Druckversion
Montag, 12.05.2025, 14:12 Uhr


Legal Tribune Online
Schriftgröße: abc | abc | abc
https://www.lto.de//recht/hintergruende/h/gasumlage-energie-trittbrettfahrer-gasimporteure-russland-habeck-verfassungswidrig-europarecht-beihilfe-bmwk
Fenster schließen
Artikel drucken
49500

Geplante Änderungen bei der Gasumlage: "Tritt­b­rett­fahrer-Pro­b­le­matik nur mit Geset­zes­än­de­rung lösbar"

Interview von Hasso Suliak

01.09.2022

Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Vizekanzler und Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz

Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Vizekanzler und Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, hat Korrekturen bei der Gasumlage angekündigt. Foto: picture alliance/dpa | Britta Pedersen

Ab Oktober müssen alle Gasverbraucher eine Umlage zahlen, von der nur wirtschaftlich gefährdete Importeure profitieren sollen. Mögliche Trittbrettfahrer sollen ausgeschlossen werden. Ohne Gesetzesänderung geht das nicht, meint Martin Burgi.

Anzeige

LTO: Herr Prof. Dr. Burgi, die Bundesregierung hat Anfang August die Verordnung über eine zeitlich befristete Gas-Umlage für sichere Wärmeversorgung im Herbst und Winter erlassen. Nun hagelt es Kritik. Worum gehts?

Prof. Dr. Martin Burgi: Nach der Verordnung dürfen Gasimporteure die Mehrkosten, die ihnen die Drosselung der Gaslieferungen aus Russland bescheren, auf die Verbraucher umwälzen. Ziel ist dabei die Rettung von Gastunternehmen, ohne die wir das Gas nicht mehr importieren könnten und ein Problem mit der Versorgungssicherheit bekämen.

An der Ausgestaltung der VO durch den Bundeswirtschaftsminister entzündete sich allerdings massive Kritik. Die Befürchtung ist, dass auch solche Unternehmen die Umlage für sich beanspruchen, die gar nicht in Not sind. SPD-Chef Lars Klingbeil meinte: "Es kann nicht sein, dass Unternehmen, die in der Krise Milliarden verdient haben, noch Milliarden an Steuergeld kassieren."

Damit liegt Herr Klingbeil allerdings erst einmal falsch. Es handelt sich nämlich nicht um Steuergelder, denn das Geld für die Gasimporteure kommt nicht aus dem Staatshaushalt. Vielmehr hat der Verordnungsgeber aus gutem Grund die Konstruktion einer Umlage gewählt. Die Verbraucher werden zur Kasse gebeten, um die Importeure zu stützen, was wiederum den Verbrauchern zugutekommt, weil der Energiemarkt durch sehr viele komplexe Verhältnisse von mehrfach gestuften Beteiligungen charakterisiert ist. In einem solchen System liegt es nahe, Beträge durchzureichen, um das ganze finanziell innerhalb des Systems zu halten.

Foto: Katrin Hauter im Auftrag der cosinex GmbH

EEG-Umlage als Vorbild

Gibt es Vorbilder für diese Konstruktion?

Ja, auf dieser im Grunde genialen Idee beruht auch schon die EEG-Umlage, die dazu dient, die Förderung des Ausbaus erneuerbarer Energien zu finanzieren. Der Vorteil dieses Systems ist, dass man dafür ein recht weitmaschiges verfassungsrechtliches Kontrollraster hat. Ich kenne auch keine gerichtliche Entscheidung, wonach solche Umlagen verfassungswidrig wäre. Der EuGH hat 2019 bestätigt, dass sich bei der erwähnten EEG-Umlage nicht um eine staatliche Beihilfe handelt.

Hätte die Bundesregierung – wie Herr Klingbeil meint – keine Umlage, sondern eine Steuer beschlossen, wäre das europäische Beihilferecht einschlägig. Dann könnten sich diverse Probleme ergeben. Es würde Zeit kosten und es käme zu Rechtsunsicherheiten – möglicherweise auf Kosten der Versorgungssicherheit der Bevölkerung.

Bei der bis Ende März 2024 angekündigten Absenkung der Mehrwertsteuer von 19 auf sieben Prozent auf den gesamten Gasverbrauch hat das Europarecht aber sehr wohl eine Rolle gespielt.

An dieser Stelle ja. Eine komplette Abschaffung der Steuer hätte gegen eine EU-Richtlinie verstoßen. Mit der Absenkung auf sieben Prozent hat die Bundesregierung den EU-Mindeststeuersatz in Höhe von fünf Prozent gewahrt. Das europarechtlich Erforderliche ist damit getan.

"Korrekturen verfassungsrechtlich nicht geboten"

Nach der Verordnung in der aktuellen Fassung würden aber ja auch Unternehmen von der Umlage profitieren, die sie wirtschaftlich nicht nötig haben. Welche Änderungen sind geplant und sind diese verfassungsrechtlich geboten?

Minister Robert Habeck plant Korrekturen insofern, als dass Geld aus der Umlage nur die Unternehmen bekommen sollen, die für die Versorgungssicherheit relevant sind und die relevante Lieferausfälle haben. Zudem dürfen die Empfänger keine Boni und Dividenden auszahlen.

Es widerspricht dem Gerechtigkeitsgefühl vieler Menschen, dass es unter den Importeuren Unternehmen gibt, die aufgrund anderer Aktivtäten in ihrem Unternehmens-Portfolio wirtschaftlich zurzeit hervorragend dastehen und trotzdem – Stand jetzt – Anspruch auf die Umlage hätten. Das betrifft allerdings nur eine geringe Anzahl von Importeuren.

Verfassungsrechtlich geboten sind diese Korrekturen nicht, denn im Bereich der Umlagen gilt ein weiter verfassungsrechtlicher Spielraum. Auch Probleme mit dem immer wieder angeführten Gleichheitsgrundsatz sehe ich nicht: Die Umlage-Verordnung beruht auf dem schon 1974 erlassenen Energiesicherungsgesetz (EnSiG). Und dieses stellt ausschließlich darauf ab, ob die Versorgungssicherheit gefährdet ist. Das Gesetz sieht keinerlei soziale Umverteilungs- oder Entlastungsgesichtspunkte vor, die unter dem Aspekt des Gleichheitsgrundsatzes relevant werden könnten. Vielmehr ist es ausschließlich auf die Energiesicherung gerichtet.

Letztlich ist es also eine Frage der politischen Akzeptanz, keine der rechtlichen Durchsetzbarkeit. Ich kann nachvollziehen, dass das Wirtschafsministerium hier nun nachsteuern will.  

Was ist rechtlich nötig, um die unerwünschten Profiteure auszuschließen?

Es gibt keine Rechtsprechung oder Präzedenzfälle hierzu. Aber aus meiner Sicht hat sich aber das von Habeck ins Auge gefasste Merkmal der "Systemrelvanz" infolge der Finanzkrise in der Rechtsordnung inzwischen als Differenzierungskategorie durchaus etabliert. Es erscheint mir daher auch in diesem Kontext plausibel, daran anzuknüpfen.

Aus meiner Sicht müssen aber - um Trittbrettfahrer auszuschließen - die Verordnung und das ihr zugrunde liegende Gesetz im Bundestag geändert werden. Denn die einschlägige Ermächtigungsgrundlage nach § 26 Abs.5 EnSiG kennt keine Einschränkungen. Dort heißt es: "Die Anspruchsberechtigten des finanziellen Ausgleichs sind die von der erheblichen Reduzierung der Gasimportmengen nach Deutschland unmittelbar betroffenen Energieversorgungsunternehmen (Gasimporteure)."

Wenn man also künftig Einschränkungen wie "systemrelevant" oder "Gewinne an anderer Stelle" einführt, schafft man zwei neue Eingriffe bzw. Diskriminierungen, die die bisherige gesetzliche Ermächtigung nicht vorsieht.

Passt man das EnSiG nicht entsprechend an, bekommt man ein Problem mit Art. 80 Grundgesetz (GG). Dieser verlangt, dass "Inhalt, Zweck und Ausmaß", der der Bundesregierung erteilten Ermächtigung im Gesetz bestimmt werden musss.  

"Es wird Klagen geben"

Das zuständige Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz hat LTO gegenüber erklärt, an der Umsetzung nun mit Hochdruck zu arbeiten und am Ende einen rechtssicheren Weg zu präsentieren. Gleichwohl rechnen Sie mit gerichtlichen Verfahren. Wer wird klagen und besteht die Gefahr, dass damit die Umsetzung gestoppt wird?

Bei so einem komplexen Vorhaben mit erheblicher Belastungswirkung wird es voraussichtlich vor den ordentlichen Gerichten Klagen von denjenigen geben, die zur Kasse gebeten werden. Das kann auch ein großer Endverbraucher sein, also z.B. ein großes Industrieunternehmen mit hohem Gasverbrauch, aber auch Privatverbraucher.

Die könnten dann ihrem Stadtwerk gegenüber sagen: "Wir bezahlen das nicht, weil die zugrundeliegende Verordnung verfassungswidrig ist." Folgt das Gericht dieser Auffassung, würde die Verordnung verworfen. Schließlich besteht bei einer Verordnung keine Vorlagepflicht zur Normenkontrolle an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG).

Ich rechne aber damit, dass sich die Gerichte angesichts des anerkannten Spielraumes des Gesetzgebers bei derartigen Umlagen eher zurücknehmen werden.

Prof. Dr. Martin Burgi ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Umwelt- und Sozialrecht an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Von 2014 bis 2015 war er Vorsitzender der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer. Als Gutachter, Sachverständiger und Prozessvertreter ist er u.a. für Bundes- und Landesministerien sowie für Wirtschaftsunternehmen und -verbände tätig.

  • Drucken
  • Senden
  • Zitieren
Zitiervorschlag

Geplante Änderungen bei der Gasumlage: . In: Legal Tribune Online, 01.09.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49500 (abgerufen am: 12.05.2025 )

Infos zum Zitiervorschlag
  • Mehr zum Thema
    • Öffentliches Recht
    • Bundestag
    • Energie
    • Interview
    • Russland
    • Ukraine-Krieg
Friedrich Merz 06.05.2025
Bundestag

Im zweiten Wahlgang:

Fried­rich Merz ist Bun­des­kanzler

Die gescheiterte Kanzlerwahl im ersten Durchgang war ein Novum. Im zweiten Wahlgang hat es Friedrich Merz aber geschafft. Der Bundespräsident überreichte ihm noch am Dienstagnachmittag die Ernennungsurkunde nach einem aufregenden Vormittag.

Artikel lesen
Friedrich Merz 06.05.2025
Bundestag

Nach Merz' Scheitern im ersten Anlauf:

Zweiter Wahl­gang zum Bun­des­kanzler noch am Diens­ta­gnach­mittag

Das gab es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie: Friedrich Merz ist als Kandidat bei der Kanzlerwahl im ersten Wahldurchgang gescheitert. Nach juristischem Hin und Her findet am Dienstagnachmittag ein zweiter Wahlgang statt.

Artikel lesen
Stefanie Hubig 05.05.2025
Bundesjustizministerium

Rückkehr nach Berlin:

Wer ist die neue Jus­tiz­mi­nis­terin Ste­fanie Hubig?

Nur wenige Stunden vor der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags hat die SPD ihre Minister bekannt gegeben. Das Bundesjustizministerium geht an die rheinland-pfälzische Bildungsministerin Stefanie Hubig. Sie kennt das Haus und die Justiz gut.

Artikel lesen
Alfred Dierlamm 02.05.2025
Most Wanted

Köpfe im Rechtsmarkt:

LTO Most Wanted mit Alfred Dier­lamm

Alfred Dierlamm sieht eine zunehmende Erosion der Gewaltenteilung, plädiert für Buchführung und Bilanzierung als Pflichtfach im Jurastudium und erklärt, was ihn an § 261 StPO stört.

Artikel lesen
Brust-OP 30.04.2025
Russland

EuGH zu EU-Sanktionen:

Bar­geld­verbot für Russ­land gilt auch für Brust-OPs

Bei Reisen nach Russland darf aufgrund der Sanktionen nur Bargeld in Höhe der Reise- und Aufenthaltskosten mitgeführt werden. Die Kosten einer medizinischen Behandlung sind davon nicht umfasst, so der EuGH.

Artikel lesen
Moskauer Commercial Court, Google Maps 27.04.2025
Anwaltsberuf

Klage am Commercial Court Moskau:

Russ­land will 7,5 Mil­li­arden Euro von deut­scher Anwalts­kanzlei

Die Anwaltsboutique Aurelius Cotta vertritt Wintershall im Rechtsstreit mit Russland. Nun bedroht sie der russische Generalstaatsanwalt mit einer Milliarden-Forderung. Auch das Unternehmen und das Schiedsgericht sollen zahlen.

Artikel lesen
ads lto paragraph
lto karriere logo
ads career people

Was ist Dein nächster Karriereschritt?

Jetzt registrieren
logo lto karriere
TopJOBS
Logo von CMS Deutschland
Rechts­an­wäl­te (m/w/d) für den Be­reich Ver­ga­be­recht und öf­f­ent­li­ches...

CMS Deutschland , Frank­furt am Main

Logo von Hengeler Mueller
Re­fe­ren­da­re (m/w/d) im Be­reich Öf­f­ent­li­ches Wirt­schafts­recht

Hengeler Mueller , Düs­sel­dorf

Logo von Oppenhoff
Re­fe­ren­da­re (m/w/d) al­le Fach­be­rei­che

Oppenhoff , Frank­furt am Main

Logo von GvW Graf von Westphalen
As­so­cia­te (m/w/d) Öf­f­ent­li­ches Bau­recht/Um­welt- und Pla­nungs­recht

GvW Graf von Westphalen , Ham­burg

Logo von DLA Piper UK LLP
Prak­ti­kant (m/w/d) im Rah­men der Sum­mer School 2025 Ham­burg

DLA Piper UK LLP , Ham­burg

Logo von Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg
Staats­an­wäl­tin (Rich­te­rin auf Pro­be) / Staats­an­walt (Rich­ter auf Pro­be)...

Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg , Frank­furt (Oder)

Logo von Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg
Staats­an­wäl­tin (Rich­te­rin auf Pro­be) / Staats­an­walt (Rich­ter auf Pro­be)...

Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg , Pots­dam

Logo von Oppenhoff
Re­fe­ren­da­re (m/w/d) al­le Fach­be­rei­che

Oppenhoff , Köln

Mehr Stellenanzeigen
logo lto events
Karriere-Powerworkshops "Erfolgsfaktor Personal Branding"

20.05.2025

Juristinnen netzwerken ... - After Work live in Köln

22.05.2025, Köln

Rechnungslegung in der Non-Profit-Organisation

20.05.2025

Online Info Session Jurastudium (LL.B., EjP)

21.05.2025

25. Düsseldorfer Insolvenztage 2025

22.05.2025, Düsseldorf

Mehr Events
Copyright © Wolters Kluwer Deutschland GmbH