Co auf geheimer Liste jugendgefährdender Medien: . In: Legal Tribune Online, 22.07.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9163 (abgerufen am: 15.10.2024 )
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