Die Welt kämpft gegen den Zustrom ausländischer Kämpfer an die IS-Miliz. Der UN-Sicherheitsrat macht nun allen Mitgliedstaaten verbindliche Vorgaben, möglicherweise muss auch das StGB geändert werden. Der Kampf gegen den "Terror-Tourismus" erodiert damit weiter die Grundsätze staatlicher Souveränität zugunsten eines Weltsicherheitssystems, findet Denis Basak.
Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (UN) hat am Mittwoch einstimmig eine verbindliche Resolution verabschiedet, um die IS-Miliz im Nordirak und Syrien bei der Rekrutierung ausländischer Kämpfer zu behindern. Die Mitglieder sind nun verpflichtet, die Vorgaben innerstaatlich umzusetzen und möglicherweise ihre Gesetze entsprechend zu ändern – ein erheblicher Eingriff in ihre Gesetzgebungshoheit. Der Zweck erscheint einleuchtend. Dennoch war die Zustimmung zu dem konkreten Text der Resolution nicht unbedingt zu erwarten.
Präsident Obama gelang es sogar, dass auch Russland und China zustimmten, die bisher immer auf die Wahrung ihrer staatlichen Souveränität bedacht waren. Allerdings ist es vielleicht auch ein Indiz für eine zumindest potenzielle rechtsstaatliche Schwäche der Resolution.
Beide Vetomächte haben vor allem in den letzten Jahren gezeigt, dass ihnen bei solchen Entscheidungen die eigenen Interessen oft wichtiger sind als die Durchsetzung von Menschen- und Bürgerrechten, gerade erst im Syrienkonflikt. Wenn nun beide zustimmen, hat dies wohl auch damit zu tun, dass die Resolution Passagen enthält, die ein noch rigoroseres Vorgehen gegen eigene, als Terroristen bekämpfte Gruppierungen legitimieren können, etwa Tschetschenen oder Uiguren.
Verbindliche Vorgaben für nationale Gesetzgeber
Der Sicherheitsrat beschloss in Ziffer 6, "dass alle Staaten sicherstellen müssen, dass ihre innerstaatlichen Gesetze und Vorschriften schwere Straftaten umschreiben, deren Tatbestandsmerkmale ausreichen, um die folgenden Personen beziehungsweise Handlungen in einer der Schwere der Straftat angemessenen Weise strafrechtlich zu verfolgen und zu bestrafen". Die folgende Aufzählung von zu pönalisierenden Handlungen nennt zuerst die Ausreise (oder den Versuch einer solchen), "um terroristische Handlungen zu begehen, zu planen, vorzubereiten oder sich daran zu beteiligen oder Terroristen auszubilden oder sich zu Terroristen ausbilden zu lassen". Des Weiteren sollen auch deren Finanzierung sowie die Anwerbung von Personen für solche Reisen oder deren Organisation unter Strafe gestellt werden.
Da diese Forderungen Teil einer nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen verbindlichen Resolution des Sicherheitsrates sind, sind nun alle Mitgliedstaaten der UNO verpflichtet, ihre einzelstaatliche Strafgesetzgebung diesen Forderungen anzupassen. Der Sicherheitsrat wird damit zum Gesetz(vor-)geber, die staatlichen Parlamente dürfen diese Vorgaben nur noch in die eigene Rechtssprache umsetzen.
2/2: Änderungsbedarf im deutschen Strafrecht?
2009 hat der Bundestag das Gesetz zur Verfolgung der Vorbereitung schwerer staatsgefährdender Straftaten (GVVG) erlassen, mit dem die §§ 89a, 89b und 91 Strafgesetzbuch (StGB) eingeführt wurden. Das Schlagwort der damaligen Debatte war die Kriminalisierung von Reisen in "Terror-Camps". Nimmt man noch §§ 129a, 129b StGB dazu, scheint auf den ersten Blick das deutsche Strafrecht schon jetzt bei der Kriminalisierung des Vorfeldes terroristischer Aktivitäten sehr weit zu sein.
Schon bei diesen Normen sind in der Fachliteratur Zweifel an einer so weitgehenden Vorfeldkriminalisierung im Hinblick auf das Schuldprinzip, die Verhältnismäßigkeit des Einsatzes von Strafrecht oder die Bestimmtheit der Norm sehr verbreitet. Zudem wird darauf verwiesen, dass hier eher Tätertypen als bestimmte strafbare Handlungen kriminalisiert würden, denn die Tathandlungen seien objektiv neutral und erst im Lichte einer bestimmten - schwer beweisbaren - Gesinnung als gefährlich zu betrachten.
Vergleicht man allerdings die jetzt beschlossene Resolution des Sicherheitsrats mit den bestehenden deutschen Gesetzen, gibt es durchaus Diskrepanzen im Detail. So war die Zielrichtung des GVVG noch, die Ausbildung von Terroristen zu verhindern, die erst nach ihrer Rückkehr Anschläge verüben sollten. Jetzt geht es um die Pönalisierung des Reisens in ein Bürgerkriegsgebiet zur Beteiligung am dortigen Konflikt selbst, nicht um die Rückkehr.
Am augenfälligsten ist aber wohl, dass der Sicherheitsrat schon den Versuch der Ausreise mit dem Ziel, ein "Foreign Fighter" zu werden, unter Strafe stellen will, während -§ 89a StGB verlangt, dass die Reise tatsächlich erfolgen muss. Nach § 89b StGB können zwar auch schon Reisevorbereitungen strafrechtlich erfasst werden, aber nur, wenn dabei schon Verbindungen zu einer entsprechenden Zielorganisation geknüpft werden. Reisen junge Männer von sich aus nach Syrien und bieten sich erst in der Türkei oder nach Grenzübertritt in Syrien dem IS als Kämpfer an, greift die Norm nicht. Der Sicherheitsrat will also noch weiter das Vorfeld eigentlicher Taten kriminalisieren als die bestehenden deutschen Gesetze es ohnehin schon tun.
Ob der deutsche Gesetzgeber hier tatsächlich noch Änderungen vornehmen sollte oder müsste, ist unter Politikern umstritten. Die Resolution verweist an verschiedenen Stellen auf die Geltung innerstaatlichen Rechts sowie die Menschenrechte. Ihre konkrete Umsetzung bleibt zudem ja ohnehin Sache der Einzelstaaten. Deutschland kann sich gut auf den Standpunkt stellen, die bestehenden Strafgesetze gingen weit genug und entsprächen dem Zweck der Resolution. Dies erst recht, wenn die deutschen Behörden den IS als terroristische Vereinigung im Sinne der §§ 129a, 129b StGB einstufen.
Ziel: Eher Aufklärung als Bestrafung
In einer ausführlichen empirischen Studie zur Wirksamkeit des GVVG stellte die Kriminologische Zentralstelle zusammen mit der Universität Bochum 2012 fest, dass die neu erlassenen Strafnormen praktisch nie zu Verurteilungen führten. Die Polizisten und Staatsanwälte, die mit ihnen arbeiten, schätzen sie aber als Grundlage für Ermittlungsmaßnahmen, um zu einer "Erkenntnisverdichtung" gegenüber den Ermittlungen zu kommen, die ohne diese Tatbestände möglich wären. Dies ist ein oft beobachtetes Phänomen bei Vorfeldkriminalisierungen: Es geht nicht um zusätzliche Bestrafungen, sondern vor allem um die Ausweitung der Ermittlungsmöglichkeiten durch die vorzeitige Möglichkeit, auch das strafprozessuale und nicht nur das polizeirechtliche Instrumentarium einzusetzen.
In diese Richtung gehen auch andere Passagen der Resolution. Diese fordert zum Beispiel, dass Fluggesellschaften im Voraus lückenlos Passagierlisten an die Staaten weitergeben. Auch soll insgesamt der Austausch von Informationen zwischen den Staaten intensiviert werden. Aus solchen Informationen sollen noch umfangreichere Terroristenlisten erstellt werden, die dann ihrerseits präventive Reisebeschränkungen für die Betroffenen nach sich ziehen werden.
Nicht vorgesehen sind dabei Rechtsschutzmöglichkeiten der Betroffenen. Wer einmal auf einer solchen Liste steht, verliert faktisch seine Reisefreiheit und wird wohl auch in anderen Bürgerrechten stark beschränkt, etwa durch eingefrorene Konten, berufliche und geschäftliche Einschränkungen, Überwachungsmaßnahmen etc. Wehren kann er sich dagegen praktisch nicht.
Das BVerfG hat in den letzten Jahren immer wieder gesetzgeberische Einschränkungen von Freiheitsrechten zugunsten vermeintlicher Sicherheitsbedürfnisse zurückgewiesen. Es wird sich zeigen, was es zu den Normen des GVVG zu sagen hat, vor allem aber auch zu etwaigen weiteren Verschärfungen nach Resolution 2178. Dabei könnte auch das Verhältnis inländischer Grundrechte zu verbindlichen Sicherheitsratsresolutionen ein Thema werden – mit offenem Ausgang.
Der Autor Dr. Denis Basak forscht und lehrt u.a. im Bereich des deutschen und internationalen Straf- und Strafprozessrechts an der Goethe-Universität Frankfurt am Main.
Dr. Denis Basak, Kampf gegen IS-Terror-Tourismus: Der UN-Sicherheitsrat als deutscher Strafgesetzgeber? . In: Legal Tribune Online, 29.09.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13330/ (abgerufen am: 25.04.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag