Die Paradise Papers haben die Diskussion um verbotenes Online-Glücksspiel neu entfacht. Was die Enthüller jedoch übersehen und wie Schleswig-Holstein zum Befreiungsschlag ansetzt, erläutern Wulf Hambach und Bernd Berberich.
Nach der Veröffentlichung der "Paradise Papers" gerieten unter anderem deutsche Banken in den Fokus. Der Vorwurf: Sie würden im Rahmen der von ihnen ausgeführten Transaktionen am illegalen Online-Glücksspiel mitverdienen. Den Aufsichtsbehörden sei dies bekannt, das Problem werde aber weitgehend ignoriert, so der Tenor in vielen Medien nach Bekanntwerden der Dokumente.
Tatsächlich besteht in Deutschland seit Jahren Streit um eine sachgerechte Regulierung des milliardenschweren, nach wie vor boomenden Online-Glücksspielmarkts, an dem insbesondere Online-Anbieter aus sogenannten Offshore-Regionen verdienen; also aus solchen, die im Ausland günstigere Rahmenbedingungen für die Errichtung ihrer Geschäfte vorfinden.
Der am 16. März 2017 unterzeichnete 2. Glücksspieländerungsstaatsvertrag sehe zudem nur "minimalinvasive Änderungen" vor, um das Chaos mit dem Offshore-Glücksspiel hierzulande wirksam einzudämmen, so die Kritiker weiter. Insbesondere werde am Totalverbot von Online-Casinospielen festgehalten. Was Tagesschau & Co. bisher nicht berichten: Dieses Regelwerk wird nie in Kraft treten.
Denn Voraussetzung für das Inkrafttreten des 2. Glücksspieländerungsstaatsvertrages ist, dass alle 16 Bundesländer den Vertragsentwurf in ihren Landesparlamenten ratifizieren. Während einige Bundesländer damit begonnen haben, lehnte der Ministerpräsident Schleswig-Holsteins entsprechend des vom Landesparlament formulierten Auftrags in der Ministerpräsidentenkonferenz vom 20./21. Oktober 2017 den Vertrag in seiner jetzigen Form ab. Damit wird auch 2018 der rechtlich hoch umstrittene aktuelle 1. Glücksspieländerungsstaatsvertrag weiterhin in Kraft sein.
Warum die Norddeutschen eigene Wege gehen
Schleswig-Holstein hat richtigerweise erkannt, dass nur mittels der Erteilung von Lizenzen für das Online-Glücksspiel dem Problem des Online-Glücksspiels begegnet werden kann. Dessen Innenminister Hans-Joachim Grote (CDU) sagte, notfalls müsse der Norden "eigene Wege beschreiten". Und in der Tat: Die Erfahrung hat gezeigt, dass Totalverbote aus rechtlichen wie tatsächlichen Gründen in der Praxis als gescheitert gelten dürfen. "Wir dürfen nicht länger versuchen, das Internetglücksspiel mit analogen Instrumenten aus dem vergangenen Jahrtausend in den Griff zu bekommen", so Grote weiter.
Schleswig-Holstein hatte 2013 schon einmal ein zukunftsweisendes Glücksspielgesetz auf den Weg gebracht, welches eine Legalisierung von Online-Casino- und Pokerspielen bei gleichzeitig strenger Regulierung sowie Konzessionierung anhand qualitativer Kriterien vorsah (Glücksspielgesetz (GlüG) SH). In diesem Zuge wurden 23 Online-Casinolizenzen und 25 Online-Sportwettenlizenzen erteilt, welche noch bis 2018/2019 fortgelten. Unter der von der SPD geführten Regierung trat Schleswig-Holstein jedoch unter dem Druck der anderen Bundesländer im Frühjahr 2013 nachträglich doch noch dem 1. Glücksspieländerungsstaatsvertrag bei. Während die EU-Kommission ausdrücklich das Glücksspielgesetz SH als europarechtskonforme Lösung lobte, hat sie hingegen immer wieder Bedenken gegen den 1. Gücksspieländerungsstaatsvertrag geäußert.
Die Geschäftsführerin von Lotto Baden-Württemberg sieht vor allem in der schleppenden Umsetzung der Gesetzeslage das Hauptproblem: "Wenn man es wirklich ernst meint mit der Glücksspiel-Regulierung, dann muss man sie wehrhaft machen und die Aufsichtsbehörden endlich finanziell und personell besser ausstatten". Das ist genau der richtige Ansatz; doch braucht es erst rechtlich belastbares Fundament, bevor Behörden wie das Niedersächsische Innenministerium beziehungsweise die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht den Kampf gegen das Offshore-Glücksspiel mit Erfolg aufnehmen können.
2/2: Das Problem mit dem Financial Blocking
Die Erfahrungen in Großbritannien und Dänemark zeigen, wie eine schlagkräftige Vollzugsbehörde aufgebaut werden kann, wenn Lizenzen für das Online-Glücksspiel ausgegeben werden. Bundestagsvizepräsident Wolfang Kubicki hält aus solchen Gründen die aktuelle Regulierungslage für schlicht rechtswidrig: "Ein Staatsvertrag nützt doch keinem etwas, wenn wir am Ende einen komplett deregulierten Glücksspielmarkt vorfinden, weil der Staatsvertrag nicht europafest ist". Den milliardenschweren Markt könne man nicht beeinflussen, egal wie sehr man sich rhetorisch für die Suchtprävention einsetze. "Einfluss gewinnen wir erst wieder, wenn wir den illegalen und nicht-regulierten Markt zurückdrängen, und das geht nur durch attraktive und legale Angebote", so Kubicki weiter.
Und während gegen den aktuellen 1. Glücksspieländerungsstaatsvertrag aberhundert Klagen anhängig sind, sind keine gegen das GlüG SH als solches bekannt. Dies zeigt, dass ein rechtlich belastbares Fundament möglich, aber auch erforderlich ist - gerade hinsichtlich des Themas "Financial Blocking", bei dem staatliche Verbotsverfügungen unter Einbeziehung der Banken- und Kreditkartenunternehmen ergehen, um Zahlungen an illegale Online-Glücksspielanbieter zu verhindern.
Für diese Methode zur Verhinderung illegalen Glücksspiels im Internet hat nämlich der ehemalige Leiter des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz, Thilo Weichert, dezidiert herausgearbeitet, dass nach bisheriger Gesetzeslage eine effektive Durchsetzung des Financial Blocking unter Beachtung des Datenschutzes nicht möglich ist. Die Finanzdienstleister können nämlich gar nicht hinreichend zwischen legalen und illegalen Angeboten unterscheiden.
Ulrike Eppe aus dem niedersächsischen Glücksspielreferat, welches das Financial Blocking zentral organisiert, betont wohl auch deshalb, dass ihr Referat noch keine Strafanzeige gegen Banken erstattet habe. Vielmehr stellt Eppe klar: "Wir verfolgen einen kooperativen Ansatz." Angesichts der bestehenden Grauzone scheint dies nur konsequent, zumal der 1. Glücksspieländerungsstaatsvertrag explizit eine faktisch ins Leere laufende Rechtsgrundlage vorsieht: Zwar kann danach den am Zahlungsverkehr Beteiligten nach vorheriger Bekanntgabe unerlaubter Glücksspielangebote die Mitwirkung an Zahlungen für unerlaubtes Glücksspiel untersagt werden - es gibt aber bisher keinen einzigen Fall, in dem es zu einer solchen Bekanntgabe kam.
Was sich mit deutschen Lizenzen verbessern ließe
Wenn aber neue Lizenzen für alle relevanten Online-Glücksspielarten erteilt würden, können datenschutzrechtliche Probleme ausgeräumt werden, indem im Rahmen des Lizenzverfahrens das Einverständnis der Lizenznehmer eingeholt wird und der Vollzugsbehörde Daten zur Überwachung beziehungsweise zur Umsetzung eines effektiven Financial Blocking zur Verfügung gestellt werden. Über die Lizenzgebühren ließen sich zudem die Gelder generieren, um eine entsprechend schlagkräftige Vollzugsbehörde aufzubauen. Zu erwägen wäre schließlich, dem Bund zumindest die Internetregulierung kompetenzrechtlich zuzusprechen, da dieses Medium keine Ländergrenzen kennt und damit Kompetenz- und Anwendungskonflikte von vornherein ausgeschlossen würden.
Auf Basis einer zukunftsorientierten und vor allem EU-rechtskonformen Regulierungslage, welche die Möglichkeiten der unaufhaltsam voranschreitenden Digitalisierung für einen effektiven Schutz nutzt, statt das Internet weiter zu dämonisieren, lässt sich sehr wohl das Chaos um das Offshore-Glücksspiel beenden.
Für die deutschen Glücksspielregulierer wäre eine enge Zusammenarbeit mit der EU-Kommission hier zielführend, um nicht nur das EU-Notifizierungsverfahren heil zu überstehen, sondern auch den lang ersehnten Rechtsfrieden im deutschen Glücksspielrecht zu erreichen. Dies wären wahrhaftig paradiesische Zustände, da alle Seiten (Glücksspielveranstalter, Glücksspielaufsichtsbehörde, Medienanbieter, Medienaufsichtsbehörde, Finanzaufsichtsbehörde, deutsche Polizeibehörden, etc.) zwischen legal und illegal endlich wirksam unterscheiden könnten.
Der Autor Dr. Wulf Hambach ist Gründungspartner der Kanzlei Hambach & Hambach mit dem Tätigkeitsschwerpunkt Regulierung. Er ist Mitherausgeber und Autor des Kommentars "Glücksspiel- und Gewinnspielrecht in den Medien".
Der Autor Dr. Bernd Berberich ist Rechtsanwalt bei Hambach & Hambach mit dem Tätigkeitsschwerpunkten Straf- und Verwaltungsrecht sowie Glücksspiel- und Vollstreckungsrecht. Er ist Mitautor des Kommentars Streinz/Liesching/Hambach zum "Glücksspiel- und Gewinnspielrecht in den Medien".
Wulf Hambach, Illegales Online-Glücksspiel: Die Lösung aus dem deutschen Norden . In: Legal Tribune Online, 15.11.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25541/ (abgerufen am: 07.05.2024 )
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